Studie zur Energiewende: Deutschland verfehlt Klimaziele erneut
In einigen Sektoren ist die Lücke zwischen Ziel und Wirklich besonders groß. Hohe Energiepreise verhinderten Schlimmeres. Warum der Verkehrssektor zum Sorgenkind wird.
Deutschland inszeniert sich immer wieder als Vorreiter im Klimaschutz, schafft es aber nicht, seine eigenen Ziele einzuhalten. Nach einer Auswertung des Instituts Agora Energiewende verfehlte die Bundesrepublik ihre Klimaziele im Jahr 2022 erneut.
Den Berechnungen zufolge betrugen die Emissionen im vergangenen Jahr rund 761 Millionen Tonnen Kohlendioxid, was nur eine Million Tonnen weniger waren als im Vorjahr. Das eigentliche Emissionsziel von 756 Millionen Tonnen CO₂ wurde demnach um fünf Millionen Tonnen überschritten.
Der Krieg in der Ukraine, die Reaktionen auf ihn und die Coronapandemie hatten erheblichen Einfluss auf den Ausstoß von Klimagasen. Dieser stieg an, obwohl der Energieverbrauch 2022 um 4,7 Prozent im Vergleich zu 2021 zurückging und der Anteil der erneuerbaren Energien auf ein Rekordhoch stieg.
Diese widersprüchlich anmutende Entwicklung macht deutlich: Die deutsche Klimapolitik gerät nicht nur durch geopolitische Krisen ins Wanken, sondern hat auch ein strukturelles Problem, das dem Erreichen der eigenen Ziele im Wege steht: Bei der Umsetzung der eigenen Klimapolitik fehlt es an Ehrgeiz, Entschlossenheit und der entsprechenden staatlichen Förderung.
Das macht sich im Energiesektor bemerkbar. "Das Rekordjahr für die erneuerbaren Energien ist wetterbedingt und damit kein struktureller Klimaschutz", erklärte Simon Müller, Direktor von Agora Energiewende, laut Presseagentur AFP. Tatsächlich habe es etwa beim Ausbau der Windenergie keine großen Fortschritte gegeben.
Lediglich in der Industrie gab es Rückgang der Emissionen – obwohl mehr Kohle und Erdöl eingesetzt wurden als Ersatz für Erdgas. Doch die hohen Energiepreise führt dazu, dass Betriebe ihre Produktion drosselten oder ganz einstellten. Darin sieht Agora Energiewende einen Hauptgrund für den Rückgang der Emissionen in der Industrie.
In den Bereichen Verkehr und Gebäude verfehlte die Bundesregierung ebenfalls die Emissionsziele. Der Gebäudesektor überzog sein Ziel mit fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid. Dass es nicht mehr waren, lag dem Bericht zufolge ebenfalls nur an den hohen Energiepreisen, den Appellen der Bundesregierung, Gas einzusparen, und der milden Witterung.
Deutlicher verfehlte der Verkehrssektor seine Ziele – und mit Blick auf die Entwicklung der kommenden Jahre avanciert er zunehmend zum Sorgenkind der Klimapolitik. "Im Verkehr lag der CO₂-Ausstoß mit 150 Millionen Tonnen CO₂ deutlich über dem erlaubten Wert von 139 Millionen Tonnen CO₂", hieß es weiter.
Im Bereich Verkehr gehen die Zielvorstellungen und der tatsächliche CO₂-Ausstoß auf den ersten Blick immer weiter auseinander. Im Vorjahr betrug die Differenz 3,1 Millionen Tonnen, 2022 waren es schon elf Millionen Tonnen. Dass hier die Schere immer weiter auseinandergeht, lässt sich auch mit der Coronapandemie erklären.
Die Klimabilanz im Verkehrssektor war in den Jahren 2021 und 2020 von Corona-Auswirkungen geprägt, da die Mobilität teils stark eingeschränkt war. Im vergangenen Jahr 2022 sind die Emissionen des Sektors wieder leicht gestiegen. Dieser Anstieg ist einerseits auf ein normalisiertes Verkehrsaufkommen auf Straßen und Schienen und andererseits auf unzureichende politische Maßnahmen zurückzuführen.
Agora Energiewende
Gerade im Verkehrssektor müsste die Politik energischer voranschreiten, doch mit einem FDP-Politiker als Verkehrsminister dürfte das kaum zu machen sein. Und so könnte in den nächsten Jahren die Kluft zwischen Anspruch und Umsetzung größer werden.
Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, erklärte nun gegenüber der Süddeutschen Zeitung: In der Summe könnten die Emissionen im Verkehrssektor bis 2030 um 260 Millionen Tonnen Kohlendioxid vom Klimaziel abweichen. "Mit kleinen Korrekturen kommt man da nicht hin", sagte Knopf.
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