Submarine Mythen für die ganze Familie

Drexciyas "Neptune' Lair" lässt den Sound of Detroit als Pop wiederauferstehen.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Detroit-Techno ging es immer schon darum, das eigene Verschwinden möglichst gründlich zu organisieren. Drexciya tauchen ab und verpacken ihre Musik in einer Fusion aus politischen Unterwasser-Comic-Welten und religiösen Mythen.

Unsichtbar zu werden erschien den vorwiegend schwarzen Produzenten von Detroit Techno als das geeignetste Modell, um sich jeglicher definitorischer Fremdbestimmung zu entziehen. Um eine Musik für alle machen zu können - also eine, die quer verläuft zu allen gängigen kulturindustriellen Kategorien von Ethnie, Rasse oder Klasse - mussten Camouflagetechniken her. Elektronische Sounds versprachen so etwas wie eine neutrale Position innerhalb starrer Zeichenkonfigurationen. Nun galt es nur noch, alle übrigen medialen Oberflächen möglichst kleinzuhalten.

Im Modell Underground Resistance etwa erfand sich Detroit als unsichtbare Untergrundarmee, die Soundattacken in Form von bösen Technotracks gegen Definitions- und anderen Terror in Stellung bringen konnte. Anstelle von Portraits und Namen sah man auf Fotos und Videos anonyme Gestalten, die sich durch Uniformen wie schwarze Kapuzenpullis mit dem UR-Logo tarnten, und die ganz nebenbei zu sagen schienen: You are. Auch du bist es, egal wie braun, gelb oder rosa deine Ohren sind.

Episoden aus Aquatopia

Drexcyia gingen ab 1991 einen Schritt weiter und schoben den medialen Segregationsapparaten eine neue Ästhetik von Comicbildern und bunt assoziativen Tracktiteln vor die Linse ihres Aufmerksamkeitshorizonts. Sie bebilderten sich selbst als beinahe kindliche Unterwasserwelt. Drexciya sind dort das undefinierbare Andere, Unheimliche, das in den Tiefen der Weltmeere wohnt. Ein submarines Imperium, dessen Geschichte sich seit beinahe zehn Jahren auf diversen EPs und Alben nachhören lässt. Auf Drexciyas 1997er Konzept-CD "The Quest" werden die Drexciyaner schließlich zu Abkömmlingen afrikanischer Sklaven erklärt, die auf der atlantischen Überfahrt "zu Tausenden wegen Krankheit oder Widerstands über Bord geworfen wurden." Die Abkömmlinge dieser Sklaven werden zu Mutanten, die im Wasser atmen können.

Wie das Cover der eben veröffentlichten CD "Neptune's Lair", die das drexciyanische 'Scientific Research Development Lab' sowie einige drexciyanische Kämpfer und ihre Unterwasservehikel abbildet, so erscheinen auch die 21 Tracks selbst als Comivcersionen von Techno/Electro. Sounds und Melodien, die aus Computerspielen oder Zeichentrickfilmen stammen könnten, erzählen über robotischen Beats Episoden aus Aquatopia: Achtung, hier wirds gefährlich - sagt der eine Track - hier kommen die drexciyanischen Armeen aus der Tiefe und bohren Löcher ins kolonialistische U-Boot Käpt'n Nemos. Ein anderer Track zeichnet ein amphibisches Paradies - das glückliche Leben, das nicht von Verwertungslogiken oder Rassismus bedroht scheint. Das klingt zwar naiv, ist aber einfach zu verstehen und verkörpert somit die Popversion von Detroit Techno.

Submarine Pop-Mythologien

Wie man aus Interviews mit den nur als Telefonstimme auftretenden Produzenten Drexciyas erfahren kann, hält man sich in der unsichtbaren Stadt Drexciya bewusst fern von aktuellen musikalischen Produktionen, um diese Naivität - oder vielleicht besser: Politik - der Inklusion so offen wie möglich halten zu können. Unterwasser lässt man sich weniger schnell von saisonalen Mikrotrends oder akademischem Signalpiepen auf den falschen Pfad der Exklusivität locken. Unterwasser behält man die Traditionen einer Musik im Auge, die sich aus New Wave, Elektro und den Anfängen von Techno selbst speist. Hier wird mit 808, 303 und anderem analogen Equipment noch einmal die Geschichte technoider Clubmusik nachgespielt - als submarine Mythologie einer unsichtbaren, verschütteten Zivilisation.

Die visuelle Verpackung dieser Idee von Pop erinnert nicht zufällig an die Mythen der afro-brasilianischen Umbandakulte in Belém und Maranhão, deren Geister "in der Encantaria, auf dem Grund des Meeres" hausen, wie man in Hubert Fichtes "Explosion" nachlesen kann. Diese sind aus den indianischen Heilriten adaptierte Geister eines Volkskatholizismus. Der brasilianische Ethnologieprofessor Napoleon erklärt in "Explosion", die Umbanda sei "keine Protestreligion, sondern eine Erwiderung des Volkes in einem System der Anpassung. Die Religion ist eine der Möglichkeiten, menschliche Beziehungen auszudrücken."

Drexciya erwähnen in ihrer Thanks-Liste insofern wenig überraschend Gott, "who is my strength and my shield" und preisen auf Track 5 das "Universal Element". Ein anderer selbsternannter Alien, Sun Ra, nannte diese Fusion von Aufklärung und Religion Myth Science. Als gründlich Verschwundene haben Drexciya mit "Neptune's Lair" die erfrischendste Version von Myth Science auf Tonträger gepresst - "drifting into a time of no future."

Drexciya: "Neptune's Lair" (Tresor/EFA)