Symbolpolitik gegen Erdogan
Seite 2: "Die Nazis hatten den Leichen keine Nummern aufgemalt"
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Wie stark die NS-Vergangenheit auch in die neudeutsche Menschenrechtspolitik hineinwirkt, zeigt sich bei der Berichterstattung über Ermittlungen der deutschen Justiz über angebliche Verbrechen des syrischen Regimes. Der Streit über die Glaubwürdigkeit der Quellen soll hier einmal ausgespart bleiben. Doch frappierend ist, dass die Analogie zu den NS-Verbrechen gezogen wird und sogar die Nazis im Ergebnis noch etwas besser wegkommen. So heißt es in einen Bericht der eng mit syrischen Oppositionellen verbundenen Soziologin Kirsten Helberg in der Taz:
Die Kommission für Internationale Gerechtigkeit und Verantwortung (CIJA) hat etwa eine Million syrischer Dokumente gesichert, die Befehlsketten und Verantwortlichkeiten beweisen. Und auch die Caesar-Fotos führen direkt zu Regime-Vertretern. Denn an den Leichen der Gefangenen sind Nummern angebracht. "Unglaublich" findet das der ehemalige Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda, Stephen Rapp. "Wir hatten keine Beweismittel in Form von Dokumenten wie in Syrien", so Rapp. Selbst in Nürnberg habe es das nicht gegeben.
Kirsten Helberg
Es soll nun keineswegs in Abrede gestellt werden, dass syrische Oppositionelle das Recht haben, Verbrechen des Regimes auch im Ausland untersuchen zu lassen. Dass aber ein deutscher Ermittler sofort auf die Naziverbrechen rekurriert, zeigt eben wie eng noch nach 70 Jahren in die aktuelle deutschen Menschenrechtspolitik das Bestreben eingeschrieben ist, deutlich zu machen, dass andere mindestens genau so wüten, wie es die Nazis getan haben.
Auch das Erdogan-Regime wird schon mal mit den Nazis verglichen. Wenn hingegen Erdogan und seine Adepten den Nazivorwurf gegen Deutschland erheben, ist die Empörung groß. Wenn dann noch ein Großteil, aber keineswegs die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Pass, beim Referendum für Erdogans Staatsprojekt stimmen, wird deren Demokratiefähigkeit bezweifelt. Manche haben gar dieses Wahlergebnis zum Anlass genommen, um die doppelte Staatsbürgerschaft zu bekämpfen.
Nur in den deutschen Verhältnissen sucht kaum jemand die Ursachen für das Ergebnis. Sie hätten vielleicht mal das Theaterstück NSU-Monologe hören sollen, das auf langen Interviews von drei nahen Angehörigen von NSU-Opfern beruht. Sie beschreiben sehr eindrücklich, wie sie alle von den deutschen Behörden als Täter behandelt wurden, wie gegen sie ermittelt wird und ihre Nachbarn über sie ausgefragt wurden. Ist es verwunderlich, dass alle drei berichteten, dass es ihnen wichtig war, ihre ermordeten Angehörigen in der Türkei zu beerdigen? Auf einem mehrtätigen Tribunal werden die Opfer darüber berichten.