Symptomatisch?!

Seite 2: "Alternativlos"

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Auffällig ist: Politik wird nicht mehr auf offener Bühne ausgetragen. Die Entscheidungen selbst von größtem Gewicht werden verdeckt und unbemerkt in kleinsten, meist nicht legitimierten Parteizirkeln beschlossen, ihre legislative Umsetzung geradezu konspirativ vorbereitet. Eine angemessene Beratung in den parlamentarischen Gremien wird den Volksvertretern dann schon nicht mehr eingeräumt. Kein Wunder, dass das ganze Ausmaß der eigenen Beschlüsse mit ihren häufig doch sehr ernsten Konsequenzen von den Volksvertretern kaum mehr bedacht, übersehen oder abgeschätzt werden können.

Politische Entscheidungen - durch die Hintertür eingefädelt - gehorchen, so suggeriert es die Regierung, den viel beschworenen Sachzwängen - vorzugsweise von außen, die von niemandem hätte mehr beeinflusst werden kann. „Alternativlos“ heißt dann das skandalöse, ja zutiefst demokratiefeindliche Schlagwort, dessen sich die Regierenden bedienen, um eine aufkeimende Diskussion „draußen im Lande“ abzuwürgen. Verfassungsrechtler sprechen zu Recht von einer Delegitimierung demokratischer Entscheidungen. Die politische Klasse kümmert dies nicht. Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter, so ist die Denke. Angela Merkels Politikstil hat es hier zu einer bisher nicht gekannten Virtuosität gebracht. Politik als Projekt der politischen und wirtschaftlichen Eliten, über die die Bürger nicht zu befinden haben. Selbst bei Wahlen nicht mehr?

Am Volk vorbei

Der Eindruck ist so falsch nicht. Bei den grundlegenden Fragen deutscher Politik wird am Volk vorbei regiert. Und das nicht erst seit der Euro-Krise. Sind die Ostdeutschen gefragt worden, ob sie dem andern deutschen Teilstaat beitreten wollen? Nein. Sind die Westdeutschen gefragt worden, ob sie die Lasten der Vereinigung zu tragen bereit sind? Nein. Sind die Deutschen gefragt worden, ob sie sich überhaupt wiedervereinen wollen? Nein. Sind die Deutschen gefragt worden, ob sie sich in dem neu entstehenden Deutschland auch eine neue Verfassung geben wollen? Nein.

Volksentscheide dieser Art seien im Grundgesetz nicht vorgesehen, heißt es dann. Die politische Klasse hätte doch längst die Verfassung ändern können, wenn sie den Bürgern eine Mitsprache bei den zentralen Fragen der Nation zugetraut hätte. Doch genau das wird den Deutschen nach wie vor verweigert. Stattdessen haben die politisch Verantwortlichen die Bürger mit ihren „alternativlosen Entscheidungen“ hinters Licht geführt, vom Wirtschaftswunder Ost und von „blühenden Landschaften" in wenigen Jahren geschwafelt.

Und diese Art Entmündigung setzte sich auf europäischer Ebene fort. Gab es einen Volksentscheid über die Fortentwicklung zur Europäischen Union? Nein. Gab es einen Volksentscheid über die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung? Nein. Konnten die Deutschen - wie in anderen Ländern - über den europäischen Verfassungsvertrag abstimmen? Nein. Wurden sie gefragt, als die Fundamente der Europäischen Währungsunion eingerissen wurden? Nein. Wurden die Deutschen gefragt, ob es der Europäischen Zentralbank erlaubt sei, wertlose Schrottpapiere deutscher, französischer, spanischer, italienischer Banken aufzukaufen? Nein. Wurden die Deutschen gefragt, ob sie bereit sind, die Staatsschulden anderer Euro-Mitgliederländer zu übernehmen? Nein. Wurden die Deutschen gefragt, ob sie bereit sind, die Haushaltslöcher Griechenlands, Portugals, Irlands, Spaniens zu stopfen? Nein. Wurden die Deutschen gefragt, ob sie bereit sind, die Sozialleistungen anderer Euro-Staaten zu finanzieren? Nein. Zu all dem hat die Merkel-Regierung ihre Zustimmung erteilt, gegen den breiten Widerstand der Bürger.

Ob Wiedervereinigung oder Beitritt, ob Europäische Integration, Abschaffung der DM, europäischer Verfassungsvertrag oder Euro-Rettung - immer handelt es sich um Projekte der politischen Klasse, der politisch-ökonomischen Machtelite, immer bleiben die Bürger draußen vor, sind zur Passivität verurteilt und schauen im besten Fall zu, was die da oben so alles anstellen.