Syrien: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen"

Gegenwärtig wird der Kampf der Kurden in Kobane und Rojava gerne verklärt, die dargestellte Situation gleicht auch Solidarität auslösenden Archetypen

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Der Kampf der syrischen Kurden mit ihren YPG-Verbänden in Kobane gegen die mit schweren Waffen gegen sie vorgehenden IS-Horden hat weltweit eine große Sympathiewelle entstehen lassen und westliche Regierungen unter Druck gesetzt. Nachdem der IS mordend und zerstörend im Nordirak vorgerückt war und eine Massenflucht auslöste, folgte auf den erneuten Versuch, im September mit den erbeuteten schweren Waffen die syrische Grenzstadt einzunehmen, eine weitere Massenflucht in die Türkei. Seitdem droht ein Massaker, sollten die IS-Kämpfer doch noch die von den IS-Kämpfern auf drei Seiten eingeschlossene und von türkischen Soldaten an der Grenze abgesperrte Stadt einzunehmen, was nicht nur die Kurden, sondern auch Politiker und Medien aufgreifen. Der Kampf um Kobane wird inszeniert, als würde hier ein finales Ereignis stattfinden. Die Bilder sind mächtig, die eine kleine Stadt in einer Steinwüste zeigen, deren Bewohner um ihr Leben und ihre Eigenständigkeit kämpfen und weitgehend dabei im Stich gelassen werden, weil die türkische Regierung jede Hilfe und Selbsthilfe blockiert.

Luftangriff auf IS-Stellungen in Kobane

Die Situation der Menschen in vielen Städten in Syrien ist allerdings seit Beginn des Bürgerskriegs katastrophal. Wer nicht geflohen ist, haust in Ruinen, oft fehlt das Notwendigste. Sie müssen dauernd, aufgerieben zwischen den Streitkräften des syrischen Regimes und den bewaffneten, meist islamistischen Gruppen der Opposition, um ihr Leben fürchten. Trotzdem wurde dem Bürgerkrieg bislang zugeschaut oder einzelnen Fraktionen geholfen, auch weil aufgrund des Konflikts vor allem mit Russland, das seine geostrategischen Interessen wahren will und durch die eigenmächtige Ausweitung der Libyen-Resolution durch die USA und ihre Alliierten zusätzlich misstrauisch wurde, der UN-Sicherheitsrat blockiert ist.

Erst die scheinbar plötzliche Ausbreitung des IS, die Gefahr, dass auch der irakische Staat vollends zerfallen könnte, die Massaker und die Massenflucht von Christen und Jesiden und vor allem die Köpfung von britischen und amerikanischen Geiseln haben die USA und andere Länder zu einer militärischen Intervention genötigt. Mit dem IS war ein Feind aufgetreten, der in seiner coolen Grausamkeit und Zerstörungswut dämonische Züge hatte und das Böse zu personifizieren schien, das eliminiert werden muss, weil es sich ansteckend auch in die westlichen Länder ausbreitet. US-Präsident Obama sprach denn auch vom IS als Krebs, der vernichtet werden muss.

Dazu kam, dass sich Kobane gleichzeitig auch im Würgegriff des Nato-Mitgliedsstaats Türkei befindet, die trotz des begonnenen Friedensprozesses mit der PKK die YPG als Terrororganisation betrachtet, die keineswegs im Bestreben, autonome Regionen in Syrien auszubauen, unterstützt werden soll. Zudem gehört die YPG nicht der Anti-Assad-Opposition an, die die Türkei unterstützt, und kooperierte auch mit der Freien Syrischen Armee. So soll die Türkei auch einen Grenzverkehr des IS geduldet haben, während die Grenzen zu den kurdischen Regionen dicht gemacht und bewacht wurden. Die Forderungen der Kurden, einen Korridor für Nachschub, Waffen und humanitäre Hilfe nach Kobane zu eröffnen, weist die Türkei zurück. Die türkische Repression der Kurden sowie deren Befreiungskampf setzt sich mithin fort und lodert wieder auf.

Verstärkt setzt YPG auf die kämpfenden Frauen. Bild: YPG

Die US-Koalition der Willigen hält sich hingegen mit Druck auf die Türkei zurück, auch wenn sich das Land unter Erdogan von einem demokratischen Rechtsstaat entfernt. Man beschießt nun zwar vermehrt in Absprache mit den Kurden IS-Stellungen und erschwert so auch Verstärkung. Das hat den Kurden verholfen, IS-Kämpfer zurückzudrängen, wird aber den Kampf nicht beenden. Interessant wird sein, ob auch syrische Kurden - und vor allem Frauen - zu den "gemäßigten" Oppositionellen gehören werden, die in der Türkei und in Saudi-Arabien für den Krieg gegen IS trainiert und ausgerüstet werden sollen.

Beeindruckend sind die Bilder, die Medienzuschauern präsentiert werden und auf denen türkische Soldaten und Menschen, die auch mit Gewalt daran gehindert werden, Hilfe zu leisten, den Kämpfen in Kobane zuschauen oder zuschauen müssen. Das macht das Ganze noch mehr zu einer Bühne, was vermutlich den Willen bestärkt, dass man nicht länger im Zuschauerraum passiv sitzen bleiben kann, weil das Schauspiel real ist (und gleichzeitig entzogen bleibt).

Umgeben von Feinden und Unentschlossenen, die keine wirkliche Hilfe gewähren, ist Kobane eine Falle und gleicht die Stadt einem bekannten gallischen Dorf, mit dem jeder Leser auch gegen die böse Supermacht sympathisiert. Die kurdischen Milizen werden im Kampf gegen das Böse verklärt, wie das gerne gegenüber Unterlegenen gemacht wird, die mit einer Übermacht konfrontiert sind, gegen die sie trotz aller Tapferkeit, aber mit ihren bescheidenen Mitteln eigentlich keine Chance haben. Bei den kurdischen Milizen kommt noch hinzu, dass bei diesen im Unterschied zu den islamistischen Männerhorden und auch zur von der islamischen AKP regierten Türkei auch viele Frauen mitkämpfen, es also nicht nur um einen Befreiungskampf eines Volkes, sondern auch um Emanzipation geht und um eine säkulare Insel im islamistischen Umfeld geht. Die YPG hat in den letzten Tagen erkannt, wie wichtig die Medienarbeit ist - und dabei auch die Rolle der kämpfenden Frauen besonders herausgestellt.

Es geht mir nicht darum, den Wunsch madig zu machen, den Menschen in Kobane zu helfen und entsprechenden politischen Druck auszuüben, so dass sie die Angriffe des IS zurückschlagen und ihre politischen Visionen in der Stadt und der ganzen Region Rojava umsetzen können. Doch die ganze Situation, wie sie in den Medien erscheint, triggert wie auf andere Weise das Kindchenschema fast automatisch durch Verklärung der einen Seite und Dämonisierung der anderen unbedingte Solidarität. Die kann dann auch dazu führen, wie das so oft wie in Afghanistan oder eben auch in Syrien geschehen ist, schnell den Feind des Bösen aufzurüsten, um dieses niederzuringen, nur um eine neue Macht zu schaffen.

Bild: YPG

Das Problem ist vermutlich erst einmal bei den syrischen Kurden nicht gegeben, die angeblich ihr politisches Modell auch nicht in einem unabhängigen kurdischen Staat verwirklichen wollen, wie dies die irakischen Kurden anstreben, die mit Waffen beliefert werden. Aber bei aller Solidarität bleibt kritische Distanz wichtig, zumal in einem Kriegsgebiet alle Fraktionen um Macht und Kontrolle kämpfen, d.h. Gewalt anwenden.

Nach einem AP-Bericht haben angeblich Sicherheitskräfte, genannt Asayish, im Kanton Jazeera Hunderte von jungen Männern aufgegriffen und den YPG-Milizen übergeben. Sie sollen nun in Schulen interniert sein, um sie zu trainieren. Im Juli war entschieden worden, dass ein sechsmonatiger Militärdienst verpflichtend ist, nicht nur für Kurden, sondern auch für die dort lebenden Christen und Armenier. Offenbar ist, wie der Bericht suggeriert, die Bereitschaft nicht mehr so hoch, freiwillig als Kämpfer zu dienen. Es sind nun eben auch die Risiken gewachsen. AP zitiert Mustafa Osso, ein Mitglied des Nationalen Kurdischen Rats, nach dem Kontrollstellen eingerichtet wurden und Hausdurchsuchungen stattfanden. Bislang habe man 700 Männer unter 30 Jahren festgenommen: "Das ist direkt mit dem verbunden, was in Kobani geschieht." Bislang habe man auf Freiwillige zurückgegriffen, wenn nun die jungen Männer gezwungen werden, würde dies zur Migration führen. Syrische Menschenrechtsgruppen protestieren gegen das Vorgehen und fordern die Freilassung der Inhaftierten.