Syrien: "Neue Möglichkeiten" der USA mit Ahrar al-Sham?
- Syrien: "Neue Möglichkeiten" der USA mit Ahrar al-Sham?
- Israel und Russlands Auftritt in Syrien
- Auf einer Seite lesen
Die Regierung erwägt nach dem Desaster mit "moderaten Kämpfern" nun die Unterstützung einer syrisch-arabischen Koalition, in der extremistische Gruppen federführend sind. Russland wird das nicht gefallen
Der Plan "Bodentruppen mit moderaten Rebellen" ist gescheitert, daran ändert auch die kleine Korrektur nichts grundsätzliches, die gestern gemeldet wurde (Bügelt das Pentagon schnell die Schlappe mit seinen syrischen Kämpfern aus?). Im Pentagon wird an einer Kurskorrektur gearbeitet, wie dies nun über Medien lanciert wird. Nichts Spruchreifes, ein Testballon, um Akzeptanz in der Öffentlichkeit für Koalitionen vorzubereiten, die genau genommen unakzeptabel sind? Danach sieht es aus.
Die USA stehen unter Druck. Der Andrang der Flüchtlinge in Europa hat den Krieg in Syrien und die Rolle der USA neu in den Blickpunkt gerückt. Der transatlantische Partner ist mitverantwortlich. Welche Lösungen bietet Washington für das Schlamassel in Syrien und im Irak an?
Nach Informationen der Washington Post hat man in Kreisen des Pentagon die nächste gute Botschaft gefunden, mit der eine dubiose Strategie verkauft werden soll: Man habe nun Gelegenheiten, gegen Raqqa vorzugehen und dem IS die ganze türkisch-syrischen Grenze zu entziehen, zitiert die Zeitung ungenannte Quellen aus der Regierung.
"Der Schlüssel ist mehr Feuerkraft"
Wie sich diese Gelegenheiten, mit denen man "nicht gerechnet" habe, genau begründen, wird nicht erläutert, dafür aber die Pläne skizziert, wie das erreicht werden soll. Erstens würde nicht mehr "Iraq first" gelten, sondern die Strategie mehr auf Syrien ausgerichtet werden. Was wesentlich damit verbunden sein dürfte, dass sich Russland dort stärker engagiert, das aber wird im Bericht nicht erwähnt.
Stattdessen wird an einem "Tabu" gerüttelt: die Versorgung von syrischen Kampftruppen mit mehr Waffen und Unterstützung, die keine moderaten Kämpfer sind. Im Zeitungsbericht wird der "Tabubruch" mit allen möglichen Einschränkungen versehen: Die Regierung erwäge Waffen und Munition an ein größeres Spektrum von Rebellengruppen zu liefern und die Standards zur Sicherheitsüberprüfung ("vetting") zu lockern.
Das könnte dann so aussehen, fährt der Bericht im Strategie-Skizzen-Modus fort, dass künftig nicht mehr einzelne Kämpfer genau überprüft werden, sondern nur mehr die Führer von Einheiten. Das Wegkegeln von bisher geltenden, zumindest proklamierten, Beschränkungen wird mit dem niedlich harmlosen Zitat eines US-Offiziellen untermalt:
The key thing is getting them some [expletive] bullets.
Die nächste Verharmlosung zeigt sich in der Aussage zur anvisierten Zielgruppe: Das Weiße Haus könnte entscheiden, dass Waffen und Ausstattung an eine "syrisch-arabische Koalition" gehen, "ein Verband mehrerer tausend Kämpfer im syrischen Norden".
Gemeint sein kann damit nur die Jaish al-Fatah (bzw. Jaish al Fateh) - Koalition, die man allein anhand der Gruppen, die dort eine tragende Rolle spielen, nur als extremistisch bezeichnen kann: Ahrar al Sham mit jüngst neu beglaubigten Verbindungen zu al-Qaida oder die Nusra-Front, die erst vor ein paar Tagen mit Ahrar al Sham und Jund al Aqsa zusammen Angriffe auf die Idlib-Provinz in Syrien ausgeführt hat. "Alle diese Gruppen gehören zur dschihadistischen Koalition", erklärt das US-amerikanische Long War Journal. Dass Regierungsmitglieder von den Hintergründen der Koalition keine Kenntnis haben, ist ausgeschlossen.
Auch das "Regierungsprogramm" dieser Koalition, als deren politischer Arm sich das Revolutionary Command Council ausgibt oder ausgeben will - solche Verhältnisse sind fluide, die Ideologie bleibt - ist hardline islamistisch.
Im Zeitungsbericht wird dann nochmal deutlich erklärt, dass die Regierungsquellen wissen lassen, es sei ja noch keine Entscheidung gefallen. Doch allein, dass Gedanken in diese Richtung angestellt werden, zeigt, dass die Erfahrungen, die die USA mit der Unterstützung afghanisch-arabischer bewaffneter Gruppen gemacht haben - und die fatalen Konsequenzen daraus -, nicht als "lessons learned" gelten, die im Weg stehen sollen.
Ahrar al-Sham, Partner der Türkei
In diesem Zusammenhang ist Ahrar al-Sham bereits aufgefallen. Die Gruppe verfügt über exzellente Kontakte in Washington, was ihr gestattete in der Washington Post einen Artikel unterzubringen, in dem sie sich als Partner in Syrien für die USA anbot (Link auf 45451). Das Unternehmen Umcodierung bestimmter Dschihadistengruppen läuft also schon länger. "Wir sind nicht vom Mars", verbreitete auch die Financial Times die Image-Korrektur von Ahrar al-Sham weiter.
Der aktuelle Bericht der Washington Post lässt im Übrigen mit der Bemerkung, wonach die CIA ein eigenes Programm zur Bewaffnung und Ausstattung von "syrischen Rebellen" fährt, befürchten, dass die Gruppe jetzt schon nicht nur bei der PR-Arbeit in Washington amerikanische Unterstützung widerfährt.
Als gesichert gilt, dass Ahrar al-Sham mit der türkischen Regierung in engem Verhältnis steht. Laut dem US-Magazin War on the Rocks räumt Ankara der Miliz eine wichtige strategische Rolle bei der türkisch-syrischen Grenze und in Nordsyrien ein, was sich aber dann mit Interessen der USA doch nicht gut vertragen würde.
Konfliktstoff gibt es beim Zusammenspiel Türkei und USA ohnehin durch die syrischen Kurden, die sich im Kampf gegen den IS ausgezeichnet haben, sich also als Verbündete der USA anbieten würden, aber aktuell Feindpriorität bei der türkischen Regierung haben.