Syrien: Plant die Türkei einen Einmarsch in Afrin?

Seite 2: Afrin bittet um internationale Unterstützung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Sinem Mohamed, die Europavertreterin für Rojava bzw. der "nordsyrischen demokratischen Föderation", bat am Donnerstag in Hamburg auf einer Veranstaltung zum G20-Gipfel alle demokratischen Staaten um Unterstützung für Rojava und Afrin. Sinem Mohamed, die selbst aus Afrin stammt, berichtete, dass während Erdogan in Hamburg am G 20-Gipfel teilnehme, die Türkei Afrin unter permanenten Artilleriebeschuss halte.

Am Mittwoch starben dadurch 5 Zivilisten - drei Frauen und zwei Kinder. Weiterhin baue die Türkei auf syrischem Territorium eine Mauer um Afrin. 5.000 Olivenbäume syrischer Bauern aus Afrin seien von der türkischen Armee bereits dafür gefällt worden. Die türkischen Angriffe dienten nicht dem Kampf gegen den IS oder Assads Armee - die betroffenen Dörfer seien frei und sicher. Sie dienten einzig und allein dem Kampf gegen die Föderation Nordsyrien.

Die Türkei bringe mit ihrem Beschuss und der Besetzung syrischen Territoriums noch mehr Leid und Unruhe ins Land. Sinem Mohamed stellte an die Teilnehmer des G 20-Gipfels die Frage, warum die Welt akzeptiere, dass die Vertreter der Nordsyrischen Föderation nicht an den Genfer Gesprächen teilnehmen dürfen, nur weil Erdogan dies nicht wolle. Schließlich seien sie diejenigen, die den IS in der Region am erfolgreichsten bekämpfen würden.

Weitere kurdische Politiker aus Afrin riefen am Montag die Internationale Gemeinschaft um Hilfe, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) berichtete. Via Internet wandten sie sich an Europa. Die alawitisch-kurdische Präsidentin des Kantons, Hevi Mustafa, bat die GfbV, die deutsche und europäische Öffentlichkeit über den "ungerechtfertigten barbarischen Krieg von Recep Tayyip Erdogan gegen die Zivilbevölkerung" in Nordsyrien zu informieren.

Furcht vor Vertreibung Zehntausender

Der selbst aus der Region stammende Nahostexperte der GfbV, Kamal Sido, befürchtet die Vertreibung von hunderttausenden Kurden und zehntausenden arabischen Flüchtlingen. Denn mittlerweile leben in der Region über eine Million Menschen, die Hälfte davon sind syrische Binnen-Flüchtlinge. Die Mehrheit der kurdischen Einwohner sind sunnitische Muslime, die mehrheitlich die Politik der PYD unterstützen. Neben verschiedenen arabischen Stämmen leben in der Region auch einige tausend Eziden in verschiedenen Dörfern. Es gibt auch ein kurdisch-alawitisches Dorf mit ca. 5.000 Einwohnern in Afrin.

Hacı Ehmed, der Kommandant der lokalen Jaysh Al Thuwar Brigade, die sich den SDF angeschlossen hat, berichtet in einem Interview mit ANF über die türkischen Vorbereitungen einer Annexion Afrins und der Sheba-Region. Die Bevölkerung in der von der Türkei besetzten Sheba-Region sei inzwischen gegen die Türken. Sie hätten gemerkt, dass es sich im Grunde um eine türkische Annexion handle.

Erst sei die Bevölkerung der türkischen Armee gegenüber positiv eingestellt gewesen, da sie sich eine Befreiung von den Islamisten erhoffte. Anfänglich habe die FSA und danach der IS die Region terrorisiert. Als die Türken kamen und der IS den Türken das Gebiet übergeben hätte, sei den Bewohnern bewusst geworden, dass sich mit den Türken nichts ändern würde. Sie hätten verstanden, dass es der Türkei nicht darum geht, die Bevölkerung vom Terror der Islamisten zu befreien, sondern darum, Stützpunkte für Angriffe gegen die kurdische Bevölkerung aufzubauen.

Die SDF mit ihren alliierten Truppen seien jedoch hochmotiviert, den "Großenkeln der Osmanen" kein Stück ihres Landes zu überlassen. Diese Äußerung sollte die Türkei als Warnung begreifen. Es scheint, dass nicht nur die Militärs der nordsyrischen Armee entschlossen sind, sich einer Annexion entgegenzustellen.

Die ansässige Bevölkerung, die nicht nur aus Kurden besteht, scheint es ebenfalls satt zu haben, von der Türkei bevormundet und indoktriniert zu werden. Ein türkischer Angriff auf Afrin wäre für die nach den Säuberungen des letzten Jahres stark geschwächte türkische Armee alles andere als ein Spaziergang, der nicht nur innenpolitisch unabsehbare Konsequenzen hätte.

Auch außenpolitisch könnte die Lage schnell außer Kontrolle geraten, wenn ein NATO-Mitglied für alle Welt sichtbar ein Nachbarland offen angreift, um vermeintlich sein Kurdenproblem zu lösen. Die entscheidende Frage angesichts von "Afrin im Würgegriff" (Frankfurter Rundschau) wäre, ob es noch jemanden gibt, der bereit und fähig ist, Erdogan zu stoppen.