Syrien: Türkei und USA wieder auf Konfrontationskurs
Die unter hohem Druck stehende türkische Regierung versucht, die USA zu einer Entscheidung für oder gegen die syrischen Kurden zu zwingen
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In Syrien bahnt sich zunehmend ein offener Konflikt zwischen der Türkei und den USA ab, wobei Russland kräftig mitmischt. Die mehrheitlich kurdischen Verbände der SDF haben es ebenso wie die syrischen Truppen nicht geschafft, vor den türkischen Soldaten mit ihren Milizen, meist islamistische Gruppen, u.a. Ahram a-Sham, Al Bab einzunehmen. Die Türkei hat wohl auch mit dem Islamischen Staat, wahrscheinlich über die islamistischen Kämpfer in den eigenen Reihen, eine Vereinbarung getroffen, um die strategisch wichtige Stadt nach langen Kämpfen zu erhalten.
Die Türkei versucht mit allen Mitteln, seitdem sie in Nordsyrien einmarschiert ist, den von Oppositionsgruppen und islamistischen Milizen gehaltenen Korridor von der türkisch-syrischen Grenze in den Süden Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Die syrischen Kurden der SDF setzen ihrerseits alles daran, diesen Korridor zu schließen, über den der IS und andere Gruppen aus der Türkei ihren Nachschub erhalten, um die von der YPG kontrollierten Gebiete zu verbinden und so die Enklave Afrin besser zu schützen. Das wäre auch ein zusammenhängendes Gebiet unter kurdischer Kontrolle an der Grenze zur Türkei, das man in Ankara noch stärker fürchtet als den IS.
Der Vormarsch der von den USA unterstützten SDF westlich des Euphrat und schließlich die Vertreibung des IS aus der Stadt Manbij (Manbidsch) im August 2016 führte bereits zu einem schweren Konflikt mit der Türkei. Die türkische Regierung verlangte den Rückzug der Kurden an den Euphrat, die Stadt sollte nur von arabischen Stämmen verwaltet werden. Die USA sicherten dies zu und die Kurden stellten einen so genannten Militärrat auf, dem sie die Macht übergeben haben wollen. Gleichzeitig kündigten SDF-Verbände an, auch Dscharablus einnehmen zu wollen. Das hatte zur Folge, dass die Türkei dem zuvorkam, die vorbereitete Operation "Schutzschild Euphrat" startete und in Syrien mit der Hilfe von Milizen einmarschierte. Zuvor hatte sie SDF-Stellungen bereits von der Grenze aus mit Artillerie beschossen. Ähnlich wie im Fall von Al Bab zog sich der IS aus Dscharablus zurück, während die türkischen Verbände das Grenzgebiet einnahmen und schließlich gegen Al Bab vorrückten.
Manbij blieb noch außen vor, da es sich die Türkei nicht ganz mit den USA verderben wollten. Schon seit einiger Zeit hatte Präsident Erdogan erklärt, dass türkische Truppen an der Offensive auf Raqqa beteiligt sein müssen bzw. die Führung übernehmen sollen, um die SDF, die bislang mit US-Unterstützung aus der Luft und am Boden Richtung Raqqa vorgerückt sind, zu stoppen. Nach der Einnahme von Al Bab erklärte nun die türkische Regierung erst einmal Richtung Manbij auf dem Weg nach Raqqa vorzurücken.
Erdogan: "Jetzt ist die Zeit für Manbij gekommen"
Offensichtlich durchkreuzt dies nicht nur die Interessen der USA, sondern auch die des mit der Türkei verbündeten Russland. Angeblich hat der Militärrat von Manbij, der mit den SDF paktiert, erklärt, nach einem Abkommen mit Russland Gebiete im Westen von Manbij den syrischen Regierungstruppen zu überlassen. Es soll dabei um den Schutz von Zivilisten gehen, verhindert werden soll aber, dass die Türkei das Gebiet besetzt. Schon bei der Offensive auf Al Bab war es zu Kämpfen zwischen syrischen Truppen und den von der Türkei unterstützten Milizen gekommen. Kämpfe zwischen den SDF und den von der Türkei unterstützten Gruppen, die von der Türkei stets der Freien Syrischen Armee, mittlerweile einem Phantom, zugerechnet werden, finden nun auch westlich von Manbij statt, die Türkei greift mit Artillerie gegen die Kurden ein.
Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu nahm kein Blatt vor den Mund und warnte, dass die Türkei angreifen werde, wenn die YPG bzw. die SDF nicht Manbij verlassen: "Wir wollen nicht, dass die USA weiter mit einer terroristischen Organisation kooperieren, die uns angreift", sagte er Richtung Washington. Und der türkische Premier Yildirim stellte zum wiederholten Male die USA vor die Wahl, sich für oder gegen die Türkei zu entscheiden. Und Erdogan erklärte: "Jetzt ist die Zeit für Manbij gekommen, das den Arabern und nicht der PYD oder YPG gehört."
Diese Entscheidung zu erzwingen, hatte die türkische Regierung schon lange versucht. Aber sie könnte nun die Situation mit der frisch angetretenen US-Regierung in Syrien nutzen, um die Lage für sich zu drehen, so lange die US-Regierung noch nicht ihren Plan zur Niederschlagung des IS ausgearbeitet hat. Verteidigungsminister Mattis soll die Grundzüge bereits dem Nationalen Sicherheitsrat vorgetragen haben. Aber die Lage im Nahen Osten mit den vielen konfligierenden Interessen von Groß- und Regionalmächten ist äußerst schwierig. Eine Chance für einen Schnitt gäbe es im Grunde nur, wenn Russland und die USA gemeinsam eine Lösung durchziehen, so dass die Türkei, die syrische Regierung, die Kurden, die syrischen Milizen, der Iran, Saudi-Arabien und die Golfstaaten ihre Interessen hintanstellen müssen. Gerade allerdings kam es zu einer Verstimmung, weil das Pentagon dem russischen Militär vorwarf, "unabischtlich" SDF-Stellungen bombardiert zu haben, was Russland aber abstreitet.
Die Türkei und die USA verhandeln weiter über die Offensive auf Raqqa. Die Türkei stellt die Bedingung, dass die Kurden davon ausgeschlossen werden, die allerdings die effektivsten Bodentruppen der USA darstellen. Bislang ist nicht zu erkennen, dass sich dies unter Trump bzw. Mattis geändert hat. Generalleutnant Stephen Townsend, der Kommandeur der Operation Inherent Resolve in Syrien und im Irak, erklärte, die YPG würden keine Bedrohung der Türkei darstellen. Sie hätten kein Interesse, die Türkei anzugreifen und den Wunsch, gute Beziehungen zur Türkei aufzunehmen.
Das aber wird die türkische Regierung nicht überzeugen, die die YPG und die SDF als Verbündete der PKK betrachtet und um jeden Preis verhindern will, dass die Kurden in Syrien womöglich einen eigenen Staat einrichten könnten. Im Südosten des Landes führt die Regierung einen Krieg gegen die PKK, den sie auch benötigt, um die Opposition im Land unter Druck zu setzen bzw. zu unterdrücken. Die Ablehnung der "Verfassungsreform" zum Ausbau der Herrschaft von Präsident Erdogan wird als Unterstützung des Terrorismus verstanden, wie gerade wieder Innenminister Süleyman Soylu deutlich machte. Die Angewiesenheit der AKP-Regierung auf den Terrorismus durch Vermischung von PKK, Gülen, IS, Kurden und jede Opposition, macht die Türkei höchst gefährlich und unberechenbar.