Syrien und die US-Sanktionen

Die US-Regierung setzt Syrien unter Druck, aber die Sanktionen tragen zur Polarisierung im Nahen Osten bei; Libyen versucht hingegen einen anderen Weg einzuschlagen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Noch in der letzten Novemberwoche unterzeichnete der syrische Ölminister, Ibrahim Haddad, einen Vier-Millionen-Dollar-Vertrag mit der geophysikalischen Firma "Veritas", die an der syrischen Mittelmeerküste nach Öl suchen sollte. Bereits im Mai diesen Jahres hatte Syrien zwei weitere US-amerikanische Firmen, "Devon Energy" und "Gulf Sands Petroleum", beauftragt, in der im Nordosten des Landes gelegenen Kamishli-Region Öl zu finden und gegebenenfalls auch zu fördern.

Diese Verträge sind nun hinfällig, nachdem sich der US-amerikanische Präsident George W. Bush endgültig für Sanktionen gegen das arabische Land entschieden hat. In Zukunft gilt für US-Firmen ein Investmentverbot in Syrien. Direkter Nutznießer dieser Maßnahme wird "Petro-Canada" sein, das erst Mitte November ein Forschungs- und Produktionsabkommen mit dem syrischen Ölministerium abgeschlossen hat. Auf das kanadische Unternehmen warten nun weitere Aufträge. Syrien produziert 500.000 Barrel Rohöl pro Tag und die noch in der Erde schlummernden Reserven schätzt man auf insgesamt 2.5 Milliarden Barrel.

Der syrische Präsident Bashar Assad prognostizierte zu Recht, dass ein Handelsembargo eher den USA schaden wird als Syrien, dessen Wirtschaft größtenteils vom Ölexport abhängt. Der Handel mit den USA spielt für Syrien, das 2002 seine Exporterlöse um 57 Milliarden syrische Pfund (1.14 Milliarden Dollar) steigern konnte, nur eine untergeordnete Rolle. Zudem steht sein Land gerade vor dem Abschluss eines Wirtschaftsabkommens mit der EU. Ziel ist die Liberalisierung des gemeinsamen Handels und eine Intensivierung des bisher sich jährlich auf 6 Milliarden Dollar belaufenden Handelsaufkommens. Für das Jahr 2010 ist die Integration Syriens in die Euro-Mittelmeer-Freihandelszone angesetzt.

Syrien will nicht als Feind der USA und Unterstützer des Terorismus auftreten

Ob dieser Plan Wirklichkeit wird, hängt nun in erster Linie von den USA ab, die mit ihren Sanktionen mehr politischen als wirtschaftlichen Druck ausüben wollen. Man möchte sich Syrien, in der Region neben dem Iran der wichtigste dissidente Staat zur amerikanischen Nahost-Politik, "gefügig" machen. Assad soll sich der amerikanischen Israel-Politik anpassen. Ansonsten droht womöglich nach Afghanistan und dem Irak die nächste Invasion eines arabischen Landes.

Im Juni 2004 soll die Demokratisierung, Stabilisierung und politische Selbständigkeit des Iraks abgeschlossen sein. Dann wären erneut große US-amerikanische Truppenkontingente einsatzbereit, um das Nachbarland Syrien zu besetzen. In den meisten arabischen Ländern erkennt man die US-Sanktionen als weiteren Teil der israelisch-amerikanischen Weltverschwörung gegen die arabische Welt. Im Libanon spricht man von der "Komplizenschaft der USA mit Israel" und einem erneuten Sieg der "jüdischen Lobby im Washington". Und der Sprecher des libanesischen Parlaments meinte, die Sanktionen hätten nur das Ziel, Syrien in seiner führenden Rolle im Nahen Osten zu unterminieren.

Über eine mögliche Invasion macht sich der syrische Präsident Bashar Assad wenig Gedanken. "Was im Irak passiert, betrifft alleine den Irak, nicht Syrien", sagte er bei seinem Staatsbesuch dieser Woche in Griechenland. "Es gibt keinen Anlass zu glauben, dass das, was im Irak passierte, sich auch in Syrien ereignen könnte."

Man weiß nicht, ob das nur der übliche Zweckoptimismus ist, den Regierungschefs verbreiten, sobald sie in die Schusslinie der USA kommen. Anlass zur Beunruhigung hätte Bashar Assad in jedem Fall, gleichen sich doch die diplomatischen Schritte und die Vorwürfe der USA aufs Haar genau mit denen, die gegen den Irak vorgebracht wurden: Unterstützung von Terrorismus und der Besitz bzw. der Versuch zur Produktion von Massenvernichtungswaffen.

Tatsächlich sind aber in den letzten Monaten Zeichen und Töne aus Damaskus sichtlich versöhnlicher geworden. "Es gibt viele Unterschiede zwischen uns, aber wir verstehen die USA nicht als unseren Feind", sagte Assad der Zeitung "Kathimerini" in einem Interview. Der syrische Geheimdienst und die CIA arbeiten, laut Assad, eng zusammen, was vor nicht allzu langer Zeit undenkbar gewesen wäre. Man habe den USA Informationen übermittelt, die sieben Attentate gegen amerikanische Ziele verhindert hätten, erklärte der syrische Präsident vor kurzem der New York Times. Und schon lange würde Damaskus keine militanten Islamisten mehr in den Irak lassen, obwohl es natürlich schwierig sei, die 480 Kilometer lange Grenze zu überwachen.

Bei jeder sich bietender Gelegenheit weist man der Vorwurf der "Unterstützung von Terroristen" strikt zurück. "Wir haben nie die Hisbollah oder irgendeine andere Gruppe materiell oder militärisch unterstützt. Wir sind übrigens auch nie danach gefragt worden. Es wäre auch gegen die politischen Prinzipien Syriens." Zur Untermauerung ließ Bashar Assad sämtliche Büros radikaler palästinensischer Organisationen, wie die der Hamas oder der PLFP, schließen. "Es gibt keine Hauptquartiere von palästinensischen Gruppen in Syrien", hieß es wenig später in einer offiziellen Stellungnahme des Präsidentenpalastes.

US-Sanktionen verstärken die Konflikte

Bei allen versöhnlichen Zeichen in Richtung USA, die Positionen im Hiblick auf Israel und Palästina bleiben unverrückbar. Syrien möchte die Golan Höhen und die Shebaa Farmen sollen zurück an den Libanon. Als Gegenleistung würde man Israel dafür Sicherheitsgarantien geben, was schon einige Monate vor Bashar Assads Regierungsantritt im Jahr 2000 verhandelt worden war. Die von den USA vorgeschlagene Ansiedelung der Palästinenser in den Ländern der Flüchtlingslager wird kategorisch abgelehnt, die vertriebenen Palästinenser haben ein Recht auf die Rückkehr in ihr Heimatland. Jerusalem ist die Hauptstadt eines zukünftigen Staates Palästina, das israelische Militär ist eine Okkupationsarmee und die PLO, Hamas oder auch Hisbollah, sind Widerstandsorganisationen, keine Terroristen.

Mit dieser Position ist und bleibt Syrien auf direktem Konfliktkurs mit den USA und Israel. Kompromisse sind von israelisch-amerikanischer Seite gerade zur Zeit nicht denkbar. Die Sanktionen sind ein weiterer Schritt zur Polarisierung im Nahen Osten, ein weiterer Schritt in die Sackgasse. Nicht zu Unrecht sagte Rafik Hariri, der amtierende libanesische Premier Minister: "Die Sanktionen gegen Syrien komplizieren nur mehr die Situation in der Region und verhindern jeden Fortschritt in der Lösung des jahrzehntelangen arabisch-israelischen Konflikts".

Solange es im Irak keine Stabilisierung in Sicht ist, hat Syrien "Schonzeit". Danach deutet manches darauf hin, dass die USA wie im Irak eine militärische Lösung des Konflikts suchen könnten. Der "Krieg gegen den Terror" und die "Gefahr von Massenvernichtungswaffen" machen alles möglich. Angesichts der jüngsten US-amerikanischen Politik im Mittleren Osten steht zu bezweifeln, dass sich George W. Bush über die Konsequenzen seiner Entscheidungen bewusst ist. Mit einer Invasion Syriens würde er dann vollends schaffen, was ihm im Irak bisher nur teilweise gelungen ist. "Kein Palästinenser, kein Araber oder Muslim wird untätig beiseite stehen", erklärte vor wenige Tagen der Hamas-Offizielle, Mohammed Nazzal in einem palästinensischem Flüchtlingslager in Beirut zum 16-jährigen Bestehen der Organisation, "wenn es nur eine einzige, weitere Aggression gegen irgendeinen arabischen Staat geben sollte."

Möglicherweise aber ist der Schritt Libyens, seine Massenvernichtungswaffen nach Vereinbarung mit britischen und amerikanischen Experten zu vernichten, ein Schritt, der die Region langfristig verändern könnte. Das Land, das nicht nur über chemische Waffen verfügte, sondern offenbar auch ein weit fortgeschrittenes Atomwaffenprogramm hatte, werde internationale Inspektionen zulassen. Libyen rief andere Länder dazu auf, seinem Beispiel zu folgen. Muammar al Gaddafi versprach, dass Libyen eine Rolle beim Aufbau einer freien Welt ohne Terrorismus spielen werde. Allerdings hieß es, dass im Nahen Osten keine "doppelten Maßstäbe" bei der Abrüstung vorherrschen dürften, ein klares Signal an Israel und die USA, was die israelischen Atomwaffen betrifft.

US-Präsident Bush sieht die Entscheidung Libyens als Erfolg seiner harten Politik und versprach dem Land, dass seine Initiative sich auszahlen werde. Gaddafi hatte allerdings schon vor dem 11.9. begonnen, sich vom Terrorismus zu distanzieren und das Land wieder mehr dem Westen anzunähern (Gaddafi zur Welt).