TTIP: Verdammt, die Zombies kommen?

Trump mit Merkel-Raute beim Treffen am 17 März 2017. Foto: Weißes Haus/ gemeinfrei

Ein handelspolitischer Leichnam scheint im Vorfeld der US-Visite von Bundeskanzlerin Angela Merkel reanimiert zu werden

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Die Bundeskanzlerin muss sich auf ein paar harte Stunden am Potomac gefasst machen. Es werde eine schwere Staatsvisite sein, die Angela Merkel am kommenden Freitag, den 27. April, in Washington bevorstehe, orakelte die Nachrichtenagentur Reuters im einem Vorbericht.

Berlin und Washington hätten substanzielle Meinungsunterschiede bei einer Reihe von handels- und geopolitischen Fragen, die bei dem Treffen in "harten Gesprächen" erörtert würden: vom iranischen Atomprogramm bis zu den drohenden Strafzöllen auf europäische Aluminium- und Stahlprodukte.

Der nüchtern gehaltene Arbeitsbesuch von Merkel kontrastiere mit den freundschaftlichen Staatsvisiten von Frankreichs Präsident Macron, der kurz vor Merkels Arbeitsbesuch über drei Tage in den USA weilt, und derjenigen des japanischen Premiers Shinzo Abe, so Reuters. Dennoch hat Merkels "transatlantischer Koordinator" Peter Beyer dem Eindruck widersprochen, die Bundeskanzlerin erwarte in Washington eine "minderwertige Behandlung" gegenüber ihrem französischen Amtskollegen.

Es gebe keine Zeit, die auf "Etikette" zu verschwenden wäre, so Beyer, der ebenfalls eingestehen müsste, dass die Gespräche sich "nicht einfach" gestalten würden. Dabei sei für Berlin die "Handelsfrage" das mit Abstand "dringendste Problem", erklärte Beyer im Hinblick auf die drohenden US-Strafzölle.

Sollte bis zum 1. Mai keine handelspolitische Einigung zwischen den USA und der EU erzielt werden, drohen die US-Zölle auf Aluminium und Stahl in Kraft zu treten, die vor allem deutsche Unternehmen treffen. Berlin will offensichtlich auf Zeit spielen und hofft darauf, am 27. April einen weiteren Aufschub zu erhalten: Es sei "illusionär", alle Handelsprobleme bis zum Monatsende zu lösen, so Beyer. Das Zeil sei, kurzfristig eine Verlängerung der Ausnahmeregelung für die EU zu erreichen und langfristig eine generelle Befreiung der EU von Washingtons Strafzöllen zu erreichen.

Zum einen hofft Berlin, vom aufkommenden US-Protektionismus durch eine gemeinsame Frontstellung gegenüber China verschont zu werden, wie Bloomberg berichtete. Eine "gemeinsame Front" von Washington und Berlin, womöglich im Rahmen der G7, könnte bei den zunehmenden handelspolitischen Auseinandersetzungen "China entgegenwirken", so Bloomberg unter Verweis auf entsprechende Äußerungen Beyers.

Der rhetorische Umschwung ist jedenfalls schon im vollen Gang: Kanzlerin Merkel hat bereits auf der diesjährigen Cebit weitere Steuererleichterungen für Unternehmen und Konzerne in Aussicht gestellt, die ausdrücklich mit der zunehmenden ökonomischen Konfrontation mit der Volksrepublik begründet wurden.

Wird TTIP reanimiert?

Indes deutet sich an, welchen Deal die Bundesregierung dem Weißen Haus anbieten wird, um den Zugang zu dem wichtigen amerikanischen Absatzmarkt nicht zu verlieren. Das Wall Street Journal (WSJ) berichtete unlängst von einem "Friedensangebot der EU", dass die Wiederbelebung des unter der Obama-Administration gescheiterten Transatlantischen Handelsabkommens beinhaltet.

Der deutsch-europäische Vorschlag sieht die Absenkung der europäischen Zölle für US-amerikanische PKW, den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in den Vereinigten Staaten für EU-Konzerne sowie ein gemeinsames Vorgehen gegen China im Handelskrieg vor.

Ein zentrales Element dieser angepeilten strategischen Allianz, so das WSJ, sei eine "verkleinerte, vereinfachte Version" des gescheiterten transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP (Trans-Atlantic Trade and Investment Partnership), das auf Initiative der Obama-Administration die EU langfristig in einer transatlantischen Handelspartnerschaft an die USA binden sollte - und das maßgeblich am Widerstand Berlins scheiterte.

Die abrupte Kehrtwende wurde vor allem von der deutschen Wirtschaft eingefordert. Bereits kurz nach Bekanntgabe der US-Strafzölle haben sich deutsche Wirtschaftsvertreter, wie etwa DIHK-Präsident Eric Schweitzer, in banger Sorge um die Exportindustrie für eine "Wiederbelebung des TTIP-Abkommens" ausgesprochen. Wenige Wochen nach diesen Weisungen deutscher Wirtschaftsvertreter folgte dann das vom WSJ thematisierte "europäische" Friedensangebot.

Inzwischen sendet auch Washington entsprechende Signale. Ende März erklärte etwa US-Handelsminister Wilbur Ross gegenüber Bloomberg, die Trump-Administration sei durchaus bereit, Verhandlungen über TTIP wieder aufzunehmen.

Donald Trump habe nur das pazifische Handelsabkommen aufgegeben, nicht aber TTIP, erklärte Ross. Dies sei absichtlich und offen als ein "Signal" erfolgt, die auf Eis liegenden Verhandlungen abermals aufzunehmen. Man sei in Washington "offen für Diskussionen mit der Europäischen Kommission".

Den rasch einsetzenden Stimmungswandel gegenüber TTIP innerhalb der deutschen Öffentlichkeit thematisierte jüngst die NZZ unter Verweis auf eine neue Umfrage der Bertelsmannstiftung. Demnach seien die Deutschen in Punkto TTIP "reumütig" geworden.

Die Zustimmung zu Freihandelsabkommen sei wieder stark angestiegen: die liege derzeit bei rund 70 Prozent. Berlin habe beim Scheitern der Verhandlungen eine "großartige Chance" verpasst, behauptet die NZZ.

Protektionismus und drohende Rezession

Die Bereitschaft Berlins, wieder über eine strategische, langfristige Anbindung an Washington im Rahmen einer transatlantischen Allianz zu verhandeln (diese geopolitischen Zielsetzung verfolgte TTIP aus US-Sicht), gründet in der Wirtschaftsstruktur des "Exportüberschussweltmeisters" Deutschland.

Jahrelang hat sich Berlin in einer globalisierten Weltwirtschaft darauf spezialisiert, mittels extremer Handelsüberschüsse und einer klassischen Beggar-thy-Neighbour-Politik die eigene Wirtschaft auf Kosten anderer Länder und Wirtschaftsräume zu sanieren und zu expandieren.

Exportüberschüsse fungieren aber auch als Exporte von Arbeitslosigkeit, Schulden, letztendlich Deindustrialisierung. Deutschland Prosperität und der sozioökonomische Kollaps in weiten Teilen der Eurozone nach Ausbruch der Eurokrise bildeten somit nur zwei Seiten desselben Prozesses.

Solange die Grenzen offen blieben für den Warenverkehr, war gegen diese Strategie - die zuerst die Eurozone verheerte, und nach dem Krisenausbruch global wirkte - kaum ein wirksames Abwehrmittel gegeben. Auf Grundlage seiner ökonomischen Beggar-thy-Neighbour-Politik konnte Berlin seinen machtpolitischen Führungsanspruch im "deutschen" Europa anmelden und seine Politik, in Gestalt des Schäublerischen Sparregimes, durchsetzen.

Doch mit dem durch Trump vollzogenen Umschwung zum offenen Protektionismus, der die Option der selektiven Abschottung von Märkten denkbar macht, verliert die deutsche Beggar-thy-Neighbour-Politik ihre Wirksamkeit. Im Gegenteil: Der einstmalige Vorteil einer extremen Exportfixierung in einem globalisierten Weltsystem wandelt sich nun in einen strategischen geopolitischen Nachteil.

Berlin - wo man sich längst daran gewöhnt hat, geschundenen "Schuldenländern" wie Griechenland knallharte Ultimaten zu stellen - sieht sich nun selber mit Forderungen, Ultimaten und Deadlines konfrontiert, da ansonsten der Verlust des Marktzugangs droht.

Brutal ehrlich formulierte es beispielsweise die Washington Post, wo die einseitige Exportausrichtung der Bundesrepublik mittels Agenda 2010 und Hartz IV letztendlich hinführte: Trumps Handelspolitik könne "Deutschland in die Rezession führen", titelte das renommierte Hauptstadtblatt. Letztendlich hat es der US-Präsident in der Hand, den "Exportweltmeister" BRD in eine Wirtschaftskrise zu treiben.

Schließlich ändern sich im Gefolge der protektionistischen Politik Trumps nicht nur die ökonomischen, sondern auch die globalen geopolitischen Spielregeln. Die Ära des globalisierten ungehinderten Warenverkehrs geht zu Ende - und kaum eine Großmacht hat sich dermaßen extrem darauf spezialisiert, geopolitischen Einfluss mittels Beggar-thy-Neighbour-Politik zu akkumulieren wie die Bundesrepublik. Die entsprechende Wirtschaftsstruktur, bei der mangelnde Binnennachfrage und Investitionstätigkeit mit immer neuen Rekorden bei Exportüberschüssen einherging, macht die Bundesrepublik besonders anfällig für protektionistische Schocks.

Eben diese deutsche Machtstrategie, auf Kosten der Nachbarn zu wachsen, scheint politisch am Ende, da Trump nun auch in Europa - etwa in Frankreich - viele gleichgesinnte Kritiker deutscher Exportüberschüsse findet, wie die Washington Post bemerkt. Viele EU-Staaten teilten demnach die Sorge, dass der gesamte Kontinent einen "hohen Preis für Deutschlands Stärke" zahlen musste.

Berlin habe beispielsweise sich jahrelang geweigert, die Binnennachfrage substanziell zu stimulieren, um die Ungleichgewichte abzubauen. Zudem sei Südeuropa mit "harschen Austeritätsmaßnahmen" überzogen worden. Deswegen würde sich im Fall Deutschlands die internationale Empörung "in Grenzen halten", sollte das Land in Rezession versinken, bemerkt die Washington Post.

Der pompös zelebrierte Staatsbesuch Macrons kurz vor der knausrigen Arbeitsvisite Merkel wird als Zeichen für die weitgehende Isolierung Berlins gedeutet, das sich durch sein sadistisches Spardiktat diskreditierte. Paris und Berlin agieren somit schon in Eigenregie. Die beiden führenden Mächte der EU versuchen derzeit, jeweils im Alleingang mit Washington Vereinbarungen zu treffen, die dem jeweiligen nationalen Interesse entsprechen. Von der vielbeschworenen gemeinsamen Linie der EU gegenüber den USA kann keine Rede sein - und Berlin hat hier ganz klar das Nachsehen.

Stotternder Exportmotor

Tatsächlich schwächeln schon jetzt die deutschen Exporte, wie die Süddeutsche meldet. Demnach schrumpften die deutschen Ausfuhren im Februar gegenüber dem Vormonat um 3,2 Prozent. Dies sei der "stärkste Export-Rückgang seit August 2015".

Ökonomen hätten demnach mit einem Anstieg der Exporte gerechnet. Neben dem starken Euro sei auch der zunehmende "Protektionismus" und der gerade erst beginnende Handelskrieg zwischen USA und China für diesen Rückgang verantwortlich.

Der ZEW-Index, ein konjunktureller Frühindikator, ist im April ebenfalls massiv eingebrochen - von rund einem Plus an fünf Punkten auf minus 8,2 Punkte. Somit rechnen die befragten Ökonomen mit einem deutlichen Abschwung in den kommenden Monaten.

Anfang des Jahres lag der ZEW-Index noch über 20 Zählern. Auch Welt-Online kommt unter Verweis auf den Absturz des sogenannten Nowcast-Index zu der Schlussfolgerung, dass der "Super-Boom" der deutschen Wirtschaft zu Ende sei und dieser einem "beängstigend schnellen Abschwung" weiche. Selbst eine Rezession sei mittelfristig "nicht mehr auszuschließen".

Amerikanische Wirtschaftsmedien sehen gar in Deutschland den "Überraschungsverlierer" eines Handelskrieges, da viele deutsche Konzerne über die USA Waren gen China exportierten - und somit von den chinesischen Strafzöllen auf US-Produkte getroffen würden. BMW und Mercedes etwa seien "die größten Exporteure von Autos aus den USA".

Trump sitzt somit am 27. April eindeutig am längeren Hebel.