Tabu Polizeigewalt: In Deutschland ist sie Alltag

Seite 2: Die Ahndung

Allerdings wird Körperverletzung im Amt in Form von Polizeigewalt eben nur sehr selten geahndet.

Dass dafür die engen Verbindungen aller mit der Aufklärung und Beurteilung Befassten verantwortlich sein könnten, wird schon lange diskutiert: die Staatsanwaltschaft, die für Anklagen zuständig ist, lässt alle wesentliche Ermittlungsarbeit durch die Polizei ausführen (obwohl sie auch selbst aktiv werden dürfte) – auch, wenn es sich um Delikte von Polizisten handelt.

Richter wiederum arbeiten permanent mit denselben Staatsanwälten zusammen. Und die Staatsanwaltschaften sind auch noch – wie die Polizei – der Politik weisungsgebunden.

Im Ausschnitt aus einem Interview mit einem Experten der internen Polizeiermittlung liest sich das so:

Dann sagt aber der Beschuldigte, er macht eine Gegenanzeige und sagt: "Der Polizeibeamte hat mir volles Programm eine mitten ins Gesicht gedonnert." […] Dann kommen die Anzeigen irgendwann zusammen [nämlich die von einem Bürger gegen die Polizei und die von der Polizei gegen den Bürger] und man liest die beiden Anzeigen und dann steht da aber in der Anzeige des Polizeibeamten drin:

"Der war so dermaßen aggressiv, der ist mir total nahegekommen, der war 40 Zentimeter von mir weg, da habe ich ausgeholt und habe dem volles Programm mit der Faust ins Gesicht gehauen. Damit war der Widerstand gebrochen, der ist umgefallen und dann habe ich dem Handschellen angelegt und habe den festgenommen."

Also ist im Grunde genommen genau das Gleiche passiert, was der andere auch gesagt hat. Jetzt müssen wir aber diese Strafanzeige dem Staatsanwalt vorlegen, also die [Anzeige] von dem, der sie ins Gesicht bekommen hat. Jetzt müsste man sich aber dann überlegen: Ist der Polizeibeamte, der das gemacht hat, Beschuldigter einer Straftat? Das ist er nach meiner Bewertung natürlich nicht gewesen, weil er aufgrund seiner Anzeige, die er geschrieben hat, einen klaren Grund gehabt hat.

Der hat einen Angriff abgewehrt und hat dadurch eben also [einen] Rechtfertigungsgrund. [...] wenn [ein] Rechtfertigungsgrund vorliegt, liegt gar keine Straftat vor, also kann man ja nicht rechtswidrig handeln. Wenn wir den jetzt als Beschuldigten erfassen würden, würden wir ja quasi sagen, er ist Tatverdächtiger einer Straftat.

Aus: Gewalt im Amt, S. 315f

Mutmaßliche Polizeigewalt wird hier also gar nicht erst weiter verfolgt, weil schon in diesem Stadium der Darstellung der Polizeiseite geglaubt wird.

Die Seite der Polizei

Wie gering das Interesse an Aufklärung auf Seite der Polizei ist, hat der wohl bekannteste Polizei-Lobbyist des Landes gerade wieder deutlich gemacht.

Die Süddeutsche Zeitung hat nämlich in ihrer Berichterstattung zur Singelnstein-Studie nicht etwa andere Wissenschaftler um eine Bewertung der Studienergebnisse gebeten, sondern Rainer Wendt von der "Deutschen Polizeigewerkschaft" (DPolG), die nur etwa halb so viele Mitglieder hat wie die "Gewerkschaft der Polizei" (GdP).

In der SZ sagt Wendt zum Buch Gewalt im Amt: "Es gibt kein strukturelles Problem mit Gewaltanwendung in der Polizei." Die Idee einer unabhängigen Ermittlungsstelle für Straftaten in der Polizei hält er gar für verfassungswidrig, "wenn nur für eine Berufsgruppe [Polizisten] eine politisch gelenkte Paralleljustiz ermitteln würde, mit dem Ziel, zu politisch erwünschten Ergebnissen zu gelangen".

Der RBB weist in einem Bericht darauf hin, dass selbst unabhängigen Polizeiermittlern die Hände gebunden sein können: weil sie zum Beispiel keine Akteneinsicht bekommen.

Mehr Personal, wie in einem Tagesthemen-Kommentar gefordert, wird das Problem aber kaum lösen. Schließlich gibt es laut Singelnstein-Studie eher Beschwerden über unverhältnismäßige Gewalt, wenn viele Polizisten im Einsatz sind.

Das Problem ist vielmehr, dass bisher Polizeigewalt entweder grundsätzlich (von Innenministern und anderen Politikern) oder wenigstens situativ (wenn es die "Richtigen" trifft) akzeptiert wird. Dabei verlangt das gesamte Konstrukt vom sogenannten Gewaltmonopol des Staates natürlich, dass es ohne Ausnahme keinerlei ungerechtfertigte Gewaltanwendung geben darf.

Wer aber auf Demonstrationen, bei Fußballspielen oder auch einfach nur mit wachem Auge in der Großstadt unterwegs ist, wird jede Menge Polizeigewalt beobachten, die nicht gerechtfertigt aussieht und daher aufgeklärt werden müsste.

Dass es angesichts dieser Beobachtungen (und der für jeden verfügbaren Berichte und Dokumentationen im Internet) so selten überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung kommt, ist das eigentliche Problem, das die vorliegende Studie nun umfangreich untermauert.