Täglich kalter Kaffee!

Wer klagt sich meinen Spam morgen ein? - Netzkunst gegen Kommerz

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Jeden zweiten Morgen liegt es frisch im Fax: "Täglich frischer Kaffee" - ein Müllfax! Meine Mitarbeiter sollen mich vom Nutzen einer Bürokaffeemaschine überzeugen. Ich habe aber immer noch keine Mitarbeiter und trinke außerdem Tee - dafür ist nun endgültig das Faxpapier aus. Da könnte einem glatt der kalte Kaffee hochkommen, so man ihn denn getrunken hätte. "Mit E-Mail wäre das nicht passiert" - oder doch?

Ok, Rechner angeworfen, denn Mail verbraucht ja wenigstens kein Papier. Dafür Nerven, denn meine Herzchen waren wieder sehr fleißig in der Nacht. "Nadia" sagt "ich will nicht stören", tut es aber. "Jasmine Richter" bedankt sich für meine Hilfe, und das fünfmal unter fünf verschiedenen Web.de-Adressen. "Anita, 19" möchte mich kennen lernen - ich sie aber nicht. "Isabel" von 69.com jubelt, mich endlich gefunden zu haben - mir wäre lieber, sie hätte nicht. "Sexy Girl" wird von einem - vierbeinigen! - Hengst gef... und dann gibt es noch jede Menge Goldfisch- und "I love you-Joke" (ernsthaft!)-Viren, von den üblichen Klez & Co. ganz zu schweigen.

Und weiter geht die wilde Fahrt: "Patricia" will Spaß, "Jenny Winter" will noch was ganz anderes und "Ficky-Biggi" sucht jemanden zum na-was-wohl - ihr Problem. Der "Kontakt Service" hat dagegen jemand für mich gefunden (etwa eine Hilfskraft zum Ausmüllen des Postfachs???), "2000Girl" wird gleich pampig und schickt eine "Beschwerde", weil ich ihre "in einer Nachtschicht gehackte kostenlose 0190-Nummer" (äh, was bitte?) nicht anrufen und schon gar nicht "abspritzen" will - eher abkotzen. Als nächstes will "Martin" was von mir - sicherheitshalber, falls ich etwa was gegen Mädels haben könnte. Und die russische "Julia" fragt, ob ich sie noch kenne - nein, so blau bin ich bestimmt nicht gewesen, Wodka hin, Wodka her...ich kenne sie nicht.

"Sexkontakte sofort heute" meldet, dass "private Hausfrauen kostenlose Sexkontakte" suchen. Pech für die Hausfrauen, mich gibt es nun mal nicht kostenlos. Als nächstes kommt die "Personalabteilung", die ihre Sexangebote unter dem Betreff "Fristlose Kündigung" unters Volk bringt - wohl für Masochisten gedacht, die so etwas in Stimmung bringt. Als letzte kommt auch noch "Tanja" (nein, nicht Tanja Nolte-Bendel!, die haarscharf erkannt hat, dass mich eine fristlose Kündigung alleine noch nicht sauer genug machen würde, mit "Sofortige Abmahnung wegen Ihrer Website". Mahlzeit!

Als Letztes die Amis mit ihren 3-Buchstaben-Kürzeln wie MGM, HGH, den unvermeidlichen Viagra-Pillen sowie dem immer wieder heißen Tipp, dass es für Immobilien in USA günstige Zinsen gibt und man doch endlich auswandern solle, um dort noch mehr Spam zu bekommen. Diesen Morgen gibt es den US-Immobilienkredit gleich 35 mal.

Dank Spam wird jeder Bürohengst zum Frauenheld

120 Löschbefehle später sind die Spuren dieser heißen Nacht schließlich beseitigt und die zehn verbliebenen echten Mails kommen zum Vorschein. Für mich eher nervig, Hein Blöd kann sich aber so jeden Morgen im Büro als Vorstadtcasanova fühlen. Und jetzt auch ein Autor und Cartoonist, denn er bekommt seit Neuestem sehr viel Post. Er war einst in den 60ern und 70ern Hauszeichner der Münchner Lach- und Schießgesellschaft und zeichnete immer diese charakteristischen Promi- und Politiker-Köpfe, bei denen die so "derbleckten" (bayrisches Wort für bloßgestellt) grinsende Miene zum bösen Spiel machten und hofften, dass er schnell das nächste Oper finden würde - möglichst von der Konkurrenz oder Gegenpartei. Im November 1976 begann er dann eine zweite Karriere als Schnellzeichner. Der Stil war immer noch unverkennbar, auch wenn der Künstler sich hierfür ein Pseudonym zulegte. Im März 2002 gab er das Pseudonym wieder auf und kehrte zu seinem bürgerlichen Namen zurück.

Ganz anders beim Webkünstler Burkhardt Becker. Dieser machte sich im Web seit einigen Jahren unter dem Kürzel Bubec einen Namen und hatte folgerichtig die Website Bubec.de und dies mit einem absoluten Minimum an der auf Websites nicht zu vermeidenden Selbstdarstellung (Wer bin ich, was ist mein Leben), die viele Fragen offen lässt und neugierig macht, aber dafür beeindruckenden Bildern und auch bei ungewöhnlich programmierten Seiten niemals lästigen Maustricks.

Bubec tritt auch gegen das im Web häufige Klauen fremder Zeichnungen und Bilder auf - nicht juristisch, sondern moralisch, wohl wissend, dass manchen Neulingen einfach nicht klar ist, dass sie mit dem Bilderklau die Kreativen schädigen und frustrieren. Dabei war der Künstler so schlau, nicht unter seinem richtigen Namen Becker im Web aufzutreten - da wäre er längst so "raus" wie der Programmierer Uwe Boris Becker, der seine Domain an Boris Becker abtreten musste und seitdem aus dem Internet komplett verschwunden ist - so Computerfuzzis haben da ja auch nix verloren...Tennisspieler haben im Web wesentlich mehr zu sagen.

Lieber vom Leben gezeichnet als vom Zeichner verklagt

Genützt hat Burkhardt Becker seine Vorsicht aber gar nix. Das Pseudonym des Cartoonisten von 1976 bis 2002 lautete nämlich ebenfalls Bubec. Er hatte es allerdings nicht als Marke eingetragen, obwohl er sich damit eigentlich auskennt. Doch hatte er schon die gleichlautende .com-Domain, also war es jetzt Zeit, die .de gleichzuschalten: Im Mai 2002, also stolze zwei Monate nach der Aufgabe des Pseudonyms bekam Burkhardt Becker nervige Post von den Anwälten des Zeichners: "Sofort her mit der Domain, oder es wird teuer!". Und auch den Namen Bubec selbst darf er nun nicht mehr benutzen.

Große Chancen, sich zu wehren, sah der Netzkünstler nicht, denn in der Domain- und Markenrechtssprechung ziehen echte bürgerliche Namen oder deren Abkürzungen oft den Kürzeren gegenüber frei gewählten Pseudonymen. So musste vor einigen Jahren auch ein Musiker namens Peter Alexander einen anderen Namen annehmen, weil ein etwas bekannterer Schlagersänger seinen echten Namen nun einmal bereits als Pseudonym gewählt hatte. Ebenso sprach gegen Becker, dass er ebenso wie der Cartoonist Bilder und Zeichnungen bietet, jedoch alle seine Werke gratis zum Wohle der Allgemeinheit anbietet, die Domain auch privat nutzte und dem auch abmahngeplagten kostenlosen Selfhtml zu allem Überfluss auch noch vier Musterlayouts kostenlos überlassen hatte, während der Cartoonist seine Kunst ausschließlich kommerziell auswertet. Kommerz geht im Markenrecht aber prinzipbedingt vor Privatsphäre.

Burkhardt Becker flüchtete von seiner angestammten Adresse auf die neue becx.de - sämtliche Partner und auch Google linken aber noch unverändert auf die alte Adresse. Den Cartoonisten freut es: Während seine alten Adressen seit Mai gerade 78 und 103 Hits verzeichnen können und auch die alte .com kaum frequentiert wurde, bekommt die erbeutete .de bereits innerhalb eines Tages ein Vielfaches an Zugriffen. Und natürlich auch alle E-Mail für Herrn Becker, für den das Mailen nach eigener Aussage die wesentlichste Form des Informationsaustausches darstellt. Oder besser gesagt darstellte, denn seine Mails landen ja nun bei dem Cartoonisten. Inklusive Tanja, Anita und Susanne, aber vor allem die echte Privatmail.

Der Cartoonist ist so beeindruckt von diesem Erfolg auf Kosten des verjagten "Konkurrenten", dass er den Hinweis, nun wieder unter seinem bürgerlichen Namen zu zeichnen, inzwischen von seiner Seite entfernt hat. Er sieht wohl Chancen, dass jemand, der eine kostenlose Webdesignvorlage sucht, stattdessen auch einen kostenpflichtigen Cartoon kauft. So, wie ja auch der westdeutsche Rundfunk Leuten, die eigentlich das Bankhaus UBS Warburg suchen, stattdessen sein Programm reindrückt: Das Bankhaus "Warburg Dillon Read" musste diesen seinen Namen und die Domain wdr.com bereits im Jahr 2000 aufgeben, unter dem Namen "Warburg Dillon Read" firmieren nun die Kölner Rundfunkunternehmer.

Interessant dabei, dass sich wdr.de als Suchergebnis in Google für "UBS Warburg" von Platz 7 zum Zeitpunkt der feindlichen Übernahme der com-Domain mittlerweile fleißig auf Platz 3 vorgearbeitet hat und wohl bald den unliebsamen Konkurrenten UBS Warburg von Platz 1 verdrängen wird. Möglicherweise ist der Sender bis dahin soweit, tatsächlich Anleihen auszugeben - man muss ja die Finanzgeschäfte nicht unbedingt dem darin offensichtlich wenig talentierten MDR alleine überlassen...

Bier verwässert?

Burkhardt Becker könnte jedoch vom Regen in die Traufe kommen: BECX lässt sich kaum aussprechen - aber wenn man es doch versucht, so endet man schon wieder bei Sex...nein, knapp daneben..."Bex". Seit Focus gegen Fokus ist aber bekannt, dass auch bei Domains nicht etwa die Schreib- sondern die Sprechweise für eine Markenverletzung ausschlaggebend ist. Also könnte Beck's auf die bei einer Biermarke natürlich besonders üble "Verwässerungsgefahr" der Marke klagen. Obwohl Bierkenner einwenden mögen, dass Beck's ohnehin schon verwässert ist.

Gleiches kann übrigens dem eingangs erwähnten Kaffee passieren. Neben der nervigen per Fax gepriesenen Kaffeemaschine gibt es nämlich auch eine nette, völlig kostenlose Online-Cppucino-Variante, gut geeignet für Chats ( -> "Tass Kaff rüberreich"). Doch klingt "Netzkaffee" wieder fast wie Nescafé und ist damit auch potentielles Abmahnopfer. Na dann doch lieber in den abmahnsicheren Tee-Laden....