Taiwan: Der Nervenkrieg geht weiter

William Lai bei seiner Amtseinführung

William Lai bei seiner Amtseinführung. Foto: 總統府, CC BY 2.0

Taiwan und China proben militärisch den Ernstfall. Beide Seiten erhöhen die Schlagzahl an Manövern vor der jeweils anderen Küste. Steuert die Region auf einen Krieg zu?

Während sich die Aufregung nach den chinesischen Manövern rund um Taiwan wieder gelegt hat, geht der Nervenkrieg vor Ort mit unverminderter Härte weiter. Den gesamten Juni hindurch wird das Militär Taiwans Übungen abhalten, in denen ein Angriff der Volksbefreiungsarmee von See simuliert wird.

Die Übung wird entlang der Küste und mit scharfer Munition durchgeführt und ist selbstverständlich gegen Peking gerichtet. Das Manöver umfasst alle Waffengattungen. Zudem wird auch direkt vor der chinesischen Festlandsküste geprobt, so etwa auf der vorgelagerten Matsu-Inseln.

Die bereits seit acht Jahren angespannten Beziehungen zwischen Taiwan und dem Festland haben sich nach dem Amtsantritt des taiwanesischen Staatschefs William Lai Ching-te am 20. Mai weiter verschlechtert. Darin hatte Lai betont, dass Taiwan und das Festland "einander nicht untergeordnet sind", was Peking als Überschreitung einer roten Linie betrachtet.

Taiwan ist weit überdurchschnittlich militarisiert

Wie volatil die Lage ist, zeigt sich auch daran, dass Taiwan die Häufigkeit von Militärübungen in den letzten Monaten erhöht hat, nachdem im Februar zwei Fischer vom Festland bei einer Verfolgung durch die taiwanesische Küstenwache ertrunken waren.

Taiwan ist weit überdurchschnittlich militarisiert. Die Armee Taiwans ist auf dem Papier rund 200.000 Mann stark, tatsächlich dürften es jedoch nur 150.000 Soldaten sein. Hinzu kommen – allerdings wohl nur theoretisch – etwa zwei Millionen Reservisten.

Zum Vergleich: Die Bundesrepublik verfügt derzeit über rund 180.000 Soldaten und 34.000 Reservisten. Doch leben in Deutschland etwa 83,3 Millionen Menschen, in Taiwan sind es dagegen lediglich knapp 24 Millionen.

In Peking und Washington werden weiter die Kriegstrommeln gerührt

Noch kurz vor Beginn der mehrwöchigen Manöver hatte Pekings neuem Verteidigungsminister Dong Jun beim Shangri-La-Dialog in Singapur am Sonntag in ungewöhnlicher Schärfe betont, dass "jeder, der es wagt, Taiwan von China abzuspalten, zermalmt wird und seine Vernichtung einleitet".

Auch in den USA werden weiter die Kriegstrommeln gerührt. So kolportierte die Washington Post unlängst, dass das US-Kommando für den Indopazifik eine "Höllenlandschaft" angekündigt hat, um eine mögliche chinesische Invasion Taiwans zu vereiteln.

Der US-Plan sieht den Einsatz zahlreicher unbemannter Drohnen, U-Boote, Überwasserschiffe und anderer klassifizierter Fähigkeiten vor, um die chinesischen Streitkräfte in der Straße von Taiwan einen Monat lang zu bremsen, damit die USA und ihre Verbündeten eine umfassende Antwort einleiten können.

Selbstverständlich hat Peking umgehend zu Protokoll gegeben, dass man auch mit einer so gearteten Bedrohung durchaus fertig werde.

Regierung in Taipeh ohne parlamentarische Mehrheit

Die Demokratische Volkspartei (DPP) stellt die DPP mit William Lai zwar den Präsidenten. Doch verfügt sie über keine Mehrheit im Parlament und hat bei wichtigen innenpolitischen Themen auch Abstimmungen verloren. So setzte die oppositionelle Kuomintang (KMT) zusammen mit der Taiwanesischen Volkspartei (TPP) unlängst ein Gesetzespaket durch, durch das die Regierungsarbeit transparenter werden soll.

Für diesen Schritt wurde die Opposition beschuldigt, auf Anweisung Pekings zu handeln, um die Demokratie in Taiwan zu untergraben und die Regierung Lai zu bestrafen. Die KMT ist schon länger der besser gelittene Gesprächspartner in Peking, weil ihr Ziel – getreu den Lehren Tschiang Kai-sheks – nach wie vor ein geeintes China ist, was den Vorstellungen Pekings natürlich entgegenkommt.

Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und strebt die Wiedervereinigung an. Heute unterhalten beide Territorien ein gewisses Maß an Beziehungen zueinander und sind auch wirtschaftlich eng miteinander verknüpft.

Garantieren die USA Taiwans Sicherheit?

Im Rahmen der "Ein-China"-Doktrin erkennt zwar Washington an, dass Peking Taiwan als Teil Chinas betrachtet, akzeptiert diese Position jedoch nicht formell. In der Praxis erkennen die Vereinigten Staaten diplomatisch nur die Volksrepublik China an, unterhalten aber enge Beziehungen zu Taiwan und sind de facto dessen Sicherheitsgarant geworden.

Derzeit schließt die Realpolitik eine Sezession Taiwans aus. Der Status der Insel ist von Pekings Seite mittels eines Anti-Sezessionsgesetzes definiert, das es China erlaubt, militärische Gewalt gegen Taiwan einzusetzen, falls sich die Insel zu einem unabhängigen Staat erklärt.

Ob Washington Taipeh in einem Taiwan-China-Konflikt zu Hilfe kommen und wie weit die Hilfe reichen würde, ist – laut Foreign Policy auch in den Hallen des US-Kongresses – allerdings noch "Gegenstand erheblicher Debatten".

Strategische Ambiguität der USA

Klar ist jedoch, dass die USA die Insel systematisch aufrüsten und auch etwa 200 Militärberater dort stationiert sind. Offensichtlich ist die Möglichkeit, Peking politisch unter Druck zu setzen, einfach zu verlockend für die verschiedenen US-Regierungen.

Nachdem die Kommunistische Partei 1949 die Macht auf dem Festland übernommen hatte, wurde die Insel Taiwan zu einem Vorposten der chinesischen Nationalisten im Exil unter dem Führer Tschiang Kai-shek. Tschiang erklärte die Regierung in Taiwan zur einzigen legitimen Regierung Chinas.

Die nächsten 30 Jahre stimmte der Westen zu. Die Kuomintang-Regierung in Taipeh wurde zu einem wichtigen Verbündeten Washingtons im Kalten Krieg und bekam auch Chinas Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zugesprochen. Dabei spielte die Tatsache, dass die KMT die Insel mit kurzen Unterbrechungen bis 1987 mittels Kriegsrecht regiert hat, ganz offensichtlich keine Rolle.

1979 begannen die Vereinigten Staaten, ihre Anerkennung von Taipeh auf Peking verlagerten. Gleichzeitig entwickelte Washington eine Politik der strategischen Zweideutigkeit gegenüber Taiwan, die Washington bis heute fortsetzt. US-Präsident Joe Biden entspricht dem voll und ganz, wenn er die Entsendung von Truppen zur Verteidigung der Insel gegen China weder zusichert noch ausschließt: "Das würde von den Umständen abhängen".

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