Takeover oder: Wer gewinnt den Prix Ars Electronica von morgen*

Ein Blick auf die Nominierten für 2001 zeigt: Potenziell jeder und alles

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Nach einem Schriftsteller und einem Betriebssystem-Erfinder könnten heuer Online-Spieleprogrammierer die "Goldene Nica", den Preis des mittlerweile 15. "Prix Ars Electronica", erhalten. Für Beobachter dürfte es damit nicht gerade leichter werden, den Wettbewerb für elektronische von den vielen anderen marktunterstützenden Multimedia-, Mediendesign- und Webdesign-Preisen zu unterscheiden.

* Der Verzicht auf das Fragezeichen entspricht dem neuen Sprachgebrauch der Ars Electronica, siehe www.aec.at/

Dabei ging es den Verantwortlichen offenbar genau um das Gegenteil. Über die neu aufgeteilten Kategorien "Net Vision" und "Net Excellence" schreiben sie:

"In this 15th year of the competition, the Internet section was expanded and given a whole new concept, in order to provide a platform in contrast to the discussions of e-commerce, start-ups and e-business, which are currently very one-sided. This platform is intended to enable presentations and discussions of the Internet in its cultural entirety."

Ob dieses Ziel der Selektion nach "cultural entirety" von den "19 international top experts" in der Jury erreicht wurde, mag jeder bei Anblick der diesjährigen Nominierten selbst beurteilen (siehe weiter unten). Die immer riskanter werdende Gratwanderung der "Ars Electronica", dieses permanente Oszillieren zwischen antiökonomischer, prokünstlerischer Attitüde hier und immer weiter ausuferndem Promoten von reinen Marktprodukten (oft mit großen internationalen Konzernen im Rücken) dort erschwert es dem Beobachter, die USP - um es mal nicht ganz unironisch so zu nennen - dieses Prix überhaupt noch auszumachen. Anspruch und Realität, Ankündigung und Ergebnis trennen da mittlerweile Welten.

Und so findet man unter den diesjährigen Nominierten nicht nur ein Plattenlabel und ein Online-Game, sondern auch ein Multi-Player-Game für Sega. Hier stellt sich dann fast die Frage, wer wen promoten soll: der Preis Sega oder vielleicht nicht doch Sega den Preis? Und: Wo bleibt die 'seismographische', Trends antizipierende oder gar (mit)kreierende Funktion dieses Preises? Einige der Nominierten sind 'alte Bekannte', wie etwa Carsten Nicolai, der für sein "20' to 2000"-CD-Projekt schon im vergangenen Jahr eine Goldene Nica erhielt und dann für das nicht gerade sehr rühmliche Abschlusskonzert verantwortlich zeichnete. Oder das Spiele-Team von Banja, das erst unlängst beim European Media Art Festival aufgetreten ist und auch dort im Kontext einer eigentlich anderen Erwartungshaltung ein wenig für Kopfschütteln gesorgt hat.

Das diesjährige Festivalthema "Takeover" (siehe dazu auch diesen Artikel) könnte damit zum Bumerang und endgültigen Todesstoß für dieses Festival werden: Einerseits machte es Hoffnung, dass nach Jahren der Konzentration auf Bio- und Gen-Themen nun endlich einmal wieder die Kunst im Mittelpunkt steht. Andererseits scheint nunmehr gerade die "Takeover"-Debatte erneut zur Ideologie zu werden: textuelle Legitimation für eine totale Verwässerung der Ars und ein noch heftigeres Flirten mit der internationalen Medien- und Unterhaltungsindustrie. Auch wenn für die Web-Staff zum diesjährigen Festival wieder ein gewisser Timothy Druckrey verpflichtet werden konnte, seine Pamphlete werden in diesem Kontext leider nicht viel mehr sein als ein Alibi-Akt unter der Flagge des Turbokapitalismus.

Die 18 Nominierten für den Prix Ars Electronica 2001 sind:

(Anmerkung: Erstmals wurden heuer jeweils drei Nominierungen pro Kategorie vorab bekanntgegeben; wer jeweils pro Kategorie die Goldene Nica erhält, wird dann entgegen der bisherigen Gepflogenheiten erst am 3. September bei der Gala verraten)

Kategorie "Computer Animation/Visual Effects":

  1. Ralph Eggleston; Pixar Animation Studios (USA): For The Birds
  2. Laetitia Gabrielli, Pierre Marteel, Mathieu Renoux, Max Tourret; Supinfocom (F): L'Enfant de la Haute Mer
  3. Xavier de l'Hermuziere, Philippe Grammaticopoulos; Supinfocom (F): Le Processus

Kategorie "Digital Musics":

  1. Markus Popp; oval (D): ovalprocess/ovalcommers
  2. Ryoji Ikeda; David Metcalfe Associates (UK): Matrix
  3. Blectum from Blechdom; Haus de Snaus and Tigerbeat 6: The Messy Jesse Fiesta

Kategorie "Interactive Art":

  1. association.creation (A): bump
  2. Carsten Nicolai, Marco Peljhan; Artlab Canon Inc.-Project Atol (D/SLOWENIEN/JAPAN): polar
  3. Haruki Nishijima; IAMAS (JAPAN): Remain in Light

Kategorie "Net Vision":

  1. Sebastien Kochman; team cHmAn (F): Banja, the online game
  2. Yuki Naja; Sonic Team (USA): Phantasy Star Online
  3. Neeraj Jhanji; ImaHima Inc. (JAPAN): ImaHima

Kategorie "Net Excellence":

  1. Chris McGrail; Kleber (UK): Warp Records
  2. Joshua Davis; maruto (USA): PRAYSTATION
  3. Brian McGrath; The Skyscraper Museum (USA): Manhattan Timeformations

Kategorie "cybergeneration - u19 freestyle computing":

  1. Martin Leonhartsberger, Gramastetten (A): Power Sphere
  2. Johannes Schiehsl, Conrad Tambour and Peter Strobl; Enzesfeld (A): Professor Brösl
  3. Markus Triska; Langenzersdorf (A): JIND