Taliban-Kämpfer in Kuba sollen wie Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention behandelt werden
Weder die Taliban- noch die al-Qaida-Gefangenen erhalten jedoch den Status als Kriegsgefangene: Die US-Regierung und ihr unverbindlicher Umgang mit internationalen Abkommen
Das Pentagon hatte sich selbst mit der Veröffentlichung der Bilder der rasierten, in orangerote Overalls gesteckten Taliban- und Al-Qaida-Gefangenen in den Maschendraht-Käfigen des Camp X-Ray in Kuba einen schlechten Propaganda-Dienst geleistet (Kuba Transfer). Neben moralischen Bedenken, die aus der ungeklärten rechtlichen Situation der Gefangenen erwachsen, scheint deren Status als "unrechtmäßige Kämpfer" zudem ein gebrochenes Verhältnis zur Wirklichkeit zu offenbaren. Die jetzt von Präsident Bush angekündigte Veränderung, die Taliban-Soldaten als Kriegsgefangene zu behandeln, ist nicht wirklich ein Sinneswandel, sondern soll die Kritik aus dem Ausland nur beruhigen.
Auch wenn es bereits damals gestimmt haben dürfte, dass die Gefangenen sich ohne Fußketten und Handschellen, dicke Mützen, Ohrenschützer und die Sicht behinderten Brillen in ihren Käfigen "frei" bewegen konnten und korrekt behandelt wurden, so dürfte das Bild, das die USA als Supermacht und selbstermächtigter Führer der Allianz gegen den Terrorismus von sich geprägt hat, darunter gelitten haben. Haben die Barbaren, die Bösen, den Anschlag nach der Diktion der US-Regierung gegen "die zivilisierte Welt" geführt, so wollten die USA, die sich gerne als Verkörperung der offenen, freien und demokratischen Gesellschaft und damit als Vorbild für alle Menschen auf der Welt geben, der Menschheit im letzten Kampf gegen den Terrorismus und das Dunkle vorangehen.
" I unleashed the mighty United States military on a clear objective. I said that not only would we find the killers and bring them to justice -- but if you harbor a terrorist, if you feed a terrorist, if you hide a terrorist, you're just as guilty as a terrorist. There's been some proud moments for this country. Nothing more proud for me than to see our military liberate a people -- liberate women and children from the clutches of one of the most barbaric regimes in the history of mankind. Not only are we fighting for justice, we're liberators. We free people so they can realize their potential. This great country is not only tough and resolved, but we stand on principle. And freedom is our principle. We love freedom at the core. And we will not relent, we won't relent in our quest to not only make the world more free, but to make the world more peaceful." - Präsident Bush am 6.2.
Der Kampf wurde von der US-Regierung ziemlich schnell als Krieg bezeichnet, der sich gegen die Terroristen, aber auch gegen das Taliban-Regime richtete und schließlich allen Staaten angedroht wurde, die Terroristen Unterschlupf gewähren oder ihnen helfen. Wie immer bestand die Aufgabe der Pentagon-Führung darin, die unangenehmen Begleitumstände des Krieges möglichst beiseite zu wischen. Bislang ging diese Strategie auch weitgehend auf. Noch wissen wir nicht, wie viele Opfer die teilweise gnadenlose, natürlich immer "präzise" Bombardierung tatsächlich gefordert hat oder was die Hilfstruppen der Amerikaner angerichtet haben. Doch damals war Krieg, und da sieht man über vieles hinweg. Jetzt aber ist "Frieden": das Taliban-Regime und die al-Qaida-Truppen scheinen sich weitgehend in Luft aufgelöst zu haben, zurückgeblieben von dem jahrlangen Spuk des finsteren Gottesreiches sind nur einige Tausend Gefangene. Wie diese in Afghanistan selbst behandelt werden, ist zur Zeit kein großes Thema. Die Berichte von den erstickten Gefangenen, die in abgeschlossenen Containern in Lastwagen transportiert wurden, lässt besonders Humanitäres nicht erwarten. Allerdings wurden viele Taliban-Kombattanten offenbar erst gar nicht von den Kämpfern der Nordallianz gefangen genommen.
Gleichwohl wären die Amerikaner spätestens jetzt gefordert, der Welt zu demonstrieren, wie ein demokratischer Rechtsstaat auch gegen seine Feinde vorgeht und dabei selbstverständlich einhält, was er gegen Extremismus, Dogmatismus und (religiösem) Totalitarismus zu verteidigen sucht. Kritik gibt es nicht nur an der Behandlung der Gefangenen in Kuba, sondern auch an den seit September noch immer in Gefängnissen sitzenden Menschen arabischer Herkunft, die nicht wegen einer Straftat, sondern nur wegen kleinerer Vergehen wie der Überschreitung der Aufenthaltsgenehmigung seit Monaten möglicherweise in Einzelhaft und ohne Kontakt nach außen, wie Amnesty fürchtet, festgehalten werden.
"Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Mitglieder der Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die durch Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeine andere Ursache außer Kampf gesetzt sind, werden unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt, ohne jede auf Rasse, Farbe, Religion oder Glauben, Geschlecht, Geburt oder Vermögen oder auf irgendeinem anderen ähnlichen Unterscheidungsmerkmal beruhende Benachteiligung" (Art. 3 II GA I-IV)
Soldaten, Kämpfer, Terroristen - der Krieg der Zukunft
Doch die unschlüssige Haltung der US-Regierung, wie mit den Gefangenen verfahren werden soll, verrät neben der Haltung, zumindest angesichts dieser angeblich skrupellosen und äußerst gefährlichen Menschen prinzipiell über Recht und Gesetz zu stehen und so souverän walten zu können, eine tiefe Unsicherheit. Dabei mag es auch um Rache und Demütigung, bei den Soldaten schlichtweg überdies um Angst gehen, doch die Einstufung der Gefangenen als "unrechtmäßige Kämpfer" zeigt auch, dass der Krieg gegen den Terrorismus ein neues Kapitel der Weltgeschichte ist, mit dem sich die Supermacht und ihre hochgerüstete Armee nur halbwegs konfrontieren will. Zwar hat man wegen der Verwobenheit der staatlichen Taliban-Armee mit den Al-Qaida-Truppen die Rechtfertigung gezogen, mit der auch nicht durchweg militärisch organisierten Nordallianz einen Krieg gegen das Regime zu führen, das den Großteil des Landes beherrschte. Gleichwohl wurde der Taliban-Staat lediglich von Pakistan und Saudi-Arabien anerkannt, was auch die schwierige Frage entstehen lässt, ab wann ein von einer Macht beherrschtes Territorium als Staat gelten kann, wodurch dessen bewaffnete Kräfte zu Soldaten werden, bei deren Gefangennahme die Genfer Konventionen Geltung haben würden. Demokratie, freie Wahlen, Einhaltung der Menschenrechte etc. sind offenbar realpolitisch normalerweise kein Grund, einer Territorialmacht, die als Souverän auftritt, die Anerkennung als Staat zu verweigern. Ab wann die "inneren Angelegenheiten" dann doch den (militärischen) Eingriff von außen erlauben oder erzwingen, ist realpolitisch wieder von der (militärischen) Macht des Staates, von dessen Beziehungen zu anderen Staaten oder dessen strategischer Bedeutung für die eigenen Interessen abhängig.
Tatsächlich sind die meisten Kriege, die seit dem Zweiten Weltkrieg geführt wurden, keine klassischen Kriege mehr zwischen den Armeen von Staaten. In aller Regel handelt es sich um sogenannte "Low Intensity Conflicts", in denen nichtstaatliche Organisationen und Kämpfer, die das Volk oder einen Teil des Volks zu repräsentieren vorgeben, beteiligt sind und gegeneinander in einer Form des Bürgerkriegs oder als Freiheitskämpfer bzw. Terroristen gegen staatliche Akteure und Armeen kämpfen. Je nach strategischen Interessenlagen werden die Kämpfenden von außen wiederum durch andere Staaten oder Organisationen unterstützt. Oft gewinnen in solchen Auseinandersetzungen nicht die staatlichen Akteure mit ihren zahlenmäßig und technisch weit überlegenen Armeen. Im Hinblick darauf, wann Kämpfer, die nicht Soldaten einer von der Staatengemeinschaft anerkannten Staates mit einer mehr oder auch wenig legitimen Regierung sind, als Gefangene unter Kriegsrecht fallen, ist nahezu beliebig und abhängig von vielen Faktoren.
Die Genfer Konventionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg diese Frage verbindlich lösen wollten, auch wenn das Abkommen seitdem trotzdem oft genug nicht eingehalten wurde, ist gewissermaßen aus Prinzip gleichzeitig umfassend und wenig genau. Unterzeichner des Abkommens sind nur Staaten. Befreiungsbewegungen, Aufständische, Terroristen oder wie immer man nichtstaatliche Kämpfer nennt, können eigentlich erst zu Unterzeichnern werden, wenn sie die Macht über einen Staat erlangt oder durch Abtrennung einen neuen Staat gegründet haben. Daher verpflichtet das Abkommen über den Schutz der Kriegsgefangenen bei einem bewaffneten Konflikt ausdrücklich nicht nur Soldaten, sondern auch andere bewaffnete Kräfte, die in einem Konflikt eine Rolle spielen, ausdrücklich auch Befreiungsbewegungen, als Kriegsgefangene zu behandeln, sofern sie Waffen offen tragen, durch ein Zeichen als Kämpfer kenntlich sind, von einem verantwortlichen Kommandeur befehligt werden und selbst die Genfer Konvention einhalten. Alle anderen Verwundeten und Gefangenen müssen ganz allgemein menschlich behandelt werden, also nicht misshandelt, gefoltert oder in ihrer Menschenwürde heruntergesetzt werden.
Der US-Verteidigungsminister Rumsfeld hatte unlängst in umständlichen Erklärungsversuchen auf die Frage geantwortet, warum man die Gefangenen nicht als Kriegsgefangene behandelt:
"Mein Verständnis der Situation ist, dass die tieferen Absichten der Genfer Konvention darin bestanden, zwischen legitimen Kämpfern und illegalen Kämpfern zu unterscheiden ... Und der Grund dafür war, dass man der Überzeugung war, dass man bei denjenigen, die wirklich eine Uniform tragen, die auf der Seite einer legitimen Regierung kämpfen, für einen höheren Standard sorgen muss; also bei denjenigen, die offen eine Waffe tragen und die das machen, was die Frauen und Männer in der US-Armee natürlich machen: Zeichen tragen, die zeigen, wer sie sind. Das ist wichtig, wie ich denke, im Hinblick, wie weit man die Unterscheidung verschwimmen lässt zwischen den legalen Kämpfern, d.h. den Frauen und Männern in Uniform, und Unschuldigen, die Zivilisten sind, und versucht, sich so zu verhallten, dass man keine Uniformen trägt, die Waffen nicht offen mit sich führt und keine Abzeichen hat. Dadurch versucht man die Vorteile auszunutzen, die einem Zivilisten, einem Nichtkämpfer, zustehen."
Rumsfeld führte weiter aus, dass al-Qaida eine Terroristenorganisation ist und "kein Land", weswegen deren Mitglieder auch nicht als Kriegsgefangene gelten können. Man wolle damit keinen Präzedenzfall schaffen. Als er gefragt wurde, wie es denn mit amerikanischen Soldaten von Spezialeinheiten stünde, die oft auch keine Unformen und Abzeichen tragen, konnte Rumsfeld nur antworten, dass es eben "vielfältige Kriterien" gäbe. Absehbar ist freilich, dass in Zukunft auf beiden Seiten die sichtbaren Zeichen wie Uniformen verschwinden werden, während die seit Jahren schon überall schrumpfenden Armeen sich den Operationen der nichttraditionellen Kämpfer anpassen dürften, indem sie in Form von kleinen Spezialeinheiten selbst getarnt, netzwerkförmig und flexibel vorgehen. Hingegen dürfte der Fernkrieg die Gegner noch mehr zwingen, sich in Form von kleinen Gruppen in unwegsamen Gelände oder in Städten zu verbergen und aus dem Hinterhalt zuzuschlagen.
Eine unverbindliches Bekenntnis
Angesichts der Kritik hat nun Präsident Bush dem Drängen seines Außenministers Colin Powell nachgegeben und erklärt, dass die in Kuba gefangen gehaltenen Taliban, weil Afghanistan ein Mitgliedsland der Genfer Konvention ist, wie Kriegsgefangene behandelt würden, auch wenn sie nicht den offiziellen Status eines Kriegsgefangenen erhalten. Für die al-Qaida-Gefangenen gelte dies aber nicht, da sie nicht Teil einer militärischen Hierarchie waren, keine Uniformen oder Abzeichen trugen, die Waffen nicht offen mit sich führten und das Kriegsrecht nicht eingehalten haben. Überdies, so erläuterte der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, sei die Genfer Konvention in einer Zeit geschrieben worden, als man noch nicht an einen Krieg gegen den Terrorismus dachte. Man werde jedoch alle Gefangenen weiterhin menschlich behandeln.
"In this war, global terrorists transcend national boundaries and internationally target the innocent. The president has maintained the United States' commitment to the principles of the Geneva Convention, while recognizing that the convention simply does not cover every situation in which people may be captured or detained by military forces, as we see in Afghanistan today."
Das ist ein Zugeständnis in der Art, wie es die derzeitige US-Regierung gerne macht: völlig unverbindlich (Amerikanische Schizophrenie). Da keiner der Gefangenen als Kriegsgefangener anerkannt wird, behalten sich die USA die freie Hand, wie sie mit ihnen weiter verfahren wollen. So können sie nicht nur Kriegsverbrechen beschuldigt werden, sondern als "unrechtmäßige Kämpfer" auch anderer Straftaten, die sie vor dem Krieg begangen haben. Überdies müssen die Gefangenen auch nicht, wie es die Genfer Konvention vorsieht, nach dem Ende des Kriegs wieder in ihr Land zurück geschickt werden, sondern können lange oder gar auf unbegrenzte Zeit festgehalten oder auch durch ein Militärgericht zum Tode verurteilt werden.
Ganz ähnlich wollte man der Kritik am Raketenabwehrschild und an der dadurch notwendigen Lösung des ABM-Abkommens begegnen, indem man versprach, zusammen mit Russland die Zahl der nuklearen Sprengköpfe in der nächsten Zeit um zwei Drittel zu verringern. Überdies wollte man dann auch die Sprengköpfe nicht vernichten, sondern nur lagern. Auch hier scheint sich Colin Powell durchgesetzt zu haben, so dass jetzt möglicherweise doch ein verbindliches Abkommen mit Russland in Aussicht steht, auch wenn die Regierung sicherlich weiterhin versuchen wird, sich möglichst nicht wirklich verbindlich und einklagbar festzulegen (Einlenken der US-Regierung?).
Möglicherweise musste Powell aber für die Zugeständnisse seine abwehrende Haltung gegenüber möglichen militärischen Aktionen abbauen, zumindest was den Irak betrifft. So sagte Powell am 6.2. vor dem Kongressausschuss für Auswärtige Beziehungen:
"The president is determined to keep this on the front burner and is looking at all the options that are available for him to deal with this in a decisive way. We still have a U.S. policy of regime change because we believe Saddam Hussein should move on and that the Iraqi people deserve better leadership."
Überdies scheint Powell von Bush auch im Hinblick auf den Mittleren Osten und ein mögliches Vorgehen gegen den Irak zurück gesetzt zu werden. Bush schickt nun Vizepräsident Cheney, der seit dem 11.9. als zurück gezogener Ersatzpräsident gedient hatte, im März nach Israel und in acht arabische Länder, darunter vier Nachbarn des Irak (Saudi-Arabien, Kuweit, Arabische Emirate, Katar, Oman, Bahrain, Jordanien und Ägypten). Offenbar meint Bush, dass Cheney, der ehemalige Verteidigungsminister unter Bush sen., der sich mit dem Krieg gegen den Irak auskennt, die "Freunde" besser als Powell unter Druck setzen zu können: "Der Vizepräsident wird sehr effektiv bei der Überzeugung unser Freunde sein", so Bush, "dass es ums Geschäft geht. Wir würden uns wünschen, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Geldhahn (für die Terroristen) zuzudrehen, ihnen einen Unterschlupf zu verweigern und sich der großen Koalition anzuschließen, die sich einem Ziel verschrieben hat: Freiheit und Frieden." Im Augenblick sieht es jedoch so aus, dass sie sich eher dem Krieg verschrieben hat, bei dem auch die Freiheit leidet.