Tanzen gegen den Corona-Blues

Ballett als Präsenzveranstaltung, darauf haben einige lange gewartet: Evelina Godunova (l.) und Iana Salenko (r.) vom Staatsballett Berlin beim Applaus. Foto: Gisela Sonnenburg / Ballett-Journal

Lang ersehnte Öffnungsschritte: Für Berufstänzer:innen hat die Pandemie besonders krasse Folgen - aber sie kämpfen dagegen an. Trainer vermittelten Können zwischenzeitlich auch online

Die Schließung der Bühnen während der Pandemie war für alle betroffenen Berufsgruppen eine Herausforderung. Aber für eine besonders. Ballettleute sind fleißig. An sechs von sieben Tagen der Woche trainieren sie. Wenn sie Vorstellungen haben, so ist das für sie wie ein Fest - allerdings ein arbeitsintensives. Keine andere Kunst bedarf so vieler Vorbereitungen, so vieler Proben. Beim Ballett zählt - anders als beim zeitgenössischen Tanz - jede Bewegung in jedem Moment. Leidenschaft und Hingabe sind da Voraussetzungen. Balletttänzer:innen leben für den Beruf, und wenn sie etwas hassen, dann ist es das, was sie am Arbeiten hindert.

Und ob nun den Stars die internationalen Galas wegfallen oder dem Ensemblemitglied die Erfahrung fehlt: Corona machte ihnen allen einen mächtigen Strich durch die Rechnung. Wie gehen Tänzer:innen damit um, wie können sie das Beste aus der misslichen Situation machen? Gemeinsam ist den Befragten, dass sie nicht aufgeben wollen. Im Gegenteil: Hoffnung ist Trumpf, zumal einige Opernhäuser wieder eröffnen. Wie lange - kann derzeit niemand sagen.

Viele sahen Lockdown anfangs nicht als Gefahr für ihren Werdegang

Als der erste Lockdown begann - im März 2020 - sahen ihn die meisten in der Tanzbranche noch nicht als Gefahr für ihren Werdegang. Yonah Acosta, der als Erster Solist beim Bayerischen Staatsballett in München, engagiert ist, stellt im Rückblick sogar fest: "Ich denke, ich hatte zu Beginn der Pandemie überhaupt noch nicht verstanden, was da auf uns zukommt. Ich dachte, wir würden für ein paar Wochen oder Monate stoppen, nicht für eineinhalb Spielzeiten." Die Zwangspause schien zunächst eine angenehme Erholung. Auch die Münchner Primaballerina Kristina Lind war zunächst froh - sie konnte endlich einen chronisch verletzten Zeh auskurieren.

Zuvor gab es allerdings einen Zwischenfall. Münchens Ballettdirektor Igor Zelensky wollte sich dem Virus nicht ergeben und ließ noch Ende März 2020, als das Land schon im Shutdown versank, in Ballettsälen trainieren. Zwar mit Abständen und Desinfektionsmitteln - aber das schwitzende Ballettensemble rief die Polizei auf den Plan. Ein historisches Ereignis: Polizeibeamte sind in staatlichen Ballettstudios sonst eher nicht zu finden.

Danach trainierte auch das Bayerische Staatsballett - wie alle anderen weltweit - daheim. Küchenzeilen, Stühle und Regalbretter wurden zum Stangenersatz, zur "Barre", um daran die grundlegenden Übungen zu absolvieren. Die Theater lieferten so genannte Tanzteppiche an ihre Tänzer:innen: Das sind Spezialbeläge, die das Ausrutschen verhindern können und zudem für eine ebene Oberfläche sorgen. Fortan schmückten solche unifarbenen Tanzteppiche die Zimmer, auch mal Balkone oder Dachterrassen von Tänzerwohnungen.

Anleitung per Zoom: Teilnahme an "Classes" weltweit möglich

Die Ballettmeister:innen kamen nun per Internet - per Zoom - zur Tänzer:innenschaft, um die Trainings zu leiten. Über die sozialen Medien wurde das Ganze oft weltweit übertragen. Die internationale Tanzwelt wurde noch internationaler. Ohne Anreise kann man seither an einem Training - man sagt auch einer "Class" - am anderen Ende der Welt teilnehmen, etwa bei dem bis nach Japan beliebten Trainer und Startänzer Rainer Krenstetter vom Miami City Ballet.

Der gebürtige Wiener hat sich im Lockdown online Aufgaben gesucht und übers Internet neue Schüler:innen gefunden. Und auch Tanzlehrer:innen in Deutschland wie Laura Tiffany Schmid, die das Ballettstudio Dahlhaus im Nürnberger Land leitet, erhielten im Lockdown internationalen Zuwachs. Ein kleiner Trost dafür, dass Präsenzunterricht ausfiel.

Online ist die Disziplin der Schüler wie der Profis gefragt: Man muss sich anstrengen, obwohl niemand direkt neben einem steht und einen anfeuert. Hinzu kommt eine Menge Disziplin bei der Ernährung in sozialer Isolation. Einerseits entdeckten viele Tänzer:innen die Freuden des Kochens. Andererseits müssen sie auf ihre superschlanke Linie achten. Viel Freizeit verführt aber zum Essen und, nun ja, auch zum Naschen. Hinzu kommt die Melancholie durch die Isolationserfahrung. Zum Glück fürs Publikum sind die Profis aber auch Profis darin, überflüssige Pfunde wieder loszuwerden. Die Gefahr, dabei in eine Magersucht zu rutschen, ist ihnen bekannt. Bewegung und kontrollierte Nahrungsaufnahme sind darum das A und O.

Das Hamburg Ballett stellte hilfreiche Videos mit fachkundigen Trimm-dich-Übungen seines Physiotherapeuten Daan van den Akker ins Internet. Tänzer:innen sind heutzutage auch Akrobat:innen, sie brauchen schwierige Balance- und Fitness-Übungen, um ihren Standard zu halten. Heimische Fitness, Gymnastik wie Pilates und vor allem das regelmäßige Balletttraining bilden darum auch im Lockdown das übliche Pensum. Das Ballettpaar Anna Laudere und Edvin Revazov vom Hamburg Ballett räumte extra ein Zimmer leer, richtete sich darin ein kleines Kraftstudio ein.

Freiberufliche Tänzer:innen haben es weitaus schwerer. Staatliche Angestellte bekommen weiter ihr Gehalt, trotz Kurzarbeit meistens in voller Höhe, weil die deutschen Opernhäuser zuzahlen. Freiberufler:innen müssen hingegen sehen, wie sie mit den Corona-Hilfen des Staates und mit improvisierten Einnahmen zurecht kommen. Besonders schlimm trifft es wegen der Krise entlassene Künstler:innen in Ländern ohne Sozialhilfe. So in den USA: Dort zogen viele junge Tänzer:innen wieder zu ihren Eltern, weil sie die Miete nicht mehr zahlen konnten. Aber auch dort machen sie weiter, soweit das möglich ist.

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