Tanzen gegen den Corona-Blues

Seite 2: Männer beim Training zu Hause im Nachteil

Der Online-Handel mit aufstellbaren Ballettstangen mag florieren. Spitzenschuhe waren aber zeitweise schwer zu bekommen, weil die Herstellung stagnierte. Den Spitzenschuhtanz können Tänzerinnen ganz gut daheim üben: zwar nicht bis zur Perfektion, aber wenigstens in den Grundlagen. Die Herren im Ballett trifft es ärger. "Für uns Männer ist so ein Lockdown besonders hart", konstatiert Rainer Krenstetter. "Denn wir müssen unsere hohen Sprünge, die im Ballett eine wichtige Qualität bedeuten, im großen Saal üben. Wir brauchen einen schwingenden Boden dafür, um uns die Gelenke nicht kaputt zu machen, und wir benötigen viel Platz, um die Sprungkombinationen überhaupt auszuführen. So etwas geht im kleinen Kämmerlein einfach nicht."

Nach langen Pausen ist das Verletzungsrisiko indes hoch, gerade bei Sprüngen. Vorsicht ist derzeit generell bei den Ballettprofis angesagt. In Kontaktgruppen aufgeteilt, arbeiten sie in den Ballettzentren unter Corona-Schutzmaßnahmen: Auf den Gängen, in den Garderoben herrscht Maskenpflicht, trainiert und geprobt wird mit Sicherheitsabständen. Ein- bis mehrmals wöchentlich werden alle durchgetestet, zudem führen sie Kontakttagebücher. Trotzdem kommt es vor, dass ein Ballettensemble in die Quarantäne geschickt wird, wegen positiver Ergebnisse bei Corona-Tests. Dann trainieren wieder alle daheim. Dieses Hin und Her ist für viele fast schon Gewohnheit.

Angst vor Langzeitschäden

Nun sind Tänzer:innen zwar meist robust, als Voraussetzung für ihre Berufsausübung. Und die meisten bemerken bei einer Covid-Infektion auch nur leichte Erscheinungen, etwa Schnupfen oder Einschränkungen beim Riechen und Schmecken. Aber es gibt auch Fälle von schweren Krankheitsverläufen mit hohem Fieber. Dann ist die Angst, Spätschäden zu erleiden, besonders groß. Krenstetter, der Asthmatiker ist, traute sich die ersten zwei Monate während des Lockdowns sowieso kaum vor die Tür. Mittlerweile ist er komplikationslos geimpft. Andere haben hingegen starke Nebenwirkungen von den Impfungen.

Und manche Tänzer:innen berichten als Genesene von Langzeitschäden, etwa einem verschlechterten Gedächtnis. Ein auch in dieser Berufsgruppe großes Problem. Es erfordert nämlich immense Gedächtnisleistungen, sich all die Schritte und Bewegungen, die zur Musik getanzt werden müssen, überhaupt zu merken. Einen "Hänger" zu haben, ist da ein Alptraum. Auf geschädigte Tänzer:innen kommen spezielle Therapien zu, unter Anleitung.

Die Selbstdisziplin, alleine zu arbeiten und mit Neuem zurechtzukommen, lernen Tänzer:innen in ihrer Ausbildung eher nicht. Fällt der persönliche Kontakt weg, sind sie auf sich zurückgeworfen. Evelina Godunova, eine glanzvolle Solistin beim Staatsballett Berlin, hat gerade das als Chance begriffen. Sie erklärt das sehr schön: "Es ist die interessanteste Situation für jedes menschliche Wesen, so viel zuhause zu sein. Man hat ja sonst keine Angst vor anderen Menschen, dass sie einen anstecken könnten. Jetzt war alles anders. Uns überfiel eine große Traurigkeit in der Isolation. Das war ein Moment des Innehaltens, der unvorhergesehen war und uns verändert hat. Ich habe daraus gelernt: Wir können nicht vor uns selbst davonlaufen."

"Lernen aus der Traurigkeit", sagt Godunova, habe sie gerettet. Sie hat das "Abschalten des Zirkus" als Möglichkeit gesehen, im Stillen ihren Körper neu zu entdecken. Eine Ballerina befragt ihre Füße, ihre Zehen, ihre Hüften, ihre Schultern, ihren Nacken, ihre Arme, sie erforscht ihren Körper - das Ziel ist stets eine noch stärkere Kontrolle der Muskeln, um sich noch besser damit ausdrücken zu können.

Dennoch wurde das zurückliegende Jahr auch für die kluge Evelina Godunova ein Horrorjahr. Sie kam aus Riga nach Westeuropa, um große Rollen zu tanzen - und sollte in dieser Spielzeit die Titelpartie des abendfüllenden, romantisch-klassischen Balletts "Giselle" interpretieren. Monatelang, fast ein volles Jahr lang, bereitete Evelina sich darauf vor. Sah sich Videos berühmter Interpretationen an und ging die Choreografie von Patrice Bart immer wieder durch. Es sollte etwas Großartiges werden.

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