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Seite 2: Die Zukünfte der Vergangenheit

Solche Aktualisierung werden unter dem Begriff "retro" in "Das letzte Land" in jedem Bild sichtbar. Die anachronistisch wirkenden Instrumente im Cockpit, die von analogen Oszilloskopen bis hin zu Zeigermessgeräten reichen.

Die ölverschmierte Patina des Schiffs, die eher Erinnerungen an Dampfmaschinen und Motorschiffe wachruft als an Imaginationen zukünftiger Raumfahrt. Selbst die Computer, ihre Eingabekonsolen und Monitore, die aus den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammen, stehen im krassen Gegensatz zu den transluzenten holografischen Displays aktueller Hollywood-Science-Fiction.

Und das alles ist gleichzeitig "echt" und Skeuomorphismus: Die Ausstattung des Cockpits besteht aus "found footage", was hier nicht Film-, sondern aber auch Archivmaterial bedeutet, denn die Archive der Filmgeschichte bestehen aus mehr als nur Bildern, wie Filmmuseen zu zeigen wissen.

Die Computertastatur ist sichtbar die eines Commodore 64, dessen Tastenkappen umgestaltet wurden. Der Grünmonitor weist technisch bedingte Rasterstreifen und Verzerrungen auf; im Hintergrund läuft ein Pascal-Programmlisting über einen der Monitore. Der kaum zu erkennende Code stellt offenbar eine Infix-zu-RPN-Konvertierungsroutine dar - ein Algorithmus der verschiedene Epochen der "Rechner"-Geschichte miteinander kompatibel machen soll.

Bild: © Marcel Barion / Drop-Out Cinema eG

Man könnte verleitet sein dieses Production Design allein der Tatsache zuzuschreiben, dass "Das letzte Land" ein "No-Budget"-Film ist. Die Frage wäre dann jedoch, ob ein höheres Budget und eine daraus resultierende "Hochglanzoptik" hier mehr geleistet hätten. Denn das, was im Cockpit des namenlosen Rauschiffs zu sehen ist, evoziert eine Reise durch die Filmgeschichte: "Solche Filme" haben immer schon Röhrenmonitore, Blinklichter und mechanische Schalter benutzt, um die Technologie stärker ins Zentrum zu rücken. Jean Baudrillard schrieb einmal, dass solche "Retro-Szenarien" in ihren Betrachtern gerade wegen ihrer Anachronismen einen wesentlich stärkeren Eindruck von "Authentizität" erwecken.

In "Das letzte Land" wird dieser Eindruck dadurch geschürt, dass die "ikonischen" Science-Fiction-Filme zu jener Zeit entstanden sind, als solche Technologien noch Gegenwart und für die zeitgenössischen Zuschauer damit quasi selbstverständlich waren.

Ihre heutige Inszenierung "entfernt" damit auch die Filme, in denen sie gezeigt werden, ästhetisch aus der Technik-/Zeitgeschichte und ordnet sie in die Motivgeschichte des Techno-Science-Fiction ein. Diesem Skeuomorphismus, der das Neue als alt verkleidet, ist das gesamte Production Design von "Das letzte Land" verpflichtet.

Die Materialität des Metaphysischen

Was im Rauschiff zu sehen ist, verdoppelt zudem den ästhetischen modus operandi der Produktion: Marcel Barions Film ist ein Crowdfunding-Projekt. Die 20.000 Euro, die er dafür sammeln konnte, haben geholfen den Rahmen der Möglichkeiten auch als "kreative Beschränkung" abzustecken. Dass "Das letzte Land" ein Kammerspiel werden würde, war geplant; wie sich das Design angesichts der notwendigen Kostenersparnis realisieren lassen würde, musste dann allerdings durch weitere "Zeitreisen" ergründet werden.

Computererzeugte Bilder gibt es im kompletten Film keine zu sehen (sieht man einmal von den Bildschirm-Darstellungen im Cockpit ab). Im Making of wird verraten, dass die Weltraumbilder mit auf Glas gestreutem Mehl realisiert wurden, dass die Oberfläche des Gefängnisplaneten die Detailaufnahme eines Eierpfannkuchens ist und dass die Raumschiff-Trickaufnahmen vor Green Screen gefilmt wurden.

Das Raumschiff ist ein selbst konstruiertes Modell, das vor allem aus alten Science-Fiction-Modellbau-Teilen besteht und damit selbst so etwas "agglutinierte Genregeschichte" darstellt. Schnitt, Farbkorrektur und Compositing entstanden am modernen Computer, der damit als Dissimulationswerkzeug auftritt, welches das Alte und das Neue für den Betrachtetr ununterscheidbar macht.

Damit sind die Effekte des Films ebenfalls ein hybrid aus historischen und modernen Film-Verfahren. Das sieht man "Das letzte Land" an. Die Bilder aus dem Cockpit-Fenster, die Totalen, in denen das kleine (Modell-)Raumschiff vor der erhaben wirkenden Kulisse vorbei schwebt, die eigentlich aus Acrylfarbe, Stärkepulver- und Kerzenrauch-Arrangements besteht, wirken deshalb viel organischer als man es aus aktuellen Weltraum-Filmen (nicht mehr) gewohnt ist.

Gleichzeitig drängen sie sich mit ihrer realen/materialen Präsenz stets auch ein wenig in den Vordergrund, um die Erzählung auf die beschriebene Weise zu kontrastieren. Die Practical Effects des Films bieten für künftige Produktionen - die dann vielleicht nicht mehr "independent" sein müssen - einen Ausweg aus der ästhetischen Krise der CGI-Gleichförmigkeit: einen Rückweg in Richtung Genre-Vergangenheit.

Ohne sich dabei oder dadurch einem konservativen Gestus anzubiedern, spielt "Das letzte Land" mit diesen retroiden Zeitfaltungen, erzählt davon, zeigt sie und nutzt sie auf der Oberfläche und im Hintergrund, um von der Ziellosigkeit des Zeitpfeils im Science-Fiction der Gegenwart zu erzählen.

"Das letzte Land" lief auf zahlreichen Festivals und wartet nun auf seinen Kinostart, der für Anfang Juni dieses Jahres (Verleih: "Indeed Film") geplant ist. Seit November ist eine US-DVD unter dem Titel "Final Voyage" mit recht seltsam anmutender Aufmachung und deutscher wie englischer Tonspur erhältlich. Überdies erscheint voraussichtlich Ende Mai auch eine deutsche Blu-ray-Disc. Schon aufgrund der Optik sollte man sich den Kinofilm jedoch nicht entgehen lassen.