Teenager, die am Smart-Phone kleben, werden depressiv?

Symbolbild: nastya_gepp/Pixabay License

Die Panik der Eltern, der Starrsinn der Kinder und die Wissenschaft

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Teenager am Smartphone, am Morgen, mittags und abends, eigentlich fast jede freie Minute. Das kann nerven, da sie so noch weniger ansprechbar sind, versehentlich Getränke umschütten und für keine Vorträge über spanische Barockdichtung mehr zugänglich sind.

Auf meine Frage, wie man mit diesem Verhalten am besten umgeht, habe ich noch keine Antwort erhalten, die längerfristig Erfolg hatte. Eine Psychotherapeutin erzählte mir, dass geschätzt 90 Prozent der Eltern, die zu ihr kommen oder die sie kennt, mit diesem Problem zu tun haben, sich darüber ärgern oder gar verzweifeln, weil sie daran merken, wie begrenzt ihr Einfluss auf die Kinder und womöglich gar ihre Fähigkeiten zur Erziehung überhaupt sind. Schauderhaft.

Meine Kinder sagen, es gibt dieses "Problem" gar nicht.

Zum Glück gibt es aber die Wissenschaft. Dort widerspricht man der ahnungslosen und frechen Behauptung, wonach dieses bedeutende Problem in Wirklichkeit gar nicht besteht. Zumindest auf den ersten Blick.

Laut einem Artikel der New York Times zum Stand der Forschung herrschte bislang ein common sense darüber, dass zu viel Zeit, die am Smartphone und in sozialen Medien verbracht wird, für eine "Zunahme von Angstzuständen, Depressionen und anderen Problemen der geistigen Gesundheit" verantwortlich sei - "besonders bei Teenagern".

Das Problem kam sogar bis vor den Kongress. Im Februar vergangenen Jahres wurde ihm ein Gesetz zur Förderung der Forschung zu Kindern und Medien (Children and Media Research Advancement (CAMRA) Act), vorgelegt, um die Effekte der Technologie und der Medien auf Kleinkinder, Kinder und Heranwachsende auf ihre kognitive, körperliche und sozial-emotionale Entwicklung besser zu erforschen.

Kinder in leuchtenden Gräbern, Eltern im Dunkeln

Die Vorlage war getragen von Sorgen und Unsicherheit, die Hilfe bei großen Bildern suchte: "Heutzutage sind Kinder häufig in ihren leuchtenden Geräten begraben, während die Eltern im Dunkeln zurückgelassen werden, da sie nicht wissen, welche Auswirkungen die Technologie hat. Als Gesellschaft müssen wir klarsichtig sein, welche Implikationen mit der Mediennutzung unserer Kinder verbunden sind", sagte einer der Initiatoren des Gesetzes.

Das Gesetz wurde verabschiedet. Angeblich wurde auch der Druck auf die großen Technikunternehmen erhöht, damit sie ihren Ansatz ändern, wie sie junge Konsumenten ansprechen (im Politiksprech: "abholen").

Indessen tun sich, so die New York Times, in der Wissenschaftsgemeinschaft Widersprüche zum oben genannten common sense auf, der zeitintensive Nutzung von Smartphones und sozialen Netzwerken mit einem Anstieg von Depressionen und Ängsten - auch Schlaflosigkeit wird genannt - in Zusammenhang bringt. Nach Ansicht dieser Forscher sei das Smartphone "nur ein Spiegel, der Probleme zutage bring, die das Kind auch ohne Smartphone hätte".

Das Problem läge demzufolge im "werden". Kinder werden nicht depressiv durch die viele Zeit, die sie am Smartphone verbringen, sondern sie sind es schon zuvor. Könnte die exzessive Nutzung jedoch Depressionen oder Ängste verstärken?

"Panik ohne eine starke Basis an Nachweisen"

Das geht aus den Aussagen der Wissenschaftler, die von der amerikanischen Zeitung befragt wurde, nicht genau hervor. Ihr Tenor ist, dass sie grundsätzlich von einer mangelnden Evidenz bei der Forschung über den Zusammenhang zwischen Wohlergehen und Smartphone-Nutzung ausgehen.

Zitiert werden etwa Jeff Hancock vom Stanford Social Media Lab, Candice L. Odgers von der University of California, die mit Michaeline R. Jensen ein aktuelles Papier veröffentlicht, und Megan Megan Moreno, die in einer früheren Studie schon darauf aufmerksam machte, dass eine 2011 erschienene Studie zur "Facebook depression" "Panik ohne eine starke Basis an Nachweisen produziert" habe.

"Die gegenwärtige dominante Rede, wenn es um den Zusammenhang zwischen Smartphones und Wohlergehen geht, ist viel hype und von einer Menge Ängste bestimmt", so Jeff Hancock, der meint, dass die Effekte des Smartphones nicht annähernd den Effekten gleichkommen, die mit dem Essen, Schlafen oder Rauchen zusammenhängen. Bei seiner Metastudie, die 226 Studien über Effekte des Smartphones auf das Wohlergehen analysierte, kam er zum Schluss, dass der "Nettoeffekt im Grunde bei Null liegt".

Für Hancock gibt es andere Gründe, die zu einer Zunahme der Depressionen und Ängste führen könnten. Zum Beispiel Ängste, die mit dem Klimawandel verbunden sind oder die Verschuldung von Studenten. "Was ist mit den Unterschieden beim Einkommen? Es gibt so viele gigantische strukturelle Probleme, die einen riesigen Einfluss auf uns haben, die aber unsichtbar bleiben, weil wir sie nicht genau untersuchen."

Die jüngste Studie von Candice L. Odgers und Michaeline R. Jensen, die am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde konstatiert zwar das Offensichtliche - dass es mehr Menschen gibt, die ein Smartphone oder ein anderes Mobilgerät haben und die Nutzung von sozialen Medien außergewöhnlich zugenommen hat -, weswegen Sorgen aufgekommen sind, dass die dauernde Vernetzung Heranwachsenden geistig schaden könnte. Aber das Ergebnis der Studie kann diese Sorgen nicht bestätigen.

Man fand in der Analyse der Daten neuerer ("most recent") Studien, die groß angelegt waren, sowie in Meta-Studien keine ausreichenden Grundlagen, die Ursache und Wirkung genau unterscheiden lassen. Die "kleinen Zusammenhänge" zwischen dem Wohlergehen der Heranwachsenden und der Summe ihrer täglichen Nutzung digitaler Technologie seien nicht von klinischer oder praktischer Signifikanz - "unlikely".

Minimalkonsens: Höflichkeit

Bis diese faszinierende Schlacht der jüngsten Geistesgeschichte geschlagen ist, haben wir uns auf Höflichkeitsregeln geeinigt. Am gemeinsamen Tisch sind die Smartphones nicht dabei.

Wer aber am Tisch sitzt, an dem nicht gespeist wird, und in sein Mobilgerät schaut, darf eben nur so höflich gestört werden, wie man Zeitungs- oder Buchleser aus ihrer konzentrierten Beschäftigung holt. Sachte.