Tempo raus, Leben rein
Seite 2: Contra: ÖPNV würde langsamer und teurer
- Tempo raus, Leben rein
- Contra: ÖPNV würde langsamer und teurer
- Pro: Städte sind keine Freizeitparks
- Pro: Lärmreduzierung und Verbesserung der Aufenthaltsqualität
- Auf einer Seite lesen
Ein Argument der Gegner ist, dass ein flächendeckendes Tempolimit im gesamten Stadtgebiet weitreichende Folgen insbesondere für den öffentlichen Personennahverkehr hätte. Volker Deutsch, Fachbereichsleiter für integrierte Verkehrsplanung beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), vertritt die Meinung, dass die geringere Geschwindigkeit den Betrieb verteuert1:
In Stadtregionen können die jährlichen Mehrkosten einen zweistelligen Millionenbetrag erreichen. [...] Je nach Nahverkehrsmittel liegen die betrieblichen Mehrkosten bei rund 300.000 Euro pro Fahrzeug jährlich
Ein Problem, das sich leicht lösen lässt: Vorrang für den ÖPNV. Das sollte sowieso selbstverständlich sein, aber hier müsste man ganz klar den öffentlichen Verkehr bestärken und es bei den gängigen Geschwindigkeiten und Vorrangschaltungen belassen.
Contra: Ampeln müssten teuer umgerüstet werden
Warum? Es gibt permanent Baustellen in der Stadt. Werden da jedes Mal die Ampelschaltungen angepasst? Nein, natürlich nicht. Das Umweltbundesamt hat eine Studie zu Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen veröffentlicht und zieht das folgende Fazit:
Die Dauer der Grünphase steht nicht im Zusammenhang mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und ist somit bei Tempo 30 und Tempo 50 unverändert.
Vorrangiges Ziel in Städten sollte es sein, Ampeln abzubauen und diese teure und fehleranfällige Infrastruktur durch bauliche Maßnahmen und Verkehrsberuhigungen zu verbessern sowie die Ampelschaltungen für ÖPNV, Fuß- und Radverkehr zu optimieren.
Contra: "Verkehrsfluss gehemmt", oder: "Ladenhüter Auto"
Natürlich wagt sich heute kein Autohersteller mehr, öffentlich gegen ein Tempolimit zu polemisieren. In den 50er-Jahren war das anders. Von 1953 bis zum 31. August 1957 gab es keine Geschwindigkeitsbeschränkung, weder in der Stadt noch auf dem Land. Nirgends.
Damals wurde von der Autoindustrie und dem ADAC Front gegen ein Tempolimit gemacht: "Wir halten es für unbedingt erforderlich", schrieb Oberbaurat Fritz Schmidt von der Daimler-Benz AG an das Präsidium des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC),
dass nicht nur die Mitglieder des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, sondern alle Abgeordneten des Bundestages je für sich in unserem Sinne beeinflußt werden. Wir halten es für notwendig, daß sich der ADAC in die weitere Behandlung des Fragenkomplexes einschaltet und die Beeinflussung des verantwortlichen Personenkreises absolut planmäßig durchführt.
Hans Bretz, Vizepräsident des ADAC schrieb an den damaligen Verkehrsminister Rümmele:
Die Verpflichtung des Kraftfahrers, sich starr an eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit zu halten, bedeutet eine enorme Belastung für den Verkehrsfluss. Man würde mit Tempo 50 hinter LKW her schleichen müssen und es würde zu noch größeren Pannen als bisher kommen.
Damals starben täglich (!) achtzehn Menschen im Straßenverkehr – heute sind es "nur" noch sieben. Immer noch sieben zu viel.
Fritz Schmidt von Daimler fürchtete, dass sich das "ganze Produktionsprogramm der Daimler-Benz-Werke erheblich verändern" würde und Kunden im Hinblick auf die zu erwartende Geschwindigkeitsbegrenzung "nicht mehr an den Wagen interessiert sind."
Noch mehr bangte Porsche um seine Absatzchancen. Rennfahrer und Firmenprokurist Huschke von Hanstein schrieb an Rümmele2:
Durch eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung würde verkehrstechnisch eine noch größere Überlastung der Verkehrswege eintreten und auf der anderen Seite die technische Weiterentwicklung gehemmt werden, was wiederum seinen Niederschlag im Rückgang der Verkaufszahlen, insbesondere im Export, finden würde.
Contra: Fahrspaß wird verleidet
Auch der ADAC tritt nicht mehr mit derart breiter Brust auf wie noch vor einigen Jahren. Statt einer Fundamentalopposition propagieren der Verband mittlerweile auch schon moderate Tempo-Anpassungen. In seiner Broschüre Tempo 30 – Pro und Contra hängt der ADAC aber noch dem alten Dogma der "freien Fahrt für freie Bürger" an. Dort heißt es:
Auf Hauptverkehrsstraßen ist Tempo 30 in der Regel nicht sinnvoll. Durch Tempo 30 auf den Hauptverkehrsadern des innerstädtischen Straßennetzes erhöhen sich die Reisezeiten erheblich, insbesondere zu verkehrsarmen Zeiten, wie sonn-, feiertags und auch nachts. Dadurch verlieren sie ihre Attraktivität.
Fakt ist, die Reisezeiten erhöhen sich nur unwesentlich. Das erscheint kontraintiutiv, konnte aber vom Wiener Verkehrswissenschaftlers Hermann Knoflacher belegt werden.