Tempo raus, Leben rein

Seite 3: Pro: Städte sind keine Freizeitparks

Ist es nicht sogar wünschenswert, wenn Autofahren in der Stadt nicht attraktiv ist? Ist es nicht das Ziel der Verkehrswende? Weniger Autos, mehr Umweltverbund? Wie stärkt man diesen? Indem man zu Fuß geht, Radfahren und öffentlichen Verkehr stärkt und attraktiver macht. Genau das erreicht man, wenn Tempo 30 gilt.

Es ist wünschenswert, wenn die Städte kein attraktives Ziel von Autofahrer:innen sind. Über 40 Prozent des Verkehrs ist Freizeitverkehr. Vergnügungsfahrten von gelangweilten Vorstädtern und Spazierenfahrer:innen, die vorwiegend gern an Wochenenden ausfahren.

Die Stadt ist aber kein Freizeitpark. Hier leben Menschen. Menschen, die von dieser Art Verkehr belästigt werden; deren Gesundheit und Wohlbefinden dem Vergnügen und der Langweile anderer geopfert werden.

Die deutsche Autobahn ist schon längst die beliebteste Rennstrecke der Welt. Es gibt einen florierenden Raser-Tourismus. Die Tempo-Urlauber:innen lassen ihre Autos einfahren, einfliegen oder mieten direkt vor Ort.

Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, wurde sogar im FDP geführten Verkehrsministerium bemerkt, als vergangene Woche ein tschechischer Milliardär seinen Bugatti auf der Strecke Hannover-Berlin auf über 400 km/h ausfuhr.

Pro: Tempo 30 spart Platz (und Zeit)

Die Flächenbilanz des Autos ist verheerend. Städte sind zu reinen Schlafstätten für Autos verkommen, anstelle von angenehmen Lebensräumen für Menschen. Des Deutschen liebstes Kind verbraucht ein Drittel städtischer Flächen zum Fahren, Abstellen oder Parken.

Untersuchungen belegen, dass eine Pkw-Fahrt von Zuhause zur Arbeit 90 mal mehr Raum beansprucht, als dieselbe Fahrt mit Bus oder Straßenbahn, und beträchtlich mehr, als wenn ein Fahrrad benutzt worden wäre.

Robert Kaltenbrunner: Freie Fahrt für freie Bürger!

Es ist paradox: "Je schneller die Fahrer:innen sein wollen, umso langsamer geht es voran. Je höher die Geschwindigkeit wird, desto größer muss der Sicherheitsabstand sein, um im Notfall bremsen zu können. Ab Tempo 22,5 wird mehr Sicherheitsabstand nötig, als schnelleres Durchfahren Raum frei macht", so Roland Stimpel in einem taz-Artikel. Er rechnet vor, dass Kreuzungen erst recht verstopft werden, wenn alle Autos mit möglichst hoher Geschwindigkeit passieren wollen.

Bei Tempo 50 kommen pro Stunde etwa 1.500 Auto-Insassen über eine Kreuzung. Bei Fahrrädern mit Tempo 20 wären es 5.300 Menschen, und bei Fußgängern in ihrem Tempo etwa 7.000.

Roland Stimpel

Pro: Bei Tempo 30 können Gefahren besser erkannt werden

Höhere Geschwindigkeiten verengen den Blick. Bei Tempo 50 sucht das Auge einen Fixpunkt 40 Meter voraus, bei Tempo 30 lediglich 15 Meter vor dem Auto. Zudem ist der Blickwinkel breiter. Situationen rechts und links der Fahrbahn können besser wahrgenommen werden.

Autofahrer:innen nehmen das Geschehen am Fahrbahnrand, wo sich Fußgänger:innen und Radfahrer:innen aufhalten müssen, schlechter wahr, je schneller sie fahren. Auch Schilder werden bei hohen Geschwindigkeiten häufiger übersehen.

Pro: weniger Unfälle und weniger schwere Unfallfolgen

Innerorts gibt es doppelt so viele Unfälle wie außerhalb. Hinzu kommt, dass Kinderunfälle wesentlich häufiger innerstädtisch stattfinden. In Köln etwa kam es zu Schulbeginn nach den Sommerferien 2020 zu Unfallhäufungen. Fast jeden zweiten Tag wurde ein Kind schwer verletzt.

Der ADAC behauptet in seiner Tempo-30-Broschüre zwar, dass der Einfluss der Geschwindigkeit auf das Unfallgeschehen ist nicht eindeutig nachweisbar sei. Die Physik und die harten Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache.

Untersuchungen zeigen, dass es in Tempo-30-Zonen 40 Prozent weniger Unfälle gibt als in vergleichbaren Tempo-50-Bereichen. Sie zeigen auch, dass nach der Einführung von Tempo 30 die "Anzahl der Getöteten und Schwerverletzten um 60 bis 70 Prozent zurückgeht, allein aufgrund der Verringerung der Aufprallwucht".

"Die Aufprallenergie bei Tempo 50 ist etwa 2,8-mal größer als bei Tempo 30. Der Aufprall bei Tempo 50 entspricht einem Fall aus 10 Meter Höhe, während er bei Tempo 30 einem Fall aus nur 3,6 m Höhe entspricht", wie eine Studie der Universität Düsseldorf herausfand.

Der Unterschied zwischen Tempo 30 und 50 beträgt zwar nur 20 km/h, das Todesrisiko – vorwiegend für Kinder – erhöht sich jedoch drastisch. Sterben bei Tempo 30 "nur" 30 Prozent aller verunglückten Fußgänger:innen, so sinkt die Überlebenschance bei Tempo 60 km/h – was üblicherweise gefahren wird, wenn Tempo 50 angegeben ist – auf null. Das Opfer ist auf jeden Fall tot.