Terror in der Glaskugel der Wissenschaft

US-Wissenschaftler wollen Vorhersagen über das Verhalten von terroristischen Organisationen machen

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Forscher am Institute for Advanced Computer Studies an der Universität Maryland (UMIACS) haben eine Software entwickelt, die vorhersagen soll, wie sich terroristische Organisationen in Zukunft verhalten werden. Auf der Internetplattform SOMA Terror Organization Portal (STOP) werden die Informationen beteiligten Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt. Ebenso sollen diese auch weitere Daten in den Pool einspeisen können, Kriterien korrigieren und sich auf der Plattform austauschen können.

SOMA steht für Stochastic Opponent Modeling Agents und ist die Grundlage zur Vorhersage von Gruppenverhalten anhand vordefinierter Kriterien. Dafür wird eine Vielzahl von Informationen in die Datenbank eingespeist, die das Verhalten der entsprechenden Gruppierung in der Vergangenheit beschreiben sollen. Aufgrund der von den Mitarbeitern von START gesammelten Informationen werden mit SOMA Prognosen erstellt. Somit soll die Software auch helfen, die unüberschaubare Datenflut, die tagtäglich bei den Geheimdiensten und an anderen Stellen eingeht, zu strukturieren. Schon etliche tausend Informationen über 30 Gruppierungen befinden sich bereits in der Datenbank.

SOMA soll aber nicht nur das Verhalten von „Terrorgruppierungen“ vorhersagen, sondern auf jede Art von Gruppe anzuwenden sein. Wie das Ergebnis einer solchen Auswertung aussieht, wird an der Hisbollah demonstriert. Ein Team aus Computerwissenschaftlern, Politikexperten und –wissenschaftlern hat sich der islamistisch-libanesischen Organisation angenommen. Die Beteiligten „waren dazu in der Lage, neue Erkenntnisse über die Hisbollah zu gewinnen, die möglicherweise selbst erfahrenen Hisbollahexperten nicht bewusst waren“, wie es in der Studie heißt.

Als bestimmende Faktoren der Hisbollah für die Vergangenheit werden Entführungen, Angriffe auf Institutionen der USA, Feindschaft gegenüber den USA und Israel, und die Ausbildung von Terroristen angeführt. Auch die Unterstützung der Organisation durch die Schiiten im Libanon, durch den Iran und Syrien, die Beteiligung an den libanesischen Wahlen, das soziale Engagement und die Medienarbeit werden berücksichtigt. Die Eingabe dieser Informationen und vieler Weiteren in die Datenbank soll zu „mehr als 14.000 automatisch abgeleitete SOMA-Regeln für die Hisbollah“ ergeben. Bestimmte Aktionen werden miteinander verknüpft und mit einer Wahrscheinlichkeit versehen. Für die Hisbollah liest sich die Aktion „Entführung“ zum Beispiel folgendermaßen:

KIDNAP: [0.51,0.55] if solicits-external-support & does not advocate democracy.

Dies wird folgendermaßen ausgedeutet:

This rule says that in years when Hezbollah both solicited external support and did not promote democratic institutions, there was a 51 to 55% probability that they engaged in kidnapping as a strategy.

Aber nicht nur bloßes Zahlenwissen soll die Plattform liefern, wie der Leiter von STOP, V.S. Subrahmanian, hervorhebt: „Die teilnehmenden Wissenschaftler, die an den Problemen arbeiten, sind Spezialisten in ihrem Gebiet. Sie können die Daten analysieren und dann entscheiden, ob sie sinnvoll sind.“

Die Frage, die sich bei dem vom Air Force Office of Scientific Research unterstützten Projekt stellt, ist, inwieweit die gewonnenen Informationen konkret genug sind, um der Verhinderung von terroristischen Angriffen zu dienen. Dass bestimmte Faktoren zu einer Erhöhung von Entführungen führen können, ist auch ohne die Ergebnisse von SOMA vorherzusagen, wenn auch nicht mit Wahrscheinlichkeiten zu versehen. Auf eine vielleicht irritierende Aussage über die Hisbollah, die mit Hilfe von SOMA berechnet wurde, weist Subramahnian hin: „Die Hisbollah greift eher Zivilisten im Ausland an, wenn sie im Libanon demokratisch eingebunden ist.“ In diesem Falle könnte sich zum Beispiel Israel, wenn Angriffe aus dem Libanon zu befürchten sind, auf ein erhöhtes Gefahrenpotential einstellen.

Beim Beispiel der Hisbollah zeigen sich einige Schwierigkeiten der Arbeit mit SOMA. Nicht alle Länder teilen die Einstufung der Hisbollah als Terrororganisation Die USA, Israel und auch Kanada sehen die gesamte Hisbollah als eine Terrororganisation, in der Liste der EU findet sie sich nicht, Großbritannien und Australien differenzieren zwischen der Hisbollah und ihrem radikalen Flügel, in Deutschland steht die Organisation zwar unter Bewachung, wird aber nicht als Terrororganisation eingestuft (anders in deutschen Medien). Iran, Syrien und der Libanon sehen die Hisbollah als Widerstandsorganisation an.

Der Auswertung der Daten liegt demnach die interpretative Grundleistung der beteiligten Wissenschaftler zugrunde, die bestimmte Gruppen und ihr Verhalten im Vorhinein definieren. Bei einer Abteilung des radikalen Flügels und dessen Aktionen von der Hisbollah wären die Ergebnisse für die Hisbollah sicherlich anders ausgefallen. Es wäre zwar möglich, die eingeschränkten Perspektiven der beteiligten Wissenschaftler dadurch zu erweitern, dass weitere Forscher mit an der Arbeit beteiligt werden, dies würde sich in der Umsetzung jedoch als schwierig erweisen, da die meisten Beteiligten an der Universität Maryland beschäftigt sind und Wissenschaftler, die von außen an den runden Tisch treten wollen, eine spezielle Genehmigung benötigen.

Eine mögliche Gefahr bei der praktischen Anwendung der Ergebnisse von SOMA (vier Verteidigungsagenturen sollen das Programm bereits verwenden) ist, dass sie zur wissenschaftlichen Sanktion einer Politik werden können, die Bedrohungspotentiale als faktisch handhabt. Bereits vorbestehende Urteile würden in diesem Fall mit Zahlen bestätigt. So könnten zum Beispiel Präventivmaßnahmen aufgrund von wissenschaftlich belegten Gefahreneinschätzungen gerechtfertigt werden, die Gefahren „vorwegnehmend“ verhindern sollen.

Subramahnian weiß um die Gefahr, instrumentalisiert zu werden und hält sich bedeckt, was Fragen nach der praktischen Umsetzung der Ergebnisse der Forschung angeht. Er betont aber, dass er mit seinen Kollegen daran arbeitet, diese Gefahr zu verringern. Die Informationspolitik von START wird gegenwärtig noch diskutiert, Entscheidungen sollen bis zum Sommer gefällt werden. Für ihn ist es Ziel von START, über Sachverhalte und Zusammenhänge aufzuklären und nicht, Politik zu treiben. Die Arbeit der Forscher wird aber wahrscheinlich nicht ohne Einfluss auf politische Entscheidungen bleiben: „Wenn dieses Werkzeug denen, die Entscheidungen fällen, hilft, gute Entscheidungen zu fällen, dann haben wir eine gute Arbeit geleistet.“