Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, Bush und der Irak
Die von der Bush-Regierung manipulierte Angst kann auf Dauer keine Grundlage für den Erhalt der Macht sein
Das erste, was man über Terroristen sagen muss, ist, dass es nicht sehr viele gibt - höchstens einige Tausend aktive in einer Welt mit Milliarden von Bewohnern. In einem gewissen Sinn sind sie angesichts ihrer geringen Zahl ziemlich erfolgreich. So wenig sie sind, so lenken sie durch ihre gewalttätigen Handlungen eine ganze Menge Aufmerksamkeit auf sich - und sogar auch ein wenig durch ihre Motive. Aber selbst dann, wenn sie klare Ziele haben, waren kaum erfolgreich. Am meisten Erfolg erzielten sie durch Terrorisierung und Störung, aber nicht darin, dass sie erhielten, was sie wollten, gleich ob es sich um Unabhängigkeit für die Basken oder Tamilen, die Integration Nordirlands in die Irische Republik (und nicht die engere Bindung Nordirlands an Großbritannien, wie dies die Protestanten wünschen), die Angliederung von Kaschmir an Pakistan oder den Zusammenbruch des Staates Israel. Auch al-Qaida hat wenig erreicht, wenn die Organisation einen weltweiten islamisch-"fundamentalischen" Staat errichten will.
Im Hinblick auf die Zerstörung und die erzielte weltweite Aufmerksamkeit hat allerdings niemand die Angreifer auf das World Trade Center übertreffen können. Das von ihnen bewirkte Ausmaß des Schadens hat die US-Regierung dazu gebracht, sich ganz öffentlich Sorgen über "Massenvernichtungswaffen" in den Händen von al-Qaida zu machen. Doch bevor wir beginnen zu glauben, dass al-Qaida schrecklich ist, sollten wir uns erinnern, dass der von ihnen verursachte Schaden am 11.9. viel größer als bei allen ihren vorangehenden Anschlägen war. Dieser Angriff war ausgeklügelt, aber die Entführer waren lediglich mit Teppichmessern bewaffnet.
Wir müssen auch sehen, dass die Zerstörung und die Zahl der Todesopfer in New York nur aufgrund einer Reihe von Problemen so groß war, die von den Terroristen nicht vorhergesehen werden konnten. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es nur Hunderte und nicht Tausende von Toten gegeben hätte, wenn die Türme länger gestanden wären, wenn die Wasserversorgung in den hochgelegenen Stockwerken nicht unterbrochen worden wäre, wenn die Funksysteme der New Yorker Feuerwehren besser funktioniert hätte und wenn die Feuerwehr besser darauf vorbereitet gewesen wäre, große Brände in den oberen Stockwerken von Hochhäusern zu bekämpfen. Die Gebäude hätten dem Feuer besser standgehalten, wenn die auf die Stahlpfeiler und die anderen tragenden Metallteilen aufgesprayte Isolierung nicht durch die Wucht der in die Türme einschlagenden Flugzeuge oder durch die Folge der über lange Zeit wirkenden Winde losgebrochen wäre, die die Gebäude ins Schwanken brachten. Selbst die Architekten waren angesichts die Isolierungsproblems überrascht. Die Terroristen konnten davon kaum gewusst haben.
Manipulation der Angst
Das will sagen, dass der Terror sicherlich schrecklich ist und dass die Zahl der Todesopfer des 11.9. grausam und furchtbar war, wenn man das Ereignis als Maßstab dafür nimmt, was Terroristen machen können. Besonders wenn es eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber ihnen gibt, sorgt dies für einen insgesamt unangemessenen Angstpegel. Diese Angst eben wird von der Bush-Administration im Augenblick sehr entschlossen manipuliert, um die Öffentlichkeit auf einen Angriff auf den Irak vorzubereiten, der bereits vor dem September 2001 vorgesehen war und der absolute keine Beziehung mit dem 11. September enthält. (Der bislang darin erzielte Erfolg ist allerdings verbunden mit dem internen Fokus der amerikanischen Öffentlichkeit, dem allgemeinen Mangel an Wissen über die Welt - "Wo liegt der Irak?", dem fehlenden Gedächtnis der unter 40-Jährigen über das, was ein langer und dreckiger Krieg an Toten etc. mit sich bringt.)
So weit bekannt ist, hat nur eine Terroristengruppe jemals versucht, biologische oder chemische Waffen zu verwenden. Das war Aum Shinrikyu, die japanische Sekte, die noch seltsamer als al-Qaida ist, aber vermutlich ihre Mitglieder sehr viel besser technisch geschult hat. Bei ihrem einzigen erfolgreichen Anschlag, der sofort zu ihrem Niedergang führte, konnte sie neun Menschen in einer U-Bahn-Station Tokios töten. Das soll nicht bedeuten, dass nicht irgendwann eine ähnliche bizarre Gruppe mit ähnlichen Absichten und einem größeren Erfolg entstehen könnte, aber das legt nahe, dass diese komplizierten und schwierig zu benutzenden Waffen jetzt kaum eine bedeutsame und angsteinflößende Gefahr darstellen. Sie gehören eher zur Kategorie der Albträume, es sind Vorstellungen, die in unseren Köpfen entstehen und die uns dann aufgrund unserer eigenen Fantasie ängstigen. In diesem Fall sind das Vorstellungen, die uns von Menschen als Wirklichkeit suggeriert werden, um uns durch das Schüren von Angst zu dummen Reaktionen zu bringen.
In diese Kategorie gehören für mich die Anthrax-Anschläge vom letzten Herbst. Die Anthrax-Sendungen, die in Briefen zu Politikern und Nachrichtenmedien kamen, in denen vor Anthrax gewarnt und die Empfänger aufgefordert wurden, Antibiotika zu nehmen, sollten wahrscheinlich nicht töten, sondern nur die Welt soviel als möglich in Angst versetzen: vermutlich mit dem (erfolgreichen) Ziel, die Gelder für Antiterrorismus-Programme zu erhöhen. Falls das zutrifft, dann kamen sie nicht von al-Qaida und ihren Verbündeten, sondern nutzten lediglich die 11/9-Anschläge aus, um ihrer Botschaft eine größere Aufmerksamkeit zu verschaffen. In diesem Ziel glichen sie Terroranschlägen, denn sie sollten Aufmerksamkeit durch Angst erzeugen, aber dies ist ein Trick, der sehr häufig von politischen Bewegungen aller Art eingesetzt wird.
Die Bush-Regierung hat sicherlich die daraus resultierende Aufmerksamkeit auf biologische Waffen geschickt mit der allgemeinen Angst vor neuen, aus der Wissenschaft stammenden Waffen verbunden, die über Entführungen und chemische Sprengstoffe hinausgehen. Das hat auch dem gegenwärtigen Kriegsgetrommel gegen Irak geholfen. Das FBI war sehr zögerlich, auf einen Tatverdächtigen hinzuweisen, was zumindest die Spur eines Verdachts legt, dass es in gewisser Weise ein Insiderjob gewesen ist, der aus einer Paranoia stammt, die vielen Angehörigen des für Nationale Sicherheit zuständigen Kreises um Bush zu eigen ist oder von diesen direkt kultiviert wird.
Machtsicherung einer überholten Schicht
Dieser Bush-Zirkel ist eng mit Gruppen verbunden, die alles, was in ihrer Macht steht, taten, um die Clinton-Regierung zu stürzen. Dazu gehört auch das Impeachment-Verfahren wegen der Sex-Lüge, weil sie offenbar so über den Verlust der Präsidentschaft und ihrer Macht verärgert waren, die ihrer Meinung ihnen 1992 von Rechts wegen zustand. Diese Mannschaft besteht aus Personen, deren Machtverankerung im Verteidigungssektor und in den mit der Energieproduktion verbundenen traditionellen Industrien durch das Ende vom Kalten Krieg, dem Aufstieg der sogenannten Neuen Ökonomie, der Umweltbewegung und vielleicht auch von den Bewegungen gegen Rassismus und Sexismus bedroht war.
Auch wenn Condoleeza Rice in der Administration ganz auf ihrer Seite steht, handelt es sich überwiegend um weiße Männer und angelsächsische Protestanten. Man hätte denken können, dass ihre Tage an der Macht endgültig gezählt sind, was sie wahrscheinlich auch sind, aber das macht sie gerade so entschlossen und einseitig in der Wiederherstellung ihres früheren Glanzes mit allen notwendigen Mitteln. Sie gleichen darin den Apparatschicks der Kommunistischen Partei in manchen ehemaligen Republiken der Sowjetunion oder in China. Und auch wenn sie weitaus erfolgreicher sind, unterscheiden sie sich nicht völlig von islamistischen Gruppen wie al-Qaida, die ihnen unwillentlich eine solch ausgezeichnete Munition überreichten.
Die Achillesferse des Kriegs gegen den Terrorismus
Doch die Strategie der Bush-Administration, an der Macht zu bleiben und diese vielleicht zu erweitern, hat eine grundlegende Schwäche. Die USA bleiben, auch wenn sie jetzt zu ihrem großen Ansehensverlust tyrannisch auftreten, das mit großem Abstand mächtigste Land der Erde. Damit verglichen sind die Terroristen und auch die gesamte arabische Welt mückenähnliche Schwächlinge, unabhängig davon, welche Waffen sie einzusetzen suchen. Doch in einer seltsamen Art von Jiu-Jitsu hängt die Stärke der wiedergeborenen Kämpfer des Kalten Krieges, die jetzt einen heißen Krieg befürworten, von der empfundenen Bedrohung durch al-Qaida und anderen Arabern ab. Wenn Bush und Co. gegen den Irak einen erfolgreichen Krieg führen, können sie vorübergehend eine größere Popularität gewinnen. Aber das wird auch ihr Argument für eine fortgesetzte Paranoia als Grundlage ihrer Herrschaft untergraben. Wenn sich ein Irak-Krieg aufgrund einer Fehleinschätzung als überaus teuer oder als großes Schlamassel erweisen sollte, werden sie noch schneller an Glaubwürdigkeit und Macht verlieren.
Letztlich sank die Popularität von Bush bereits vor dem 11.9.2001. Er nutzte sofort und geschickt den Anschlag, um seine Position zu stärken, indem er bekannt gab, dass der Krieg gegen den Terrorismus künftig der Kern seiner Politik sein wird. Auch das wird sich mit der Zeit als Verliererposition erweisen. Falls erfolgreiche große al-Qaida-Anschläge stattfinden sollten, wird die Regierung unglaubwürdig, falls keine stattfinden, trifft das die Panikmache der Regierung. Wie auch immer, so muss das Fundament der Macht, das auf dem schwankenden Schilfrohr einer Angst vor Terroristen beruht, die viel schwächer als der alte Feind aus der Zeit des Kalten Krieges, zusammenbrechen.
Das Fehlen eines positiven Programms wird schließlich Bush und die anderen Dinosaurier zum Sturz bringen. Das würde weitaus schneller geschehen, wenn eine geschlossene Opposition mit einem vitaleren Programm Ausdrucksmittel für dieses ausbildet und findet, so dass eine zerstreute Öffentlichkeit es verstehen und sich ihm anschließen kann. Das ist die wirkliche Aufgabe für die Anti-Bush-, Antikriegs-, Antiterror-"Linke".
Aus dem Amerikanischen von Florian Rötzer