Terroristenjagd auf spanisch

Schon wieder eine neue Spur im Fall des Massakers in Madrid und schon wieder ein neuer Drahtzieher. Nach Darmstadt und Tanger ist jetzt Tunesien angesagt, nach dem Marokkaner Jamal Zougam wird nun Serhan ben Abdelmajid Fajet genannt

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Man fragt sich, ob die spanischen Ermittler so schlecht sind oder ob es sich um eine bewusste Desinformation handelt, mit der wir seit dem Massaker vom 11. März in Madrid bombardiert werden? Täglich gibt es neue Nachrichten über Spuren und Verhaftete. Teilweise werden sie auch wieder frei gelassen, was meist gar nicht zur Kenntnis genommen wird. Die angeblichen Hintermänner werden mal in Darmstadt und dann in Tanger verortet. Nun soll ein flüchtiger Tunesier die Anschläge geplant haben.

Der angebliche Drahtzieher soll Serhan ben Abdelmajid Fajet heißen, sagt der Ermittlungsrichter Juan del Olmo. So ist es dem internationalen Haftbefehl zu entnehmen, den del Olmo ausgestellt hat. Er soll fünf auch flüchtige Marokkaner angeleitet haben, die international gesucht werden, und deren Bilder im Internet zu begutachten sind. Sie sollen neben dem Landhaus, in dem Reste vom Sprengstoff des Anschlags gefunden wurden, auch eine Wohnung in Madrid gemietet haben, wo sie sich vor ihrer Flucht aufgehalten haben sollen.

Doch warum sind die bisherigen Hauptbeschuldigten Marokkaner Jamal Zougam und Abderrahim Zbakn nicht mitgeflüchtet, die angeblich an der Durchführung der Anschläge beteiligt gewesen sein sollen? Zougam sagt jedenfalls, und seine Familie bestätigt ihn, er sei zum Tatzeitpunkt zu Hause gewesen. Es kann sich um eine Schutzbehauptung handeln, vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls ist neben vielen Merkwürdigkeiten eine besonders auffällig: Ausgerechnet der Telefonladen von Zougam ist vorgestern von Dieben ausgeräumt. Man sollte eigentlich meinen, jeder Kriminelle in Madrid würde im Augenblick einen großen Bogen um den versiegelten Laden des bisher Hauptbeschuldigten eines 200fachen Mordes machen.

Vielleicht wird die Sicht etwas mit einem Blick auf die Verantwortlichen der verheerenden Ermittlungen erhellt. Da sind die Regierung unter der konservativen Volkspartei (PP) und die Ermittlungsrichter. Die Regierung ist zwar vier Tage nach dem Massaker abgewählt worden (Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien), doch sie ist noch immer geschäftsführend im Amt. Da sie bestreitet, nach den Anschlägen die Informationen manipuliert und auf die Basken gelenkt zu haben (Die abgewählte spanische Regierung streitet Informationsmanipulation weiter ab), besteht kein Grund zur Annahme, dass sie ihr Verhalten geändert hat.

Die Sicht wird auch klarer mit einem Blick auf die Richter und ihre Ermittlungsmethoden. Da ist Juan del Olmo, Richter am Nationalen Gerichtshof, ohnehin ein Sondergericht, das längst abgeschafft werden sollte. So wurde beispielsweise eine Zeitung geschlossen (Baskische Zeitung und Website geschlossen). Man sollte denken, dass mehr als ein Jahr danach eine Begründung vorliegen müsste. Aber falsch. Bis heute sitzen zwei Journalisten in Haft, ohne dass klar ist, was ihnen oder der Zeitung konkret vorgeworfen wird. Noch immer wird geheim ermittelt, die Anwälte haben bisher keine Akteneinsicht. Dabei haben einige der acht frei gelassenen Journalisten berichtet, von Guardia Civil in der fünftägigen Kontaktsperre gefoltert worden zu sein (Baskische Journalisten gefoltert), was auch vom Sonderberichterstatter für Menschenrechte der UN und anderen Institutionen bestätigt wurde (Isolationshaft ermöglicht Menschenrechtsverstöße). Gerade hat der UN-Menschenrechtler Theo van Boven, der im letzten Jahr extra nach Spanien gereist war, in einem Bericht seine Vorwürfe unterstrichen und eine Liste mit Geboten vorgelegt, die zur Abschaffung der Folter führen sollen.

Mit der Folter erklären sich vielleicht auch einige Widersprüche und Ungereimtheiten. Zum Beispiel um den Spanier, der angeblich die mehr als 100 Kilogramm Plastiksprengstoff gestohlen und den Islamisten verkauft haben soll. Der 27jährige Ex-Minenarbeiter José Emilio Suárez Trashorras soll gestanden haben, das geklaute Goma 2 für gerade einmal 7.000 Euro verkauft zu haben. Der Ex-Arbeitgeber Caolines de Merillés erklärt aber, in der Mine, in der Suárez bis 2002 gearbeitet hat, sei kein Dynamit gestohlen worden. Das sei wegen der Sicherheitsbestimmungen auch unmöglich.

Es ist möglich, dass das Geständnis unter Folter zustande kam und das auch bei den anderen der inzwischen 24 Verhafteten damit "Beweise" und "Spuren" produziert werden. Da Suárez 2001 schon einmal mit Sprengstoff erwischt wurde, wäre es möglich, dass er einer Verhaftung der "üblichen Verdächtigen" zum Opfer gefallen ist. Es ist nicht neu, dass Menschen unter Folter sogar Morde gestehen, die sie nicht begangen haben. Gerade in dieser Woche musste der zweite im Fall des Madrid-Massakers ermittelnde Richter vier baskische Jugendliche frei lassen. Die hatten vor zwei Jahren unter Folter gestanden, als Mitglieder der ETA einen Stadtrat ermordet zu haben.

Der Anzeige, die Aussagen seien unter Folter erpresst worden, ging Baltasar Garzón wie stets nicht nach (Entschärfungsversuch für Terror und Antiterror auf andere Art). Jetzt wurde bekannt, dass der Nationale Gerichtshof seit langem wusste, dass die Geständnisse falsch waren. Denn im September 2002 gaben zwei ETA-Mitglieder vor der französischen Ermittlungsrichterin Laurence Le Vert zu, ohne Folter anzuzeigen, den Mord begangen zu haben. Seither war die Unschuld der vier Jugendlichen bewiesen. 19 Monate brauchte der Gerichtshof, um sie frei zu lassen. Das geschah auch erst, nachdem die Tageszeitung Diario de Navarra über den Fall berichtet hatte.

Besonders hervor tut sich Garzón auch bei den Ermittlungen in Madrid. Er ließ erneut vier Personen in Barcelona verhaften, die erst Ende letztes Jahr frei gelassen werden mussten (Spanien will "Präventivschläge" auch im Innern ausführen). Sie waren beschuldigt worden, zu Al-Qaida zu gehören, und dienten Spanien zur Rechtfertigung für den Krieg gegen den Irak. Jetzt behauptet Garzón erneut, wofür der Ermittlungsrichter Guillermo Ruiz Polanco keine Hinweise fand, die Gruppe habe ein "selbstgemachtes Napalm" für Anschläge herstellen wollen. Polanco trat dagegen in Verteidigung der vier vor die Presse und erklärte: "Ich habe sie frei gelassen, weil ich nicht ein Indiz für die Schuld dieser vier Herren hatte. Er erinnerte, "die Römer haben Christen den Löwen zum Fraß vorgeworfen, weil sie Christen waren". Angesichts der steigenden Feindlichkeit gegen Moslems in Spanien forderte dieser Ermittlungsrichter Respekt vor Muslems, "denn darunter gibt es in Spanien viele aufrichtige und ausgezeichnete Menschen".