Terrortheater

Update: Die Gruppen der Terroristen und Aufständischen im Irak gleichen sich in ihren Taten und Medienauftritten, geraten aber zunehmend in Konkurrenz, die Entführer der philippinischen Geisel haben sie nun doch nicht frei gelassen

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Wie schon vermutet, wird die Lage im Irak unübersichtlich, da immer mehr Gruppen die bewährten Methoden und Medienstrategien der bekannteren Terror- und Widerstandgruppen aufgreifen und beginnen, auch direkt miteinander zu konkurrieren (Evolution des Terrors). Mittlerweile droht eine zweite Gruppe, den von den USA zum gefährlichsten Terroristenchef designierten und mit inzwischen 25 Millionen Dollar ausgelobten Abu Mussab al-Sarkawi und seine Anhänger als Verräter zu jagen und zu töten. Die Sarkawi zugerechnete Gruppe Tawhid wal Jihad hat nicht nur wieder zwei neue Geiseln genommen, dieses Mal Bulgaren, sondern auch ein langes Video über ihre bisherige "Arbeit" der Time zugespielt. Eine andere Gruppe droht den Anwälten von Saddam Hussein den Tod an, wenn sie in den Irak einreisen.

Die Geiselnahme eines philippinischen Zivilisten durch die bislang unbekannte Gruppe "Irakisch-Islamische Armee - Korps von Chaled Bin al-Walid" ist inzwischen tatsächlich zu einem schrecklichen Theaterstück geworden. Erst hießes, nachdem die philippinische Regierung verkündet hatte, ab August keine neuen Soldaten mehr in den Irak zu schicken, dass die Geisel schon frei gelassen worden und auf dem Weg zu einem Hotel in Bagdad sei. In einem Schreiben an den Sender al-Dschasira von der Gruppe wird die von der philippinischen Regierung geäußerte Behauptung der Freilassung abgestritten.

Die "Irakisch-islamische Armee" mit der philippinischen Geisel

Vor allem eine Entwicklung ist neu und gleichzeitig symptomatisch für die Situation im Irak: Terroristen drohen nun auch Terroristen an, dass sie und alle, die ihnen helfen, getötet werden, weil ihre Art des Terrorismus den Interessen der irakischen Bürger, vertreten durch die drohende Terroristengruppe, schaden würde. Neben der "Erlösungsbewegung" hat auch "Seif Allah" Sarkawi gedroht. Sarkawi, so die "Erlösungsbewegung", sei nicht nur Ausländer, sondern er habe auch, gegen den Islam verstoßend, Anschläge an einem heiligen Tag in einem heiligen Land ausgeführt.

Das Schwert Allahs (Saif al Allah) droht dem mysteriösen Terrorchef Sarkawi

Es verstoße auch gegen die Religion, unschuldige ausländische Arbeiter zu entführen und zu töten. Zudem bedrohe er als Nicht-Iraker Allawi und führe Anschläge auf Politiker und Geistliche aus. Die Gruppe, so liest ein maskierter Mann vor, habe geschworen, Sarkawi und seine Anhänger zu fangen, zu töten und dem irakischen Volk als Geschenk zu übergeben.

Der glückliche Selbstmordattentäter. Aus dem der Time zugespielten Video der Gruppe Attawhid wal Jihad

In der Art, wie sich die Gruppe über das Video präsentiert, unterscheidet sie sich in nichts von den Videos, die andere Terrorgruppen gemacht haben. Steif und martialisch mit ihren Waffen posierend, stehen die maskierten Männer frontal zur Kamera, während einer eine Botschaft von einem Blatt liest. Warum bei diesen Videos, die sich in Menge und Form derzeit viral verbreiten, gelegentlich davon geredet wird, dass es sich um Medienprofis handelt, ist schleierhaft. Eine Videokamera zu bedienen, verlangt nicht besonders große Kenntnisse. Das gleicht der Wahlwerbung einer kleinen Partei, die mit wenig Geld und ohne Hilfe von Profis gemacht wurde. Eigentlich also Produkte vom Heimwerkern ohne jede Chance, von den Medien aufgegriffen zu werden, bedienen sie dennoch die Medien, die für ihre Nachrichten "authentische" Bilder und O-Töne benötigen. Anders sieht es natürlich bei den Bildern aus, die die Täter selbst über ihre Anschläge oder Ermordungen machen. Damit liefern sie die spektakulären Bilder selbst, die auch dann "mediengerecht", wenn sie amateurhaft verwackelt und unscharf sind.

Der ausgeführte Anschlag des obigen Selbstmordattentäters, durch den der ehemalige Präsident des Regierungsrats, Ezzedine Salah, getötet wurde

Warum das Video der Gruppe Tawhid wal jihad (Terroristische Medienstrategie) allerdings der Time zugespielt wurde, ist seltsam. Die dort vorgestellten Selbstmordattentäter und ihre gefilmten Anschläge - von Time richtig "Best of .." genannt - werden so aber ihre Botschaft vom glücklichen Märtyrertod für den Islam und das Land, das von den Ungläubigen befreit werden soll, nicht sehr effektiv einer globalen Öffentlichkeit vermitteln. Die Time hält das Video zurück, bislang sind nur Ausschnitte im Internet aufgetaucht. Aber es scheint professioneller gemacht zu sein. Es beginnt mit Bildern vom Krieg und verletzten Kindern sowie die unvermeidlichen Bilder von Abu Ghraib. Es werden Trainingslager gezeigt, Koranverse zitiert, die Aktionen begründet und die Zuschauer aufgefordert, sich der Gruppe anzuschließen.

Auch dieser Selbstmordattentäter, der kurz nach der Aufnahme einen Lastwagen in die Luft sprengte, wirkt zufrieden. Aus dem der Time zugespielten Video der Gruppe Attawhid wal Jihad

Seltsam ist die Geschichte mit dem aus dem Libanon stammenden US-Soldat Wassef Ali Hassoun, der seit 20. Juni vermisst war. Eine bislang unbekannte Gruppe namens "Islamische Antwort" schickte eines der üblichen Videos an al-Dschasira, der der Sender am 27. Juni ausstrahlte. Die Entführer - oder Schauspieler? - drohten, ihn zu köpfen, wenn nicht alle Gefangenen im Irak frei gelassen würden. Dann gab es Gerüchte, er sei tatsächlich ermordet worden. Eine andere unbekannte Gruppe, die "Armee von Ansar al-Sunna", hatte dies über eine Website verkündet und gesagt, man werde bald Bilder der geköpften Geisel zeigen. Dieselbe Gruppe - oder eine andere unter diesem Namen - meldete dann, das sei alles gar nicht wahr. Am Montag schließlich teilte die "Islamische Antwort" mit, dass Hassoun bereits an einem sicheren Platz sei, nachdem er versichert habe, nicht mehr im US-Militär zu dienen. Die in den USA lebende Familie des US-Soldaten bestätigte, dass er lebte, nachdem sie mit ihm telefoniert habe.

Hassoun auf dem Video der "Islamischen Antwort"

Und dann tauchte Hassoun am Donnerstag Abend mit Angehörigen seiner Familie, die im Libanon leben, an der US-Botschaft auf. Es zirkulierten bereits Gerüchte, dass die Entführung gestellt gewesen sei, Hassoun habe sich dadurch dem Militärdienst entziehen und zu dem Teil seiner Familie gehen wollen, die in Tripoli lebt. Dort hat es angeblich eine Schießerei gegeben. Zwei Mitglieder des Hassoun-Clans hätten auf dessen Verwandte geschossen, weil sie Kollaborateure der Amerikaner seien. Dabei sind zwei Menschen getötet worden. Wie Hassoun vom Irak in den Libanon gelangte und alle anderen Umstände seines Verschwindens und Wiederauftauchens sind noch unklar. Mittlerweile wurde er nach Deutschland ausgeflogen, um dort medizinisch untersucht und natürlich befragt zu werden.

Aus dem Video der Entführer der zwei bulgarischen Geiseln

Seltsam aber ist auch die Geschichte mit den Anwälten, die die Verteidigung von Saddam Hussein übernehmen wollen. Über 20 Anwälte aus Jordanien, Tunesien, dem Libanon, Frankreich, Großbritannien und den USA wurden von der Frau Husseins, Sajida Khairallah, mit der Verteidigung beauftragt. Dem Team hat sich auch Aisha Gadhafi, eine Tochter des libyschen Präsidenten angeschlossen.

Curtis Doebbler, der einzige Amerikaner, hat nach dem von ihm erwirkten Guantanamo-Urteil des Obersten Gerichts eine Klage vor diesem eingereicht, da die Festnahme Husseins gegen die Verfassung verstoße. Ob die Klage überhaupt zugelassen wird, ist fraglich, zumal Doebbler wie die anderen Anwälte noch durch keine Unterschrift Husseins belegen kann, dessen gesetzlicher Vertreter zu sein.

Der Gruppe an Anwälten wollten sich angeblich noch Hunderte von Rechtsexperten anschließen, um in den Irak zu reisen und ihre Unterstützung für den Ex-Diktator zu demonstrieren. Man wollte in einer Karawane von Bussen nach Bagdad fahren. Überdies hätten sich Hunderte von Anwälten und Rechtsberatern weltweit gemeldet, die ihre Unterstützung angeboten haben. Der "Jahrhundertprozess" lockt viele, weil er im Rampenlicht der globalen Medien steht und daher auch Aufmerksamkeit auf die fallen wird, die eine wichtige Rolle im Prozess spielen.

Schwierigkeiten gibt es aber schon deswegen, weil Hussein nicht die Erklärung unterschreiben will, dass er Kenntnis von der gegen ihn erhobenen Anklage hat und über seine Rechte belehrt worden ist, die auch rechtlichen Beistand beinhalten. Ohne Beisein eines Anwalts will dies Hussein nicht machen. Die noch vom Regierungsrat und damit wohl auch von der ehemaligen US-Verwaltung ernannten Richter des Sondergerichts, darunter ein Sohn des mittlerweile bei den Amerikanern in Ungnade gefallenen Tschalabi, haben wiederum erklärt, dass nur irakische Anwälte Hussein vertreten dürfen.

Die Gruppe, die die vier Blackwater-Angestellten in Falludscha getötet haben will

Vor der Prozession der Anwälte in den Irak hat allerdings die bislang unbekannte Gruppe Saif al Allah, die sich auch mit der Drohung gegenüber Sarkawi bekannt zu machen versuchte, in einem Video und in der üblichen Inszenierung damit gedroht, die Anwälte zu töten, wenn sie ins Land einreisen. Die sieben maskierten Männer zogen ihre Säbel und kündigten an, diejenigen durch Enthauptung zu bestrafen, die dem Verbrecher helfen wollen. Zudem soll es weitere Drohungen gegeben haben, weswegen die Anwälte ihre Reise erst einmal verschoben haben. Jetzt wollen sie nur einreisen, wenn die Amerikaner und Iraker ihnen Zugang zum Angeklagten gewähren und sie schützen. Auf ihre entsprechenden Gesuche haben man bislang nicht geantwortet. So ist jetzt erst einmal Stillstand eingetreten. Sollte Hussein keine unabhängigen Anwälte vertreten können, dürfte das schon länger geäußerte Misstrauen noch wachsen, dass es nur ein Schauprozess werden wird.

Welcher Seite also die Terrordrohung gegen die Anwälte letztlich nutzt, ist fraglich. Sicher aber ist, dass Entführungen und über Videos dokumentierten Enthauptungsandrohungen sowie auch deren Durchführung im Irak und wahrscheinlich auch anderswo weiter gehen dürften. Schon nachdem al-Dschasira das Video mit der Drohung gegenüber der Geisel Angelo de la Cruz gesendet hatte, ließ die philippinische Präsidentin Gloria Arroyo die weitere Entsendung von "Wiederaufbauhelfern" in den Irak stoppen. Im Irak befinden sich einige Tausend Arbeiter aus den Philippinen sowie 50 Soldaten, deren Aufenthalt im August zu Ende geht. Zunächst hatte die philippinische Regierung geplant, sich weiter mit Truppen an den multinationalen Streitkräften zu beteiligen, um das Leben der Geisel zu retten, jetzt wurde versprochen, keine Soldaten mehr zu senden.

Al-Dschasira hat heute ein weiteres Video gesendet, in dem die Geisel Präsidenten Arroyo bat, die Truppen aus dem Irak zurückzuziehen, um sein Leben zu bewahren. Wieder war er wie auch andere Geiseln vor ihm in orangener Kleidung auf dem Video zu sehen, eine unmissverständliche Anspielung auf die Gefangenen in den irakischen Gefängnissen oder in Guantanamo. Die philippinische Regierung versucht die Entscheidung, nach dem 20. August keine weitere Soldaten zu schicken, nicht als Erfolg der Erpressung erscheinen zu lassen. Tatsächlich fordern diese den sofortigen Rückzug. Gleichwohl kann der Schwenk der philippinischen Regierung als Erfolg der Entführer verbucht werden, die sich nun mit der strategischen Entscheidung konfrontiert sehen, ob sie die Geisel freilassen sollen.

Update: Die Entführer sollen die philippinische Geisel tatsächlich frei gelassen haben, ging am Samstag eine Meldung um. Je nach der Perspektive hätte damit entweder die philippinische Regierung gewonnen, die mit den Entführern verhandelt und schließlich versprochen hat, nach dem Abzug der Truppen keine weiteren mehr zu senden, oder die Geiselnehmer. Erst im ablaufenden Ultimatum hatte nämlich die Regierung unter dem Druck der Bevölkerung stehend ihre Entscheidung verkündet, während sie zuvor bereits gewesen war, weitere Truppen in den Irak zu entsenden. Jetzt soll dies nur noch im Rahmen eines UN-Mandats geschehen.

Offenbar aber geht den Geiselnehmern der Kompromiss nicht weit genug. Wie sie in einem Schreiben an den Sender al-Dschasira mitteilen, hätten sie den Gefangenen nicht frei gelassen. Sie setzen hingegen ein neues Ultimatum, nach dem die philippinische Regierung ihre Soldaten binnen 24 Stunden abziehen soll, ansonsten werde de la Cruz enthauptet. Eine von der philippinischen Regierung schon vorbereitete Pressekonferenz, auf der die glückliche Lösung verkündet werden sollte, musste abgesagt werden.

Damit wird wieder einmal deutlich, welche entscheidende Rolle Medien wie al-Dschasira als Vermittler und Sprachrohr für Terroristen besitzen. Über Medien gelangen Mitteilungen nicht direkt an die Verhandlungspartner, sondern über den Umweg der (globalen) Öffentlichkeit. Terroristen mobilisieren mit ihren Taten die Menschen in einem Land, um Regierungen unter Druck zu setzen oder - wie in Spanien - ihrem Sturz nachzuhelfen. Die Bevölkerung eines Landes denkt oft nicht strategisch wie die Regierenden und ist daher leichter erpressbar, wenn sie nicht selbst bedroht wird, sondern nur eine interessengeleitete, aber nicht unmittelbar den Menschen dienende politische Entscheidung. Medien als die kollektiven Aufmerksamkeitsorgane und die Menschen eines Landes, einer Ethnie oder einer Schicht werden mittels der Forderungen und Bilder zu Instrumenten, die von den Terroristen bedient werden, um das asymmetrische Machtgefälle auszuhebeln. Regierungen sind mit ihren Machtapparaten durch solche Aktionen von Wenigen, die wie in diesem Fall "nur" mit dem Tod einer Geisel drohen, nahezu wehrlos, da sie von ihren Bürgern für das Überleben oder den Tod verantwortlich gemacht werden. Die philippinische Regierung hatte durch ihr teilweises Nachgeben möglicherweise die Terrorgruppe gereizt, den Einsatz aufrechtzuerhalten und sich mit dem Teilsieg eines Kompormisses nicht zufrieden zu geben.

Die bulgarische Regierung versucht hingegen noch, mit den Geiselnehmern zu verhandeln und das Ultimatum zu verlängern, das eigentlich schon Freitag Nacht abgelaufen ist. Angeblich sollen die beiden Geiseln noch leben. Obgleich auch hier der Druck seitens der Bevölkerung, vermittelt durch die Medien, zunimmt, will Bulgarien sich der Erpressung nicht beugen und seine Truppen weiter im Irak im Einsatz lassen. Allerdings hat Bulgarien selbst kaum einen Einfluss auf die Forderung der Geiselnehmer, dass das US-Militär alle Gefangenen frei lassen soll.

Eine Gruppe, die einen Ägypter gefangen genommen hat, benutzt dieses Mittel nun auch, um Lösegeld in Höhe von einer Million Dollar von seinem saudischen Arbeitgeber zu fordern. Sarkawi oder wer auch immer in seinem Namen spricht, hatte auf einer Tonaufzeichnung, die vor kurzem in das Internet gepostet wurde, versichert, dass man nicht auf Geld aus ist. Für die Freilassung von Nicholas Berg hätten Unterhändler angeblich viel Geld geboten. Obwohl sie Geld für den Dschihad bräuchten, habe man dies nicht getan, um "unsere islamische Nation zu rächen".