Thaci-Partei droht Sonderermittler Dick Marty
Trotz der durch den Europarats-Bericht gefestigten Erkenntnisse zu Menschenschlachtungen, Organhandel und der Kontrolle des Kosovo durch das Organisierte Verbrechen weigert sich die EU-Außenbeauftragte, strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten
Das, was der Europarats-Sonderbeauftragte Dick Marty, der 2006 mit einem bemerkenswerten Befund zu CIA-Geheimgefängnissen Aufsehen erregte hatte, gestern in einem Berichtsentwurf zum Organhandel im Kosovo vorstellte, ist größtenteils nicht neu: Whistleblower, NGOs und kritische Medien berichteten seit Langem davon, dass in dem Gebiet mit völkerrechtlich umstrittenen Status das Organisierte Verbrechen herrscht. Neu ist, dass diese Erkenntnis nun auch von offizieller Stelle so formuliert wurde, dass sich die Partei des Ministerpräsidenten Hashim Thaci bemüßigt fühlte, zu drohen, man werde "alle möglichen und notwendigen Schritte" gegen die "Verleumdung" einleiten.
Allerdings ist wahrscheinlicher, dass Thaci eine Anwaltskanzlei mit besten Kontakten zu deutschen Politikern und zu Albanerclans beauftragt, als dass er Marty enden lässt wie die serbischen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die man zum Zwecke des Organverkaufs wie Schlachtvieh tötete und ausnahm, was der ehemalige Staatsanwalt in seinem Bericht jetzt offiziell bestätigte. Einer der Köpfe, die die Verbrechen zu verantworten haben, ist dem Berichtsentwurf nach der Ministerpräsident des Kosovo, der sich vor wenigen Tagen zum Sieger der am 12. Dezember abgehaltenen Parlamentswahl erklärte.
Dem offiziellen Wahlergebnis nach siegte Thacis "Demokratische Partei" PDK mit etwa 36 Prozent der Stimmen. Die bisher mit ihr koalierende "Demokratische Liga" (LDK) kam danach auf knapp 24, die extremnationalistische Großalbanienpartei Vetëvendosje auf über 12, die "Allianz für die Zukunft des Kosovo" (AAK) des in Den Haag als Kriegsverbrecher angeklagten Ramush Haradinaj auf ungefähr 11 und die vom Oligarchen Behgjet Pacolli geführte "Allianz für ein neues Kosovo" (AKR) auf sieben Prozent. Alle diese Parteien sind mehr oder weniger eng mit dem Organisierten Verbrechen verbunden, weshalb ein hochrangiger BND-Mitarbeiter 2008 von "Organisierter Kriminalität als Staatsform" sprach.
Eine für das deutsche Verteidigungsministerium angefertigt und als "Verschlusssache" eingestufte Studie des Instituts für Europäische Politik (IEP) kam bereits Anfang 2007 zu dem Schluss, dass das Kosovo "fest in der Hand der Organisierten Kriminalität" ist, die "weitgehende Kontrolle über den Regierungsapparat" hat. Dieser Studie zufolge gilt Thaci in Sicherheitskreisen als "noch wesentlich gefährlicher als Haradinaj", da der einstige UCK-Chef auf internationaler Ebene über weiter reichende kriminelle Netzwerke verfügt". Die Studie führt aus, wie "parallel zum öffentlichen Ordnungswesen" die "Dominanz des clanbasierten und auf den Grundprinzipien patriarchaler Altersautorität fußenden Herrschaftssystems" wuchs, während der NATO-Angriffe einen "exponentiellen Machtzuwachs erfuhr, und nach dem Zusammenbruch der jugoslawischen Ordnung zur alleinigen gesellschaftlichen Autorität im Kosovo avancierte." Anschließend kam es zur
Herausbildung von clangesteuerten politkriminellen Netzwerken, die seither maßgeblich die ökonomischen Geschicke des Kosovo kontrollieren und konkurrierende legal aufwachsende Strukturen notfalls mit Waffengewalt eliminieren [...] Unter dem Deckmantel der Etablierung politischer Parteien verfestigten rivalisierende Clans [ihre] Machtstrukturen und konnten in Folge mehrerer Wahlen sowie aufgrund der politischen Anerkennung seitens internationaler Institutionen wie UNMIK und KFOR eine bislang unübertroffene Machtfülle erlangen.
Zu ähnlichen Einschätzungen kommt auch der gestern offiziell vorgestellte Berichtsentwurf, der sich unter anderem auf Augenzeugenberichte und polizeiliche Erkenntnisse aus fünf Ländern stützt. Eine relativ neue Erkenntnis aus den zweijährigen Ermittlungen des Sonderermittlers ist lediglich, dass der Organhandel bis heute andauert.
In der Schweiz, dem Heimatland Martys, überlegt man nach der Veröffentlichung des Berichtsentwurfs, die diplomatische Anerkennung des Kosovo rückgängig zu machen. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sieht dagegen keinen Anlass zum Handeln. Auch strafrechtliche Ermittlungen, wie sie der Europarat fordert, plant man weder in Brüssel noch im Kosovo, dessen Justizsystem Norbert Mappes-Niediek 2002 wie folgt beschrieb: "Wenn Kriminalität überhaupt bekämpft wird, dann von der jeweils gegnerischen Bande, die sich gerade die Kontrolle über die Staatsorgane gesichert hat".
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