The Bush Files
Suskind hat die ersten der 19.000 Dokumente, die er vom ehemaligen Finanzminister und Bush-Kritiker O'Neill für sein Buch "The Price of Loyalty" erhalten hat, im Web veröffentlicht
Unübertroffen ist das Internet in den Möglichkeiten, schnell und billig auch große Datenmengen zu veröffentlichen. Damit können sehr viel stärker als zuvor Informationen, die man bislang bestenfalls nur aus zweiter Hand oder sehr viel später erhalten konnten, weltweit publiziert und diskutiert werden. Diese Chance der "Informationsgesellschaft" nutzt nun auch Ron Suskind, der mit seinem Buch "The Price of Loyalty", basierend vor allem auf den Gesprächen mit dem ehemaligen Finanzminister Paul O'Neill und den angeblich 19.000 Dokumenten, die dieser aus seiner Regierungsarbeit zur Verfügung stellte, zu Beginn des Jahres großes Aufsehen erregte.
Der von Bush Ende 2002 entlassene Finanzminister Paul O'Neill hatte schon vor dem Erscheinen des Buches gut Werbung für es gemacht. In einem terminlich gut platzierten Fernsehinterview sagte O'Neill, der während seiner Amtszeit auch im National Security Council saß, dass man in der Bush-Regierung schon von Anfang an eine Invasion in den Irak geplant und dass es auch vor dem Krieg keinerlei wirkliche Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen gegeben habe (aber das musste mittlerweile selbst Bush einräumen, der letztlich den Rückzugsweg mit dem weder verifizierbaren noch falsifizierbaren Argument beschreiten dürfte, dass Hussein zumindest die Absicht gehabt habe, solche herzustellen, und deshalb gefährlich sei). O'Neill kritisierte auch den Stil, der in der Bush-Regierung herrschte, beispielsweise die Unartikuliertheit von Bush oder die mangelnde Diskussion (Bush plante Invasion in den Irak schon zu Beginn seiner Amtszeit).
Vom Weißen Haus versuchte man, die Kritik von O'Neill abzuwehren. So habe man zuerst, wie Verteidigungsminister Rumsfeld erklärte, nur die Irak-Politik von Clinton fortgesetzt. Auch diese habe einen Regimewechsel beabsichtigt. Das Finanzministerium hat eine Untersuchung wegen Geheimnisverrats eingeleitet, um zu prüfen, ob O'Neill nach seinem Dienstende noch geheimes Material erhalten hat. Wie bereits angekündigt, wurden nun von Suskind die ersten Dokumente, die er von O'Neill für das Buch erhalten hat, auf einer Website unter dem Titel "The Bush Files" veröffentlicht.
Große Erkenntnisse bieten die bislang veröffentlichten Dokumente allerdings noch nicht. In einem Treffen des National Security Council am 1.2.2001 ging es beispielsweise um die Politik am Golf. Dazu gab es einen CIA-Bericht über den Stand der Dinge im Irak. Die Anlagen für die damit zusammenhängenden "politischen Fragen" oder die Zusammenfassung eines Arbeitspapiers über einen "politisch-militärischen Plan für die Nach-Saddam-Irakkrise" sind als geheim eingestuft worden und wurden nicht veröffentlicht. Man kann also nur spekulieren,
Dass auch Verteidigungsminister Rumsfeld nicht erst seit dem 11.9. das Militär "transformieren" wollte, um "asymmetrische Bedrohungen" seitens kleiner und mittlerer Länder verhindern oder effektiv begegnen zu können, ist kein Geheimnis. Man müsse Gegner abschrecken, Massenvernichtungswaffen und Langstreckenraketen einzusetzen. Daraus ließen sich erste Ansätze der Strategie der Präventivschläge ablesen. Wenn man hier nicht schnell reagiere, würden Gegner dies ausnutzen. Natürlich forderte Rumsfeld auch die Erhöhung des Rüstungshaushalts, die nach dem 11.9. durchgesetzt werden konnte. Für die Zeit von 2001 bis 2007 forderte eine reguläre Erhöhung um über 300 Milliarden US-Dollar, dazu kämen aber noch die Kosten für Transformation, für neue Waffen wie das viele Milliarden Dollar teure Raketenabwehrsystem, das Lieblingsprojekt Rumsfelds, oder Lohnerhöhungen.
Nachträglich interessant dürfte zumindest als Erinnerung sein, unter welchen Haushaltsbedingungen die Bush-Regierung angetreten ist. Von Clinton übernahm Bush einen erwarteten Haushaltsüberschuss für die nächsten 10 Jahre von 5,6 Billionen Dollar. Selbst nach Rückzahlung von Schulden und nach Zahlung von Geldern zur Sicherung des sozialen Sicherheitssystems würden immer noch 3 Billionen übrig bleiben, versicherte am 20. Februar 2001 Mitch Daniels, der Direktor des Office of Management and Budget (OMB). Und auch die versprochenen Steuerkürzungen von 1,6 Billionen seien leicht verkraftbar. Der Ausblick könne womöglich noch viel rosiger sein. Ab 2007 werde man vermutlich überflüssiges Geld haben und müsse überlegen, was man damit machen könne. Es gebe also einen reichlichen Spielraum und angesichts der strengen Haushaltspolitik von Bush könne man bald sämtliche Schulden zurück gezahlt haben. Mittlerweile ist der Haushaltsüberschuss längst verschwunden, die jährliche Verschuldung liegt derzeit nach OMB-Angaben bei 375 Milliarden Dollar, für 2004 sind 477 Milliarden Dollar veranschlagt.
Neben bislang nicht veröffentlichten Ausführungen des Notenbankchefs Greenspan, dem die Bush-Politik nach dem Enron-Skandal nicht scharf genug war, gibt es noch einen kurzen Blick auf die Umweltpolitik der Bush-Regierung. Die im Sommer 2003 zurückgetretene Umweltministerin Christine Todd Whitman mahnte Bush noch im März 2001, dass er nach Wegen suchen wollte, gemäß des Kyoto-Abkommens die Treibhausabgase zu verringern: "Herr Präsident, das ist ein Problem der Glaubwürdigkeit (globale Erwärmung) für die USA in der internationalen Gemeinschaft." Bush torpedierte das Kyoto-Abkommen bekanntlich, wollte später ein freiwilliges Programm aufziehen, aber hat das Thema zunehmend vergessen. Whitman verhielt sich loyal und stand hinter der Entscheidung.
Im Umweltbereich wird nicht nur gespart, es ist auch keine Thema mehr in den Reden von Bush. Obgleich Whitman vor allem Gesetze mit durchsetzte, die zugunsten der Industrie die Umweltschutzstandards wie beim sogenannten "Clean Air Act" heruntersetzten, galt sie etwa für Greenpeace im Bush-Kabinett noch als schwaches Licht in der sonstigen Dunkelheit.
Suskind hat mit den ersten Veröffentlichungen von Dokumenten aus O'Neills Amtszeit als Finanzminister unter Bush alle bedienen wollen, weswegen er Dokumente aus unterschiedlichen politischen Bereichen ausgewählt hat. Ob noch wirklich Bedeutsames nachkommen wird, muss man abwarten. Aber die Absicht des Buches war ja angeblich auch nicht primär eine Kritik der Bush-Regierung, sondern eine Aufklärung über politische Prozesse und ihre Mängel, um es besser zu machen.