The Intercept: Springer-Konzern ordnete bei News-App an, tote Palästinenser herunterzuspielen
Die Springer-App soll Redakteure angewiesen haben, pro-israelisch zu berichten. Upday hat Millionen Nutzer. Was The Intercept herausgefunden hat.
Das investigative, vielfach preisgekrönte US-Nachrichtenmagazin The Intercept berichtet, dass Europas größter News-Aggregator (eine App, die Nachrichten sammelt und verbreitet), Redakteure angewiesen haben soll, palästinensische Todesopfer herunterzuspielen. Diese Anweisung soll gekommen sein, nachdem seit letztem Wochenende der Internetzugang im Gazastreifen durch die ständigen Bombardierungen der Enklave durch das israelische Militär zum Erliegen gekommen war.
Es handelt sich dabei um Upday. Das ist eine App, die vom deutschen Medienkonzern Axel Springer SE betrieben wird und Millionen Nutzer in 30 Ländern hat. Man habe die Journalisten angewiesen, über den Krieg in Gaza mit einer pro-israelischen Tendenz zu berichten.
Das gehe, so The Intercept, aus Interviews mit Mitarbeitern und internen Dokumenten hervor, die der Redaktion in den USA vorliegen. Ein(e) Upday-Journalist(in), der/die wegen der Folgen anonym bleiben möchte, sagte dem US-Medium, dass es bei sogenannten Push-Nachrichten, die an Millionen von Handys gesendet werden, klare Vorgaben gebe.
Wir können nichts pushen, was palästinensische Todesopfer oder Opfer betrifft, ohne dass Informationen über Israel weiter oben in der Geschichte auftauchen.
Gegen diese Maßnahmen gebe es im Unternehmen breites Unbehagen, so der/die Mitarbeiter(in). In seinen Richtlinien warnte Upday seine Mitarbeiter, keine Schlagzeilen zu veröffentlichen, die als pro-palästinensisch "missverstanden" werden könnten, so die beiden von The Intercept befragten Mitarbeiter.
Kommentare von israelischen Politikern, die Palästinenser entmenschlichen, sollten in eine Sprache gekleidet werden, die das Ausmaß und die Brutalität der Hamas-Angriffe auf Israel hervorhebt, die bisher zu mehr als 1.300 Toten geführt haben, darunter viele Zivilisten. Eine weitere Anordnung lautete, militante palästinensische Gruppen in den Schlagzeilen nicht zu zitieren.
Der Springer-Konzern hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Julia Sommerfeld, eine Sprecherin des Unternehmens, sagte:
Weder haben wir unsere Journalisten angewiesen, zivile Opfer in Gaza zu ignorieren, noch haben wir unsere Redakteure aufgefordert, die Berichterstattung zu manipulieren, noch war die Unternehmensleitung an redaktionellen Entscheidungen beteiligt. Die redaktionellen Richtlinien von Upday beruhen auf journalistischen Grundsätzen und den (öffentlich zugänglichen) Axel Springer Essentials.
The Intercept weist auf den Umstand hin, dass sich auch in der Unternehmenskommunikation die Bevorzugung Israels beim Spitzenpersonal zeige. So habe der Vorstandsvorsitzende von Upday, Thomas Hirsch, in seinem Slack-Avatar eine israelische Flagge eingefügt. Auf Anfrage von The Intercept gab es dazu keinen Kommentar.
Der Springer-Konzern hat in seinen journalistischen Leitlinien fünf "Essentials", in denen ausdrücklich die Unterstützung des jüdischen Volks und Existenzrecht des Staates Israel aufgeführt wird. Auch wird von der Unternehmensführung betont, dass man sich für das "transatlantisch Bündnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa" einsetze.
Axel Springer gibt neben deutschen Zeitungen wie Bild und Die Welt auch die polnische Boulevardzeitung Fakt heraus. In den USA hält das Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung an der Nachrichtenseite Insider, und kaufte 2021 die US-amerikanische Tageszeitung Politico.
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Zu beobachten ist in der Berichterstattung insgesamt, nicht erst seit dem jüngsten Gewaltausbruch, dass die großen Medien in den USA und Europa einseitig über den Israel-Palästina-Konflikt berichten. Meist werden offizielle israelische Quellen zitiert und deren Darstellungen übernommen.
Über die palästinensischen Opfer (allein in diesem Jahr wurde bereits vor dem 7. Oktober durchschnittlich jeden Tag ein Palästinenser durch israelische Soldaten und israelische Siedler in den besetzten Gebieten getötet) erfährt man, wenn überhaupt, nur sporadisch. Die Hintergründe, das illegale Besatzungsregime, der permanente Bruch von internationalem Recht, der Landraub durch Siedlungen und die Blockade der Zweistaatenlösung kommen dabei selten in den Blick.
Fatale Einseitigkeiten
Seit der Bombardierung des Gazastreifens durch das israelische Militär gehen Nachrichtenmedien zudem vermehrt gegen Journalisten vor, denen sie vorwerfen, nicht neutral zu sein. So wurde ein Reporter von Associated Press suspendiert, weil er angeblich privat über Social Media vor einem Jahr die Verletzungen internationalen Rechts durch Israel beklagt haben soll, während er für AP, wie es bei The Gazette heißt, "moderat über die Zustände im Gazastreifen" berichtete.
Sechs Journalisten von BBC dürfen im Moment nicht weiter arbeiten, weil sie angeblich anti-israelische Aussagen getätigt haben sollen. In den USA wurden drei muslimische Star-Moderatoren vom US-Sender MSNBC vom Bildschirm entfernt.
Die britische Zeitung The Guardian entließ kürzlich einen seit Jahrzehnten tätigen Karikaturisten, nachdem Kritiker eine Darstellung des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu als antisemitisch bezeichnet hatten.
In den USA und Europa wird Israel-Kritik zunehmend diffamiert und unterdrückt. Immer wieder werden Veranstaltungen von Palästinensern oder Kritikern der israelischen Politik abgesagt oder sabotiert. Die Konzerte von Roger Waters, dem Gründer der Band Pink Floyd, sind nur ein prominenter Fall dafür.
In Deutschland, aber auch Frankreich, wurden im Zuge der israelischen Vergeltungsangriffe auf den Gazastreifen und nun auch des Westjordanlands, bei dem bisher über 4.200 Palästinenser getötet wurden, sowie der humanitären Totalblockade von Gaza pro-palästinensische Demonstrationen verboten oder aufgelöst.
Das findet statt vor dem Hintergrund eines verschärften Vorgehens der staatlichen Organe in Deutschland gegen die sogenannte BDS-Bewegung. BDS steht für Boycott, Divestment, Sanctions, einer Bewegung, die nach dem Vorbild der Anti-Apartheid-Boykotte gegen Südafrika der israelischen Besatzungspolitik mit Sanktionen begegnen will.
In einem Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 2019 wird die Bewegung als inhärent antisemitisch eingestuft. Organisationen, die den Boykott unterstützen, wird seitdem der Zugang zu öffentlichen Geldern und öffentlichen Räumen verwehrt.
Die Resolution hat es Universitäten, Landesregierungen und öffentlichen Einrichtungen ermöglicht, Palästinensern mehr und mehr das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlung zu verweigern.
Ein Bericht der deutschen Innenministerkonferenz (IMK), der sich auf die "Prävention und Intervention gegen israelbezogenen Antisemitismus" konzentriert, drängt nun auf ein weiteres Vorgehen gegen die Pro-Palästina-Solidaritätsbewegung. Darin wird sogar von einer Kriminalisierung pro-palästinensischer Reden und Aktivitäten gesprochen.
Der IMK-Bericht enthält zudem konkrete Vorschläge, Antisemitismus, der mit Anti-Zionismus gleichgesetzt wird, zu begegnen, indem etwa Schulen aufgefordert werden, ihren Schülern im Unterricht ein positiveres Bild von Israel zu vermitteln, während man zugleich den jüngsten Bericht von Amnesty International über über Israel als "antisemitisch" einstuft.
Der Bericht schlägt sogar vor, Karten zu verbieten, die "das Existenzrecht Israels infrage stellen" könnten. Ob dies auch Karten des historischen Palästina einschließt, bleibt unklar.