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Das Verhältnis zwischen Bürgern und Politik ist angekratzt. Politik gilt als selbstbezogen, als narzisstisches Schauspiel. Die Kritik am Narzissmus der Politik ist zwar berechtigt, sie zeugt aber zugleich vom eigenen Narzissmus
Der letzte Coup ist ihm nicht gelungen. Edmund Stoiber, Noch-Ministerpräsident in Bayern, musste seit dem letzten Jahr so einiges über sich ergehen lassen. Der Mann, der in "seinem Garten" gerne "Blumen hinrichtet" und bekannt ist für seine ausführlichen aber schwer verständlichen Flughafenreden, stand mehrfach im Kreuzfeuer der Kritik. Er entkam den Anklagen aber ohne Peinlichkeitsröte und blieb zunächst felsenfest im Sattel der Herrlichkeit sitzen. Stoibers Selbstverliebtheit machte selbst in diesem Jahr keine Winterpause, als zum Jahreswechsel alle Zeichen gegen ihn standen - Stoiber stütze sich nach jedem Sturz erneut ab, sah aber plötzlich in jedem den Feind.
Er wetterte in der Gesundheitsreform in den eigenen Reihen gegen Parteischwester Angela Merkel, trat in der Affäre um die Fürther Landrätin Gabriele Pauli um sich und entließ schließlich sogar seinen Büroleiter, als aufflog, dass der für ihn Munition gegen Pauli sammelte.
Und erst als die Lage für ihn aussichtslos schien, er von allen Seiten gescholten wurde, legte der seit 1993 amtierende Ministerpräsident Bayerns resigniert den Hut zur Seite - Stoiber erklärte am 18. Januar diesen Jahres seinen Rücktritt ab 30. September 2007.
Politik und Macht - nichts Neues
Der Fall Stoiber ist nichts Außergewöhnliches. Ob Uwe Barschel (CDU) vor 20 Jahren im schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf gegen den damaligen SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm intrigierte oder Helmut Kohl im CDU-Spendenskandal vor bald einem Jahrzehnt sein "Ehrenwort" hielt und bis heute nichts über einen anonymen Spender sagte. Politik bedeutet Machterhalt, zu schwer ist der Gang von der politischen Bühne, der Abgang ins Private, vielleicht auch ins Nichts. Das Festklammern am Instrument Macht ist auch ein Grund dafür, warum Vorwürfe der Bürger, Politik sei selbstgefällig, immer wieder an die Führungsriege adressiert werden. Auch für Stoiber gingen die Umfragewerte Ende letzten Jahres in den Keller, weil er bleiben wollte, obwohl seine politische Karriere bereits demontiert schien. Derzeit ätzt er noch mal gegen Möchtegern-Nachfolger Huber. Besser macht es das aber auch nicht mehr.
Doch auch vielen anderen Politikern geht es derzeit nicht viel besser. Lediglich vier Politiker(innen) - Angela Merkel an der Spitze - genießen Zufriedenheitswerte der Bürger über der 50-Prozent Marke (Infratest Dimap). Am unteren Ende liegt Oskar Lafontaine mit 21 Prozent, der sein persönliches Kriegsbeil bereits vor Jahren gegen Gerhard Schröder ausgrub und seitdem aus seinem Imagetief nicht mehr rauskommt. Die FDP probt noch immer mit Guido Westerwelle, ebenfalls im unteren Bereich - von den Grünen seit Joschka Fischers Abgang ganz zu Schweigen. Auch der SPD gelingt derzeit mit Kurt Beck als bärtig-sozialdemokratische Notlösung kein Treffer ins Schwarze der Marke "Beck in Black" - Becks Beliebtheitswerte waren im April 2007 so schlecht wie nie zuvor. Beck kann wie so viele andere seiner Spezies momentan kein Gefühl von sozialer Gerechtigkeit vermitteln.
Politik als Selbstbedienungsladen - eine neue Entwicklung?
Der Missmut gegenüber der Führungsriege ist in erster Linie der ökonomischen Situation geschuldet. Die Mehrheitsmarke des Misstrauens gegenüber einer Regierung wurde schließlich erstmals in der zweiten Hälfte der 90er Jahre überschritten, als die Regierung Kohl 1997 deutliche Einschnitte ins soziale Netz vornahm. Bis heute hat sich dieses Verhältnis nicht erholt, wenn auch die Zufriedenheitswerte über die Arbeit der Regierung jüngst aufgrund des kleinen ökonomischen Aufschwungs leicht gestiegen sind. Von einem Trend kann dennoch keine Rede sein, noch immer sind knapp zwei Drittel der Bürger mit der Arbeit der Regierung unzufrieden. Und unzufrieden sind die Bürger auch darum, weil sie Politik als "Selbstbedienungsladen" erleben: Politik gilt als selbstgerechtes Geschäft, als narzisstisches Schauspiel in der medial theatralischen Endlosschleife.
In Zahlen lässt sich das zwar bis heute nicht belegen, da es keine Umfragen gibt, in denen direkt nach "narzisstischem" oder "selbstbezogenem" Verhalten in der Politik gefragt wurde. Allerdings zeigten Umfragen aus den Jahren 1994, 1998 und 2002, dass rund 70 Prozent der Deutschen meinten, Parteien wollten nur Macht, und knapp 60 Prozent sagten, Parteien hätten es nur auf die Stimmen der Wähler abgesehen, deren Ansichten interessierten sie nicht. Ebenfalls stimmten zwischen 50 und 60 Prozent der Aussage zu, Parteien betrachteten den Staat als "Selbstbedienungsladen". In allen Fällen liegen die Zustimmungsraten in Ostdeutschland etwas über den Raten Westdeutschlands.
Wenn dazu auch keine Vergleichbarkeit über die letzten Jahrzehnte aufgrund fehlender früherer Ergebnisse möglich ist und auch keine aktuelle Datenlage existiert, liegt die Vermutung dennoch nahe, dass sich an diesem Verständnis von Politik bis heute nichts geändert hat. Politik gilt gerade heute, im Zeitalter des Medialen, als selbstbezogene Angelegenheit. Politik verliere, so die Kritik, das Wesentliche, also ihren politischen Auftrag, aus dem Auge, wenn sie sich selbst zu sehr im Visier hat. Dieser Vorwurf wird sich auch durch jenen Umstand verstärkt haben, dass seit den 80er Jahren, spätestens aber seit den 90ern, eine Personalisierung der Wahlkämpfe auch hierzulande zu erkennen ist, wenn die hiesigen Verhältnisse bislang auch keineswegs den amerikanischen gleichen.
Und selbst wenn es personenzentrierte Wahlkämpfe schon zu Zeiten von Konrad Adenauer, Willy Brandt oder Franz Josef Strauß gegeben hat, agierten die Kandidaten nicht losgelöst von den Parteien. Das personelle Profil war stets das der Partei und stand für ein Parteiprogramm, nicht aber für einen individuellen Politikstil.
Personalisierung der Politik. Ein Grund, warum Politik als eitle Show-Veranstaltung gilt?
Einen ersten groß angelegten personenzentrierten Wahlkampf hat es hierzulande erstmals 1994 gegeben, als Helmut Kohl im Bundestagswahlkampf auf einem Plakat wie ein Fels in der Brandung ohne politische Aussage und auch ohne Parteilogo inmitten einer gesichtslosen Menschenmenge sein Konterfei zeigte - es ging nun nicht mehr um Inhalte, sondern um die Vermarktung einer Persönlichkeit. SPD-Spitzenkandidat Rudolf Scharping konterte, abgebildet mal als treuer Familienvater, als engagierter Fahrradfahrer oder Wanderer. Es folgte der SPD-Hahnenkampf zwischen Schröder und Lafontaine nach der Bundestagswahl 1998. Den sozialdemokratischen Highlander sollte es in den eigenen Reihen nur einmal geben.
Die eigene Befindlichkeit, ob das Herz eines Sozialdemokraten links oder bereits in der Mitte schlägt, schien plötzlich wichtiger zu sein als die gesellschaftlichen Probleme, die daraus erst resultieren. Dann rauschten Stoiber und Schröder als Kanzleraspiranten im Jahre 2002 unter 15 Millionen Beobachtern in Form eines TV-Polit-Showdowns erstmals auf Bundesebene durch die Aufmerksamkeitsgesellschaft. All das hat dazu beigetragen, dass ein Großteil der Bürger die Vermutung nicht mehr los wird, Politik sei eine eitle Show-Veranstaltung und wäre sich selbst am nächsten.
Der Narzissmus der Zeit - nichts, was man nur auf der politischen Schaubühne suchen muss
Die Skepsis gegenüber den Parteien begründet sich vor allem darin, dass dem Bürger zugleich immer wieder vermehrt in die Geldbörse gegriffen wird, Parteien- und Spendenskandale aber anscheinend zur unausweichlichen Ämterbegleiterscheinung eines Politikers gehören. In diesem Punkt muss Politik auch hart kritisiert werden. Politik als Betätigungsfeld 2.0 wirkt gerade in medialen Wahlkampfzeiten zwischen "negative campaigning" (dem so genannten "Schmutzwahlkampf", also der gezielten symbolischen Destruktion des Gegners) und professionalisierter Spin Doctorei (der gezielten Wahlkampf PR-Technik) selbstbedacht.
In diesem Sinne ist auch der Vorwurf berechtigt, Politik sei ein narzisstisches Kabinett, wenn man sich nur vor Augen hält, dass sich im Verhältnis zwischen Medien und Politik die Rollen mittlerweile "vertauschen", wie der Politologe Thomas Meyer in seinem Buch "Mediokratie" folgert: Während in der Parteiendemokratie die Medien die Politik beobachten sollten, damit sich die Staatsbürger eine vernünftige Meinung von ihr bilden können, beobachten in der Mediendemokratie die politischen Akteure auch das Mediensystem, damit sie lernen, wie sie sich und was sie präsentieren müssen, um in den Medien überhaupt präsent und attraktiv zu sein.
Die attestierte Selbstbeobachtung der "Politik in der Erlebnisgesellschaft" (Andreas Dörner) sagt aber nicht nur etwas über den Narzissmus eines Politikers in einer medial pulverisierenden Welt aus. Die Kritik am Narzissmus verrät auch etwas über den Narzissmus einer ganzen Gesellschaft, über die zeitgenössische Furcht, nicht gesehen zu werden und sich verloren zu fühlen. Gerade in der Kritik am Narzissmus drückt sich der eigene Narzissmus aus. Darum gibt sie auch Auskunft über das Verhältnis zwischen Bürgern und Parteien, über die Abkehr von der Parteienpolitik, die wiederum durch einen beiderseitigen Narzissmus (mit)verursacht wird. Narzisstisch meint hier nicht, dass jede selbstdarstellerische Drehung im Radius des Medialen gleich eine pathologische sein muss.
Die Psychologen Heinz Kohut und Ernest S. Wolf haben berechtigt bereits zu Beginn der 80er Jahre fünf narzisstische Persönlichkeitstypen unterschieden und nur zwei dem pathologischen Bereich zugeordnet. Die "spiegelhungrige Persönlichkeit", die stets auf der Suche nach Bewunderung ist, bezeichnen sie zurecht als eine "normale" nicht-pathologische Form (wenngleich sie pervertieren kann). Und diese muss man heute keineswegs nur auf der politischen Schaubühne suchen.
Im Spiegel des Anderen - ein Akt eitler Selbstbestätigung
Die "spiegelhungrige Persönlichkeit" puppt heute gerade im Korridor der medialen Selbstoffensive, bei der man sich selbst am nächsten ist, dazu aber den "Anderen" braucht. Institutionenskepsis und die Distanz zu den Parteien sind mitunter Merkmale dieser chronischen Selbst-Suche. Leider ist es nur bislang nicht geglückt, neuere psychologische Theorien zum medialen Narzissmus mit politikwissenschaftlichen Ansätzen zur Parteienverdrossenheit zu verknüpfen.
Der Frankfurter Psychologe und Supervisor Martin Altmeyer hat vor sieben Jahren zu Recht eine ambitionierte Neukonzeption des Narzissmus in seinem Buch "Narzissmus und Objekt" vorgenommen. Altmeyer zufolge ist der heutige Narzissmus gerade nicht die "einsame Beschäftigung mit sich selbst", wie man das einst aus dem primärnarzisstischen freudschen Konzept ableitete. Der heutige Narzissmus ist der Wunsch nach dem "Versorgtwerden, Gesehenwerden, Geliebtwerden, Anerkanntwerden". Der mediale Narzissmus ist also zwischen Subjekt und Objekt angesiedelt. Wir sehen uns im "Spiegel des Anderen", brauchen den Anderen (also das Objekt) zur eitlen Selbstbestätigung und suchen uns gerade nicht (nur) in Form einer solipsistischen Selbstbegegnung im eigenen Spiegel, in der Selbstisolierung.
Das sagt dann so einiges über den Drang in der Politik aus, vom Ortsverband in die Talkshow zu eilen und die Medien als Instrument zur Selbstbestätigung zu nutzen. Es erklärt auch das panoptische Vergnügen in einer voyeuristischen Welt zwischen Big Brother, You-/PornoTube, MySpace und DSDS, bei dem es ganz Deutschland mal mit einem Streich bei Dieter Bohlen versucht, Talente online gestellt werden oder man auch nur die Hosen runter lässt - jetzt wird zurück gefickt. Und es sagt schließlich etwas über das Verhältnis zwischen Bürgern und Parteien aus. Nur wurde Altmeyers Ansatz nie ins Feld politischer Theorien gerückt.
Denn es geht beim "medialen Narzissmus" nicht nur um die eitle Bespiegelung in Form des Beklatschens durch den Betrachter. Das wird zunächst der Politik vorgeworfen. Die Anerkennung des Eigenen durch die Spiegelung der Anderen drückt sich vielmehr auch in der Ablehnung des Anderen aus. Gerade das ist zu einem Problem für die Politik geworden.