Till Lindemann und Rammstein: Der Vorsatz, das Wissen und das Wollen
Seite 2: Was belegt werden müsste
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Auch wenn diese Tatsachen objektiv feststellbar sein sollten, müsste zusätzlich belegt werden, dass Lindemann vorsätzlich, das heißt mit Wissen und Wollen, die Mädchen von einem Verlassen des Raumes abhalten wollte.
Ein Anhaltspunkt für das Gericht wäre es etwa, wenn er Alena M. ausdrücklich um ihre Handlungen gebeten hätte und es einen Beleg für diese Bitte gäbe. Von einem solchen ist jedoch bislang nichts bekannt, zumal Lindemann selbst die Vorwürfe und eine dahin gehende Absicht abstreitet.
Zuletzt müsste Lindemann die Tat zu einem besonders verwerflichen Zweck bzw. mit verwerflichen Mitteln begangen haben. Hier wäre das Ziel, mit den Mädchen sexuell zu interagieren (das nach einigen Aussagen schon bei der vorherigen "Akquise" durch Alena M. artikuliert wurde), natürlich ein verwerfliches Ziel.
Berücksichtigt wird im Rahmen der Nötigung aber nur das Verhalten des Opfers, das der Täter bei diesem unmittelbar ausgelöst hat, also das "Nicht den Raum verlassen". Ob dieses Ziel die erforderliche Verwerflichkeit aufweist, ist fraglich.
Ein zweiter Komplex ist das Verabreichen von Betäubungsmitteln, das eine der Frauen Lindemann unterstellt. Hierbei könnte es sich um eine einfache, wenn nicht sogar schwere Körperverletzung im Sinne von §§ 223, 224 StGB handeln.
Denn eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung ist das Verabreichen dieser Mittel definitiv: Sie können, wie auch im Fall der Aussagenden, zu Übelkeit, Gedächtnislücken, schweren Kreislaufstörungen und Kopfschmerzen führen. Damit wird, wie für eine Körperverletzung erforderlich, das Wohlbefinden des Opfers stark beeinträchtigt.
Eine schwere Körperverletzung und damit die Qualifikation des Tatbestands ist denkbar, weil das Betäubungsmittel ein gesundheitsgefährdender Stoff sein könnte. Kritisch wird allerdings auch hier der Beweis dafür, dass Lindemann, der der Betroffenen den Stoff mutmaßlich nicht selbst verabreichte, mit einem anderen gemeinsam gehandelt oder aber eine andere Person zu diesem Handeln angestiftet hat. Auch der negativ ausgefallene Drogentest bei der Betroffenen stützt eine Anklage an dieser Stelle nicht.
Schließlich bleiben als dritter Komplex die Vorwürfe, die Lindemanns eigene sexuelle Interaktionen mit einigen Frauen betreffen. Sowohl im Falle der Frau, die Lindemann auf sich liegend vorfand, als auch der anderen Betroffenen, die von gewaltsamem Geschlechtsverkehr mit dem Frontmann berichtete, ist an einen sexuellen Übergriff oder eine Vergewaltigung im Sinne von § 177 StGB zu denken.
Ohne Weiteres wäre der Geschlechtsverkehr eine sexuelle Handlung, die der Sänger an den Frauen vorgenommen hat. § 177 Abs. 1 StGB setzt allerdings voraus, dass dies "gegen den erkennbaren Willen" der Frauen geschehen ist.1
Was konkret die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens bedeutet, wird erst auf den zweiten Blick klar: die Sexualpartnerin muss ihren entgegenstehenden Willen entweder ausdrücklich (also wörtlich) oder konkludent zum Ausdruck bringen, durch Abwehr der sexuellen Handlung oder Weinen. Als eindeutig erkennbar wird auch ein "Nee" oder "Lass das" bewertet, außerdem bestimmte Gesten und körperliche Abwehrreaktionen wie das Zusammenklemmen der Oberschenkel, ein Zittern oder Wegrennen.
Der Gesetzgeber hat also bewusst in Kauf genommen, dass es zu Grenzsituationen kommen kann, in denen der Täter einer Strafe entgeht, weil ein eindeutiges Nein des Opfers nicht bewiesen werden kann. Begründet wird das damit, dass es noch nicht strafbar sein sollte, bloß einen innerlichen Vorbehalt zu missachten. In den Unterlagen zur Gesetzesbegründung findet sich zudem die Aussage, es könne dem Opfer zugetraut werden, einen entgegenstehenden Willen auch deutlich zum Ausdruck zu bringen.
In dem Fall der jungen Frau, die von zwar schmerzhaftem Sex berichtet, zu dem sie jedoch nicht nein sagte, wird es wahrscheinlich problematisch, diese Anforderungen im Nachhinein zu erfüllen. Allein der Umstand, dass sie körperlich angespannt war, genügt noch nicht, um einen erkennbar entgegenstehenden Willen zu bejahen.
In dem Fall, in dem die Aussagende angab, bewusstlos gewesen zu sein, könnte Lindemann sich wegen eines sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, weil er bewusst ausgenutzt hat, dass seine Sexualpartnerin gar nicht in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu bilden. Ob es jedoch für dieses Geschehen jemals Beweise geben wird, ist mehr als fraglich, da auch der Betroffenen selbst eine Erinnerung an einen etwaigen Übergriff fehlt.
Wenn die Vorwürfe in ihrer Gesamtheit also auch so klingen, als gäbe es zahlreiche Anhaltspunkte für Ermittlungen gegen Lindemann, ist das Fundament tatsächlich eher dünn. Bislang liegt noch keine Anzeige gegen die Band oder Lindemann vor.
Die Staatsanwaltschaft Hannover sieht keinen Anfangsverdacht, die Staatsanwaltschaft Berlin lehnt bereits eine Äußerung zu etwaigen Anzeigen ab, da sie die Voraussetzungen für einen presserechtlichen Auskunftsanspruch nicht erfüllt sieht.
Wie dann aber umgehen mit Aussagen, die noch nicht bewiesen wurden? Es ist nicht nur aus dem ersten Impuls heraus, sondern auch juristisch korrekt, dass zunächst einmal den (vermeintlichen) Opfern mehr Glauben geschenkt wird, da Machtgefälle nicht entscheidend für die Glaubhaftigkeit einer Aussage sein dürfen. Das Strafrecht darf sich aber an den medialen Spekulationen nicht beteiligen.
Zunächst gilt es stattdessen, alle Informationen zusammenzutragen und dann zu beurteilen, wie glaubhaft die Aussagen der Betroffenen sind. Dabei unterstützen Methoden der Aussagepsychologie, die helfen, wahre von unwahren Aussagen zu trennen. Aussagepsychologen können in einem Gerichtsprozess als unabhängige Sachverständige herangezogen werden.
Im Vorfeld spielt auch die Argumentation der Prozessbeteiligten, also Anklage und Verteidigung, eine Rolle, die die Aussagen zumeist unterschiedlich bewerten und deren Argumentation auf unterschiedlich stabilem Fundament aufbaut.
Auch die Folgen von Falschaussagen, sollten die Vorwürfe als solche eingeordnet werden, sind letztlich sehr unterschiedlich – eine Strafbarkeit kommt hier allerdings nur in Betracht, wenn die Aussagende sich die Darstellung bewusst ausgedacht hat. In diesem Fall reichen die möglichen Strafen von Ermahnungen über Geldstrafen bis hin zu Bewährungsstrafen.
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