Till Lindemann und Rammstein: Der Vorsatz, das Wissen und das Wollen
Seite 3: Gefühlte Fakten
Was am Ende bleibt, ist die Gewissheit, dass im Fall Lindemann wohl nur recht wenig wirklich gewiss ist, sondern alle, die die Debatte verfolgt haben, mit vielen Fragen zurückbleiben werden. Es bleibt möglich, dass es zu einem strafrechtlichen Prozess kommt, sollte eine der Frauen eine Anzeige gegen Lindemann erheben.
Bis dahin wird die Debatte allerdings außerhalb des Gerichtssaals weitergeführt, und kann aus zwei Blickwinkeln beurteilt werden. Es ist zunächst gut und richtig, dass es so schnell eine große Sympathie für die Frauen gab, die die Vorwürfe erhoben haben.
Das spricht für ein großes Bewusstsein für patriarchale Strukturen, die die Me-Too-Bewegung bisher still und leise überdauern konnten. Der Lindemann-Skandal ist der Finger, der in diese offene Wunde gelegt wurde.
Die Debatte, die damit erneut entfacht wurde, ist ein wertvoller Hinweis darauf, dass Machthierarchien und manipulative sexuelle Dominanz in den Hinterzimmern von Unternehmen, in Backstage-Bereichen, eben als Teil unseres Alltags weiterleben.
Aber: Auch die Gefahr von Vorverurteilungen ist nicht zu unterschätzen. Mediale Hetzkampagnen können, das hat der Fall Kachelmann eindrücklich bewiesen, nicht nur eine Karriere beenden, sondern auch eine Persönlichkeit brechen.
Das hat nichts mit Mitleid zu tun, sondern damit, dass Vorverurteilungen tief in das Leben eines Angeschuldigten eingreifen und eine solche gesellschaftliche Sanktion nur (ansatzweise) gerechtfertigt sein kann, wenn sie ein Unrecht ausgleicht.
Ein Urteil sollte, rechtlich und auch medial, nur ergehen, wenn ihm tatsächlich ein Vergehen vorausgegangen ist. Denn Strafe ist nur gerechtfertigt, wenn ein Mensch gegen den gemeinsamen Wertekonsens verstoßen hat, den eine Gesellschaft ihrem Zusammenleben zugrunde legt. Dass wir uns durch den Fall Lindemann dieser Werte wieder bewusster werden, ist wichtig.
Aber wir sollten uns nicht zum Spielball machen lassen von einer Berichterstattung, die mit schnellen Emotionen spielt und die Deutungshoheit an sich reißt, ohne dabei Fakten von Mutmaßungen zu trennen.
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