Till Lindemann und Rammstein: Der Vorsatz, das Wissen und das Wollen

Frontmann Till Lindemann unter Feuer, Rammstein-Konzert in Los Angeles, September 2022. Bild: Sergei Mutovkin/CC BY 2.0

Gefühlten Vergehen und substanzielle Beschuldigungen: Warum aus juristischer Sicht eine besonnene Berichterstattung notwendig ist. Eine erste strafrechtliche Einschätzung.

Der Skandal um die Band Rammstein, zuvorderst den Rammstein-Frontmann Till Lindemann, hat in den vergangenen Tagen an Fahrt aufgenommen. Kaum ein Medium, das sich noch nicht zu den aufsehenerregenden Details positioniert hat, die aus den Vorwürfen mehrerer Frauen gegenüber Lindemann herausstechen.

Aus der bisherigen Berichterstattung scheint sich ein eindeutiges Bild abzuzeichnen, das nächste Aufbäumen der Me-Too-Bewegung scheint kaum noch aufzuhalten. Als Reaktion darauf hat Lindemann jüngst die bekannte Presserechtskanzlei Schertz Bergmann mit seiner Vertretung beauftragt; er streitet die Vorwürfe ab und will gegen vermeintlich falsche Anschuldigungen und Verstöße gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung vorgehen.

Dass er mit Schertz Bergmann professionelle Unterstützung hinzuzieht, verdeutlicht einmal mehr die Dimension, die die Debatte inzwischen angenommen hat. Die steht anderen skandalträchtigen Diskussionen in der Vergangenheit, bei denen die Berliner Presserechtskanzlei etwa Joachim Löw und Thomas Gottschalk zur Seite stand, offenbar in nichts nach.

Währenddessen macht sich eine kollektive Empörung breit, ein Kampfgeist, der auf der einhelligen Annahme beruht, die Vorwürfe gegen die international erfolgreiche Metal-Band müssten zumindest im Kern auf wahren Tatsachen beruhen.

Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Sturm erreicht. Über seinen Pressesprecher Steffen Hebestreit ließ er am vergangenen Freitag in einer Berliner Pressekonferenz verlautbaren, er verfolge die Berichterstattung im Fall Lindemann. Die Vorwürfe gegenüber dem Künstler müssten aufgeklärt werden. Nach Äußerungen des Regierungssprechers wolle man die Entscheidung darüber, welche Konsequenzen der Debatte folgen würden, allerdings der Musikbranche selbst überlassen.

Diese zurückhaltende Stellungnahme vonseiten des Kanzlers hat Ausnahmecharakter. Das Thema polarisiert. Es ist unvermeidlich und naheliegend, Mitgefühl mit den Opfern und im Zuge dessen Wut gegenüber dem Angeschuldigten zu entwickeln. Dennoch lohnt es sich, einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht vorschnell zu urteilen.

Denn wirklich zielführend für eine Gesellschaft, in der es ein ausgeprägtes Bewusstsein für patriarchale Machtstrukturen und darauf basierende sexuelle Grenzüberschreitungen gibt, wäre es, wenn die Vorwürfe gegen Lindemann auch gerichtlich, von einer neutralen Instanz, bestätigt würden.

Erst dies wäre ein Schiedsspruch in dem hitzigen emotionalen Wortgefecht zwischen zwei Fronten, in dem alle Argumente letztlich auf Gefühlen beruhen. Dem Gefühl, sich selbst für das moralisch Richtige positionieren zu müssen, einerseits – und dem Gefühl, die Loyalität gegenüber einer lange verehrten Person nicht verraten zu wollen, andererseits.

Die strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe im Detail

Die Prognose, wie ein etwaiges Verfahren gegen Till Lindemann tatsächlich ausgehen könnte, fällt schwer und kann nur hypothetisch abgegeben werden. Einmal angenommen, die Lindemann entgegengebrachten Vorwürfe entsprächen in Gänze der Wahrheit – was könnte dem Rammstein-Frontmann aus strafrechtlicher Perspektive drohen?

Zunächst einmal sind da Aussagen verschiedener Frauen, teils anonym, teils namentlich. Sie reichen von Schilderungen einer insgesamt bedrohlichen und manipulativen Atmosphäre auf Rammstein-Konzerten bis hin zu konkreten Vorwürfen gegenüber Lindemann, er habe sexuelle Handlungen gegen ihren Willen an den Frauen vorgenommen.

Zahlreichen Aussagen ist zu entnehmen, dass auf Rammstein-Konzerten und sogar bereits im Vorfeld dieser Konzerte gezielt Frauen angesprochen wurden, die für die Teilnahme an der Aftershow-Party infrage kamen, die sich an die Konzerte anschloss. Diese Aufgabe soll die der Band nahestehende Alena M., übernommen haben, die nach Angaben der Frauen abseits der Konzerte über soziale Netzwerke Kontakt zu "passenden" Kandidatinnen aufnahm.

Die ausgesuchten Personen sollten sich während des Konzerts in der sogenannten "Row Zero" unmittelbar vor der Bühne versammeln. Im Anschluss an das Konzert sollen die Ausgewählten dann in einen Backstage-Bereich verbracht worden sein, in Begleitung einiger Security-Personen sowie der bereits erwähnten Alena M. Hier wurden die Frauen aufgefordert, ihre Mobiltelefone abzugeben und aktiv dazu ermutigt, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen.

Eine junge Frau berichtete, ihr seien Getränke verabreicht worden, die mit Betäubungsmitteln versehen waren. Ein Drogentest konnte diese Annahme nicht bestätigen, allerdings traten ihrer Aussage zufolge nach dem Konzert mehrere Stunden überdauernde Blackouts auf. Zudem habe sie heftige körperliche Beschwerden erlitten und zahlreiche, auch großflächige, blaue Flecken an ihrem Körper bemerkt, für die sie keine Erklärung fand.

Eine weitere Konzertbesucherin aus Wien gab an, sie sei aus einer Betäubung erwacht und habe den Sänger auf ihr liegend vorgefunden. Er habe sie gefragt, ob er "aufhören solle", sie habe diese Frage jedoch nicht einordnen können. Eine dritte Konzertbesucherin berichtete von gewaltvollem Verkehr mit Lindemann bei einem Konzert in Hannover.

Lindemann habe sie vor dem Konzert in die Garderobe gebeten, die Tür geschlossen und dann begonnen, sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Sie habe nicht explizit nein gesagt, nach dem Geschlechtsverkehr aber geblutet, und währenddessen starke Schmerzen gehabt, sei verkrampft gewesen und habe darauf gewartet, dass alles vorbei sei. Lindemann habe das erkennen können und müssen.

Ein erster Komplex ist damit das Versammeln von Frauen in der Row Zero und im Backstage-Bereich, das Alkohol-Angebot und die Aufforderung, das Handy abzugeben. Diese Situation hat Druck auf die Beteiligten ausgeübt, sie in eine Situation gebracht, in der sie das Gefühl hatten, sie seien nicht mehr frei in ihrer Entscheidung, zu gehen.

Es könnte sich also um eine Nötigung gem. § 240 StGB gehandelt haben. Die Nötigung setzt die Ausübung von Gewalt voraus, die allerdings schon gegeben ist bei einer "physischen Einwirkung sonstiger Art, die nach ihrer Zielrichtung, Intensität und Wirkungsweise dazu bestimmt und geeignet ist, die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung eines anderen aufzuheben oder zu beeinträchtigen".

Die Situation im Backstage-Bereich könnte hierzu geeignet gewesen sein; dazu trug das Security-Personal bei, das den Betroffenen körperliche Überlegenheit vermittelte und eine subtile Drohung darstellte, körperliche Gewalt bei einem "Gehen" der Mädchen auch einzusetzen. Außerdem vermittelte ihnen die Aufforderung, ihre Handys abzugeben, das Gefühl, den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren und keine Hilfe mehr herbeirufen zu können.

Dieses Gefühl dürfte verstärkt worden sein von der Bitte, Alkohol zu trinken, da den Mädchen dadurch vermittelt wurde, es sei erwünscht, dass sie weniger aufmerksam und kritisch seien. Ein Übriges dürfte Alena M. mit ihrer verbalen Überzeugungsarbeit beigetragen haben.

Problematisch dürfte aber sein, dass Lindemann auch gegen oder ohne den Willen der Frauen gehandelt haben muss. Dies ist schwer nachzuweisen, da die Mädchen sich vorab freiwillig dazu bereit erklärt hatten, an der Aftershow-Party teilzunehmen und mit in den Backstage-Bereich zu kommen.

Zudem hat Lindemann die Mädchen nicht selbst in den Raum eskortiert, sondern eine Vermittlerin, so der Vorwurf, damit beauftragt. In Betracht kommt deshalb nur seine Mittäterschaft bzw. eine Strafbarkeit als Anstifter, während Alena M. die Tat ausführte.

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