Tod am Fluss

Die Geschichte von einer US-Patrouilleneinheit und zwei Irakern

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"Nach Tagen der Suche fanden wir die Jacke meines Sohnes, die im Fluss trieb; ich werde sie behalten als Erinnerung und als Symbol für die Ungerechtigkeit, die ihm von Soldaten der Vereinigten Staaten zugefügt worden ist..." Könnte gut sein, dass in den nächsten Tagen mehrere Journalisten den bitteren Brief in der Hand halten, den Zeiduns Mutter an Bush, Blair, Bremer, Annan und andere Oberhäupter verfasst hat. Die Leidensgeschichte von Zeidun und seinem Cousin Marwan, die bislang nur in einer verhältnismäßig kleinen Öffentlichkeit kursierte, dürfte durch ihre kürzliche Veröffentlichung in der englischen Zeitung "Independent" größere Wellen schlagen und vielleicht endlich dazu führen, wofür die Familie und ein Blogger seit Wochen kämpfen: eine genaue Untersuchung des Vorfalls.

Der Lastwagen der beiden Irakis, nachdem ein US-Panzer darüber gerollt war

Am 08. Januar publizierte ein sichtlich erregter irakischer Blogger unter der Überschrift. "Die Tragödie einer irakischen Familie" den eigenhändig übersetzten Brief von Zeiduns Mutter, Fotos des verschwundenen 19jährigen Sohnes und verschiedene Updates zu einer tragischen Geschichte, die ihm von der verzweifelten Familie, mit der er weitläufig verwandt ist, mit dem dringenden Wunsch nach Veröffentlichung berichtet wurde. Auf die amerikanischen Behörden sollte Druck ausgeübt werden. Zeyad, der Blogger, hoffte, genug Aufmerksamkeit über die "Blogosphäre" zu bekommen, damit die skandalösen Vorgänge, die dazu geführt hatten, dass ein 19Jähriger in den Fluten des Tigris ertrank, genauestens untersucht würden.

Am 3. Januar waren Zeidun und sein Cousin Marwan mit einem gemieteten Laster von Bagdad, den sie dort mit Handelsgüter beladen hatten, zu ihrer Heimatstadt Samarra unterwegs. Auf dem Weg hatte der Laster eine Panne. Die Reparatur benötigte einige Stunden, weswegen die beiden erst zu später Stunde in die Randbezirke Samarras gelangten. Zu spät, denn die Sperrstunde hatte schon angefangen. Eine amerikanische Patrouille hielt sie auf, untersuchte Personen und Ladung und ließ sie weiterfahren; aber nur wenige Meter. Dann mussten die beiden erneut aussteigen und zu den Soldaten ins Auto.

Die Soldaten fuhren sie zu einem Damm am Tigris, wo ein Kanal mit Schleusen den Zufluss des Flusses in den Tharthar-See regelt. Dort wurden die beiden jungen Irakis, nach Aussagen des Überlebenden Marwan, unter vorgehaltenen Waffen dazu gezwungen, ins Wasser zu springen. Obwohl die Iraker betonten, dass sie nicht schwimmen konnten, kannten die - angeblich angetrunkenen Soldaten (so der Bericht eines irakischen Journalisten, der den Überlebenden interviewte) - keine Gnade.

Wir flehten sie an. Wir sagten, dass wir nicht schwimmen können. Mein Cousin versuchte sich an einem Soldaten festzuhalten. Der lachte nur, als er ihn hinein stieß. Zwei von den Soldaten zeigten mit ihrem Gewehr auf seinen Kopf und Brust. Vier von ihnen stießen mich zum Damm, zur Strömung. Ich konnte nur meine Nase und meinen Mund über Wasser halten. Ich konnte die Amerikaner sehen, wie sie dort standen und mit ihren Waffen auf uns zeigten. Sie wollten, dass wir sterben, aber ich überlebte, um gegen sie auszusagen. Mein Verstand funktionierte nur chaotisch, aber ich erinnere mich, dass ich sehr um Sorge für meinen Cousin war. Wir riefen uns etwas zu. Ich tat, was ich konnte, aber es war Gottes Wille. Ich versuchte, zu ihm zu schwimmen, bekam seine Hand zu fassen; aber sie entglitt mir in der Strömung wieder.

Marwan gegenüber dem Slate-Reporter

Es gebe immer zwei Seiten zu einer Geschichte im Irak und eine große Kluft dazwischen, schreibt der ehemalige Time-Reporter Wendell Steavenson, der der Geschichte ein paar Wochen später für das Slate-Magazin auf der Spur war.

Steavenson hat sich den Damm vor Ort angeschaut und "überrascht" festgestellt, dass die beiden nicht von der großen Brücke ins Wasser springen mussten, die sich auf der Strasse nach Samarra über den Tigris spannt, sondern nur von einer leichten Erhöhung eines Dammes: "als ob man in einen Swimming Pool" spränge. Auch war die "reißende" Strömung, wie sie im Brief und in der Zeugenaussage des Cousins geschildert wurde, auf den ersten Blick harmlos; nur bei näherem Hinsehen würde man die gefährliche Unterströmung erkennen.

Für Steavenson sind das erwähnenswerte Details der Geschichte: Es war Nacht. Für die US-Soldaten also nicht so leicht einzuschätzen, in welche Gefahr sie die beiden Irakis brachten. Der Journalist glaubt nicht, dass die Soldaten den Tod von Zeidun beabsichtigten.

Dass sie "nichts Unsauberes" getan hätten, wie ihr Vorgesetzter in Samarra zu seiner "Zufriedenheit" behauptet, diese Version indes glaubt der Slate-Journalist, der sich anscheinend als bislang einziger Journalist die Mühe gemacht hat, Col. Rudesheim aufzusuchen, auch nicht. Zumal die Untersuchung der CID (Criminal Investigation Devision), die der Colonel in dieser Sache geordert hatte, den Colonel zu ganz eigenen Schlüssen kommen lässt: "Das Letzte, was sie (die Soldaten) sahen, waren die beiden, wie sie sich unterhielten, ganz lebendig am Ende der Damm-Brücke."

Wahrscheinlich, so die Vermutung Steavensons, hatten die Soldaten keine Lust, die beiden Iraker zur nächsten Armee-Basis in Silo zu bringen, um sie dort vorschriftsgemäß über Nacht in Verwahrungshaft zu nehmen. Sie wollten keine Mühe und keinen Ärger, sie waren die letzte Patrouille. Sie stießen die Cousins in den Fluss, ohne mörderische Absicht, dachten, die sollten sich zu Fuß durchschlagen und überfuhren später den Lastwagen der beiden mit einem Panzer.

Dieser Teil der Geschichte wurde von einem anderen Colonel, dessen Soldaten in der Nähe des Dammes stationiert sind und in der fraglichen Nacht die Schreie der Iraker hörten und schließlich dem völlig unterkühlten Marwan zur Hilfe kamen, indirekt bestätigt.

Zeiduns Leiche wurde 12 Tage später, ein paar Hundert Meter flussabwärts vom Damm entfernt, gefunden. Das CID-Team hat Marwan mehrere Stunden lang befragt, um beide Seiten zu hören. Der Kommandeur der Truppe wird nach dem abschließenden Bericht und dessen Schlüssen agieren - oder auch nicht. Offiziell ist der Vorgang noch nicht abgeschlossen. Er wird noch weiter "untersucht".