"Todesindustrie" oder Menschenwürde?

Spanischer Senat. Bild: Esetena, CC BY-SA 3.0

In Spanien liegt dem Senat ein Gesetz zu Sterbehilfe vor. Ähnlichem Vorhaben in Portugal muss Präsident noch zustimmen

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Kurz vor Weihnachten hat sich der spanische Kongress mit einer klaren Mehrheit beschlossen für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen. Auch weit über die linken Parteien hinaus, die die Regierung in Spanien bilden oder unterstützen, fand das Gesetz breite Zustimmung. Es muss im Januar noch im Senat (Oberhaus) verabschiedet werden, eine Zustimmung gilt dort aber ebenfalls als sicher. Damit dürfte Spanien das vierte Land in Europa und das Sechste weltweit werden, dass die aktive Sterbehilfe legalisiert.

Die Regelung könnte noch in der ersten Jahreshälfte 2021 in Kraft treten. Nach Umfragen steht eine übergroße Mehrheit von 85 Prozent hinter dem Vorhaben.

Angesichts der Tatsache, dass nur die rechtsradikale VOX-Partei und die postfaschistische Volkspartei (PP) gegen das Vorhaben gestimmt haben, sogar die PP-Abspaltung "Ciudadanos" stimmte dafür, ist auch der Widerstand in der katholischen Kirche bisher eher gering. Die Fundamentalisten halten sich, anders als einst in der Frage der Homo-Ehe oder Abtreibungsregeln (Spanische Kirche macht gegen sozialistische Regierung mobil), nun eher zurück. Sie mobilisieren derzeit nicht massiv auf den Straßen gegen das Gesetz. So blieb es bei einer überschaubaren Gruppe, die vor dem Parlament am Tag der Abstimmung gegen die "Regierung des Todes" demonstrierte.

Ganz widerstandslos wollen die Bischöfe das Gesetzesvorhaben aber nicht akzeptieren und sprechen von einem "Tötungsdelikt". Sie haben mit anderen religiösen Gruppen ein Manifest unterzeichnet und den "Angriff auf das Leben" verurteilt. Der Sprecher der Bischofskonferenz, Luis Argüello, hat nun nach Weihnachten seine Gläubigen in einem Interview aufgefordert, in einer Patientenverfügung "ausdrücklich" festzuhalten, dass sie keine Sterbehilfe oder intensivmedizinische Behandlung wollen, sondern lediglich eine palliativmedizinische Versorgung.

Die Bischofskonferenz fordert auch die Beschäftigten im Gesundheitssystem zur "Verweigerung aus Gewissensgründen" auf.

Position von Oberstem Gericht unklar

Da sowohl PP und VOX das Vorhaben "verfassungswidrig" halten und eine Beschwerde am Verfassungsgericht angekündigt haben, ist es ohnehin möglich, dass das politisierte höchste Gericht, das noch immer von Richtern dominiert wird, die von den Postfaschisten ausgewählt wurden, das Gesetz wieder kippt oder die Umsetzung bis auf weiteres aussetzt. Denn sie glauben, dass eine "Todesindustrie etabliert wird". Sie wollen verhindern, dass sich "Spanien in ein Paradies des Todes" verwandelt.

Mit den Betroffenen haben die Fundamentalisten sicher nicht gesprochen. Sie haben ohnehin eine sehr zweischneidige Sicht auf Leben, denn sie führen - nun gerichtsfest - einen "hasserfüllten" Diskurs gegen Einwanderung und haben keine Probleme damit, dass zahllose Menschen auf dem Weg nach Spanien über das Meer ertrinken.

Seit mehr als 25 Jahren kämpfen in Spanien Betroffene dafür, würdig sterben zu können. Besonders bekannt wurde der Fall des Tetraplegikers Ramón Sampedro vor fast 23 Jahren. Angehörige hoffen, dass "nie wieder" jemand das erleiden müsse, was sie durchgemacht haben oder durchmachen.

Unlängst wurde der Arzt Marcos Ariel zu einem Jahr Haft verurteilt, weil er der Bitte einer 82-jährigen Betroffenen nachgekommen war und Sterbehilfe geleistet hatte. Nun spricht er von einem "Leidensweg" und freut sich über die Entscheidung des Parlaments. "Ich bin Aktivist für das Leben, aber angesichts des Unvermeidlichen zu leiden, ist unsinnig", sagte er im Interview.

Um ein Verfahren kommt auch Ángel Hernández nicht herum. Er hatte auf ausdrücklichen Wunsch seiner seit Jahre schwer an Multipler Sklerose leidenden Frau im vergangenen Frühjahr Sterbehilfe geleistet. Dass er vor ein Gericht gestellt wird, das auf Gewalt gegen Frauen spezialisiert ist, ist einen sonderbaren Beigeschmack.

Ähnliche Debatte in Portugal

Auch im angrenzenden Portugal hatten dramatische Fälle für ein Umdenken gesorgt. Dort war es der Fall des Tetraplegikers Luís Marques, der als Achtjähriger ungeimpft an Polio erkrankte. Seine Probleme wurden größer und größer, er konnte zuletzt auch nicht mehr selber essen, hatte nur noch zehn Prozent Atemkapazität und wollte endlich sterben. Deshalb begab er sich im Sommer in die Schweiz, wo er Sterbehilfe, allerdings nur passive, in Anspruch nehmen konnte. Das berichtet seine Pflegerin im Schweizer Fernsehen. Er habe sich vor allem einen würdigen Tod gewünscht.

In Portugal hat das Parlament der aktiven Sterbehilfe schon im vergangenen Februar grundsätzlich zugestimmt. Es wird davon ausgegangen, dass das entsprechende Gesetz im Januar verabschiedet wird. Die Frage ist, wie Präsident Rebelo de Sousa damit umgeht. Ob er es unterschreibt oder es zunächst dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorlegt. Obwohl er ein Konservativer ist, dazu ein überzeugter Katholik, ist es möglich, dass auch hier der charismatische Präsident dem Willen der Bevölkerung folgt und es sofort unterschreibt.

Er gehört zum linken Flügel der Christdemokratie und hat sich progressiven Veränderungen, anders als sein Vorgänger und Parteikollege nie widersetzt und stets mit der Linksregierung kooperiert. Er spricht sich zum Beispiel auch dafür aus, dass die Banken in der derzeitigen Krise die Hilfen zurückzahlen. Da das Verfassungsgericht nicht wie in Spanien politisiert ist, dürfte eine Prüfung dort bestenfalls die Sterbehilfe verzögern und könnte zu Nachbesserungen an dem Gesetz führen.