Tokyo: Stadt als Terminal und Terminal als Stadt

Volker Grassmuck, der lange in Tokyo gelebt hat, berichtet von neuen Stadtprojekten in Japan, ihrer virtuellen Verdopplung und der Verselbständigung der virtuellen Städte. Noch immer wird in Kategorien der Zentralisierung gedacht, aber die Netzwerke und ihre virtuellen Räume fördern die Dezentralisierung. Es geht um die technische, architektonische und soziale Gestaltung der Schnittstellen zwischen dem Cyberspace und den Städten.

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Verdopplung der Lebenswelt

Man kann die Stadt einerseits aus ihrer Funktion der Seßhaftigkeit verstehen, als Bollwerk im Raum, als Habitat, als Agglomeration von Orten. Andererseits kann man sie aus der Perspektive ihrer Bewegungen, ihrer Flüsse, den Verdichtungen von Netzen, als Zusammenballung von Vektoren und Trajektorien sehen.

Jede Stadt hat ihre Metabolismen, ihre internen Stoffwechsel und ihre Anschlüsse nach außen. Die Geschichte der Technologie hat die Reichweite der metropolitanen Tele-Macht ausgeweitet, so daß sich heute die Zirkulation von Menschen, Waren, Informationen, Lebensmitteln und Müll, in denen die Stadt verankert ist, buchstäblich um den ganzen Erdball erstreckt.

Die Sphäre der Medien war zunächst sekundär, transitorisch und den Realräumen untergeordnet, die sie in Verbindung setzten. Brief und Printmedien, und - seit der Elektrisierung auf Echtzeit beschleunigt - Telegraph und Telephone tragen die Nachricht, den Befehl, das Gerücht usw. aus dem Anwesenheitsraum über geographische Distanzen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist die der Ausweitung und der Verselbständigung dieses medialen Horizonts. An ihrem Ende erkennen wir, daß die Phasen der Einzelmedien nur die Vorgeschichte der Turing Galaxis waren, in der sie alle im Universalmedium Computer aufgehen.

War bislang die Stadt mit ihren Funktionen Arbeiten und Wohnen, Konsumieren und Amüsieren unser Lebensraum, so wandern diese Funktionen jetzt in die parallele, wenn auch nicht deckungsgleiche Welt der Matrix ab. Bei der Besiedlung dieses neuen Territoriums nehmen wir mit, was uns aus diesem vertraut ist. Auch wenn es in der Matrix nicht mehr um den Raum, sondern um die Zeit, nicht mehr um den Leib, sondern um die Idee geht, organisiert sie sich gerne nach dem Bild der Stadt: anfangs in kruden ASCII-Rubriken, heute aus edlen Designer-Bytes gemauert. Die Herausforderung heute ist es, doppelt zu leben: hier und jetzt und zugleich im digitalen "Über-All" (Christian Unverzagt).