Totale Kontrolle? Griechenland verknüpft Steuer-ID mit Social Media

Schloss anHandy mit Social-Media-Apps. Durchsichtiger Mensch al Schlüssel

Griechenland will Minderjährige vor sozialen Medien schützen. Dafür soll die Steuer-ID mit den Profilen verknüpft werden. Werden damit alle Bürger gläsern?

Es klingt wie eine Dystopie, ist aber Realität. Mit den Profildaten als Steuerpflichtige sollen sich nach dem Willen der griechischen Regierung die Nutzer sozialer Netzwerke als volljährig ausweisen.

Ziel der versprochenen Initiative ist es, Kinder und Jugendliche von den sozialen Medien fernzuhalten und die Suchtgefahr der sozialen Medien einzuschränken.

Australisches Gesetz und griechisches Modell der Altersverifikation

Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis wird zudem auf europäischer Ebene eine koordinierte europäische Aktion beantragen, um die großen Plattformen unter Druck zu setzen, damit der Zugang zu gefährlichen Inhalten für Minderjährige im Alter unter 15 Jahren verboten wird.

Mitsotakis hat sich frühzeitig dazu bekannt, dem australischen Modell gemäß nicht nur von den Eltern die Kontrolle über ihre Kinder zu erwarten, sondern auch entsprechende Zugangsbeschränkungen von den Plattformen zu verlangen. Er hatte dies auch bei der letzten UN-Vollversammlung im September thematisiert.

Das neue Gesetz in Australien zwingt Technologiegiganten wie Meta und TikTok dazu, Minderjährigen die Erstellung von Konten nicht zu erlauben. Verstöße werden mit einer Geldstrafe von bis zu 30,5 Millionen Euro geahndet.

Das Verbot wird im Januar als Pilotprojekt eingeführt und soll im darauffolgenden Jahr vollständig umgesetzt werden. In Australien sollen in der Pilotphase die Altersverifikationssysteme erprobt und optimiert werden. In Griechenland sind die Pläne diesbezüglich weiter fortgeschritten.

Die Regierung Mitsotakis plant eine doppelte technische Barriere gegen den unkontrollierten Zugang junger Menschen unter 15 Jahren zu sozialen Medien. Die erste besteht in der Website parco.gov.gr, auf der Eltern detaillierte Anweisungen finden, damit sie alle vorhandenen Kindersicherungen nutzen können, über die die meisten Mobilgeräte verfügen.

Die Eltern können mit den zur Verfügung gestellten Tools die Onlineaktivitäten ihrer Kinder engmaschig überwachen. Sie werden die Ortsdaten des Mobiltelefons per Fernabfrage kontrollieren und neben der Überwachung der Onlineangebote auch einzelne Angebote sperren können.

Die zweite Barriere wird im nächsten Frühjahr als sogenannte Kids-Wallet-Anwendung eingeführt. Sie ist das Pendant zum Gov.gr Wallet für Erwachsene.

Das Gov.gr Wallet ist eine auf staatlichen Servern gehostete elektronische Brieftasche mit allen persönlichen Dokumenten. Vom Personalausweis über den Führerschein, zum Fahrzeugschein, dem Studentenausweis, Zufahrtsberechtigungen hin zu den Eintrittskarten für Sportveranstaltungen können die Griechen sämtliche für den Alltag notwendigen Dokumente in einer App auf dem Mobiltelefon anzeigen.

Schlüssel zum Zugang zu allen Dokumenten, aber auch zu Geburtsurkunden, Führungszeugnissen und Familienstandurkunden sind die Zugangsdaten zu den Servern des Finanzamts, im Zwei-Faktor-Sicherheitsmodus abgesichert über E-Banking-Kontodaten oder staatlich registrierte Mobilfunknummern.

Der digitale Staat gesammelt auf einem Server

Der griechische Minister für E-Government, Dimitris Papastergiou, sieht in seinem Modell eine Lösung für die gesamte EU. „Die Personalisierung von Mobiltelefonen, die Altersverifizierung zur Nutzung sozialer Medien durch das elektronische Bürgerregister“ könnte eine Lösung für das Problem der Altersüberprüfung sein, meint er.

Griechenlands Digitalisierung ist, teilweise finanziert mit Mitteln aus dem Europäischen Regionalentwicklungsfonds, erheblich weiter fortgeschritten als in Deutschland. Während der Pandemie wurde schrittweise das gesamte Staatssystem digitalisiert.

Impftermine wurden zentral über Server des Gesundheitsministeriums verwaltet. Auf der Plattform Gov.gr werden Schnittstellen für die Bürger von sämtlichen Ministerien, Ämtern und Kommunen angeboten. So ist der Gang zum Amt nur noch in den allerseltensten Fällen notwendig.

Staatliche Dokumente mit QR-Code zur Echtheitsüberprüfung erhalten die Hellenen in der Regel unmittelbar nach dem letzten Mausklick unter ihrem entsprechenden Onlineantrag. Zum Zugang benötigen die Bürger, denen nach der Geburt automatisch die Steuernummer zugeteilt wird, außer der Steuernummer nur ihr Passwort fürs Finanzamt.

Das ist praktisch, wenngleich es datenschutztechnisch den gläsernen Bürger schafft. Selbst die Tickets für große Sportveranstaltungen müssen zwingend in elektronischer Form vorliegen. Über ticket.gov.gr werden auch ausländische Besucher griechischer Erstligaspieler zur Installation der gov.gr-App verpflichtet.

Als Begründung hat die Politik darauf verwiesen, dass sie nur so Gewalt in Stadien besser unterbinden kann. Die Personifizierung jedes Zugangs zu einer öffentlichen Veranstaltung soll die Veranstaltungen schützen. Stadien und die Zugänge dorthin können nur mit den elektronischen Tickets betreten werden, womit die kontrollierenden Personen Zugang zur Wallet der Besucher haben.

Bei Polizeikontrollen können die Beamten gleichzeitig kontrollieren, ob der betreffende Bürger seine Steuern bezahlt hat. Jedem dürfte klar sein, was bei diesem System im Fall eines Datenlecks möglich ist.

Wie die Tracker der DB nur weitreichender

In Deutschland kennen wir ein ähnlich ausgebautes digitales System von der Deutschen Bahn. Sie hat dafür 2024 den Big Brother Award im Bereich Mobilität, einen Negativpreis des Vereins Digitalcourage, erhalten.

Mit der DB ist es noch möglich, ohne Nutzung der App zu reisen. Aber es wird immer schwieriger. Das Lösen einer Fahrkarte im Zug ist nicht mehr möglich, die Bezahlung von Tickets mit Bargeld gestaltet sich oft schwierig.

In Griechenland ist der Staat einen Schritt weiter. Es gibt Obergrenzen für Bargeld bei Einkäufen und den zunehmenden Zwang zum Digitalen. Im Gegenzug kann der Staat Erfolge vorweisen. Die Steuerhinterziehung wurde eingedämmt, was Steuererleichterungen für alle bescherte. Die Gewalt in Stadien nahm ab – allerdings verlegen sich Hooligans nun auf Prügeleien und Gewalttaten außerhalb von Stadien. Für die Politik bleiben gewaltfreie Stadien jedoch ein Erfolg.

Im Zusammenhang mit den sozialen Medien gibt es seit einigen Monaten eine Awareness-Kampagne in der Öffentlichkeit. Die Gewalt unter Jugendlichen im Zusammenhang mit den sozialen Medien wird thematisiert. Jugendliche verabreden sich zu Prügeleien für ein kurzes, imposantes Video auf TikTok oder Meta ist eine Nachricht, welche Medienkonsumenten oft präsentiert bekommen.

Gefährliche Mutproben, zu denen als Trend über soziale Medien aufgerufen wird, werden lange in Hauptnachrichtensendungen besprochen. Kurz, es gibt ein wachsendes Bewusstsein der Bevölkerung für die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen den unbestrittenen negativen Einfluss der sozialen Netzwerke auf Kinder und Jugendliche.

Die Kids-Wallet-App wird in Griechenland sehr wahrscheinlich auf eine hohe Akzeptanz treffen und kann in Kombination mit einer verpflichtenden Schnittstelle der Plattformen für soziale Medien zur Überprüfung des Alters über die App tatsächlich den Zugang für Minderjährige einschränken. Somit taugt das in Griechenland angewandte Verfahren als Modell für die EU.

Faktisch ist die Kids-Wallet-App aber nur eine abgespeckte Version der Wallet-App für Erwachsene. Und weil auch die Daten Erwachsener von den Plattformen bei geltenden Altersgrenzen überprüft werden müssen, wird die Logik des Ansatzes der griechischen Regierung zwangsläufig zu einer Schnittstelle zur Wallet-App führen.

Allerdings gibt es trotz ähnlicher Sorgen über den Zugang von Kindern zu sozialen Medien in anderen Staaten noch kein alternatives, allgemein anwendbares System zur Altersbegrenzung.

Wie steht es um den Zugang zu sozialen Medien in anderen Staaten?

Frankreich will Kindern unter 13 Jahren die Benutzung von sozialen Medien untersagen. Ältere Kinder sollen bis zum Alter von 15 Jahren nur mit der Erlaubnis der Eltern ihr Konto bei Facebook, X, Instagram, TikTok und Co haben.

In Deutschland gibt es noch kein gesetzliches Mindestalter für den Zugang, aber die Verpflichtung für die Plattformen, Altersbeschränkungen in ihren allgemeinen Nutzungsbedingungen festzulegen. In der aktuellen Form sind diese Beschränkungen meist durch einfaches Verfälschen der eigenen Geburtsdaten überwindbar.

Theoretisch müssten die Eltern von Jugendlichen unter 16 Jahren der Nutzung zustimmen, was aber in der Praxis kaum überprüft wird. Die CDU, die voraussichtlich den nächsten Bundeskanzler stellen wird, fordert eine harte Altersgrenze von 13 Jahren für den Zugang zu sozialen Medien.

In Norwegen soll das Mindestalter von 13 Jahren auf 15 Jahre angehoben werden. In Belgien gilt ein Mindestalter von 13 Jahren. In Italien sind es 14 Jahre. In den Niederlanden gibt es kein Mindestalter, wohl aber, wie in Griechenland, das Verbot der Nutzung von Mobiltelefonen in Schulen. Es fehlt jedoch in allen Staaten an einem effektiven Kontrollmechanismus.

Der griechische Premier hat deswegen in der vorletzten Sonntagsansprache für 2024 seinen Fokus auf die Begrenzung einer Soziale-Medien-Sucht und die Gefahren für Kinder beim Zugang zu sozialen Medien gelegt. Für den 30. Dezember verspricht er einen Ansatz für eine gesamteuropäische Lösung, denn:

Wir wissen, dass wir als Land allein das Problem nicht lösen können. Deshalb ist es unser Ziel, auf europäischer Ebene die Führung zu übernehmen. Wir werden versuchen, mit den Plattformen zusammenzuarbeiten, um die Praxis zu harmonisieren und einen neuen Rahmen zum Schutz von Kindern zu schaffen. Ein Rahmenwerk, das eine Reihe neuer digitaler Rechte unserer Kinder verankert und Plattformen und Technologieunternehmen dazu zwingt, diese zu respektieren und entsprechende Schutzanwendungen zu entwickeln.