Totale Überwachung?
Telepolis-Gespräch mit den Spiegel-Autoren Marcel Rosenbach und Holger Stark über Edward Snowden und den NSA-Komplex
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Totale Überwachung?
Die Welt nach den Enthüllungen von Edward Snowden
Gespräch mit den Spiegel-Autoren Marcel Rosenbach und Holger Stark über Edward Snowden und die Ausmaße und Folgen der globalen Überwachung im Literaturhaus München. Moderation: Florian Rötzer.
Marcel Rosenbach und Holger Stark, die bereits das Buch "Staatsfeind WikiLeaks" geschrieben haben, konnten für ihr neues Buch große Teile der von Snowden bereitgestellten Dokumenten aus den Datenbanken der NSA und des britischen GCHQ auswerten. In "Der NSA-Komplex. Edward Snowden und der Weg in die totale Überwachung" schildern sie, wie ein junger, äußerster kluger Mann dazu kommt, aus Verfassungspatriotismus und aus der Forderung nach Transparenz heraus sein Leben in Gefahr zu bringen, um mit der Veröffentlichung der Dokumente eine Debatte über die ausufernde Überwachung des gesamten Lebens im vermeintlichen Dienst der Sicherheit in den USA und anderswo auszulösen.
Sie zeigen auf, was bislang über die Lauschprogramme bekannt ist und wie tief sie in das Privatleben von allen Menschen eindringen. Das Ziel der US-Geheimdienste ist die Herstellung einer weltweiten Informationsvorherrschaft, der möglichst nichts mehr entgehen soll und die die Welt und das Alltagsleben nachhaltig verändert.
Marcel Rosenbach, geboren 1972, ist seit 2001 beim SPIEGEL. Der Geheimdienstexperte, der seit Jahren über Sicherheits- und Netzthemen berichtet, ist dort stellvertretender Ressortleiter Wirtschaft. 2010 hat er gemeinsam mit Holger Stark für den SPIEGEL die Dokumente der Enthüllungsplattform WikiLeaks ausgewertet und 2011 den Bestseller "Staatsfeind WikiLeaks" geschrieben.
Holger Stark, geboren 1970, wurde nach Stationen bei der "Berliner Zeitung", beim "Tagesspiegel" und beim Hörfunk 2001 Korrespondent im Hauptstadtbüro des SPIEGEL in Berlin, wo er von 2010 bis 2013 das Ressort Deutschland leitete. Seit Sommer 2013 ist er Korrespondent des Nachrichtenmagazins in Washington. 2011 wurde er mit dem Henri Nannen Preis ausgezeichnet.
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Im Mai 2013 setzte sich Edward Snowden nach Hongkong ab und nahm massenhaft digitale Dokumente mit sich, die er zuvor von den NSA-Servern kopiert hatte. In Snowden, der lange Zeit bei der CIA und der NSA gearbeitet hatte und daher über Insiderwissen verfügte, war das Unbehagen über die im Geheimen stattfindende grenzenlose und unkontrollierte Überwachung der Kommunikation und Datenströme gewachsen, bis er sich, angeregt durch WikiLeaks, entschloss, die Öffentlichkeit zu informieren. Snowden war sich der Gefahr bewusst, in die er sich damit begab, aber als mutiger Idealist sah er sich in der Pflicht, die Öffentlichkeit über die Lauschpraktiken zu informieren, die gegen Gesetze und die Verfassung in den USA und anderswo verstoßen. Der Wistleblower, der die Materialien an Journalisten übergab und daraus keinen persönlichen Gewinn zog, wurde für die einen zu einem Vorbild, während die anderen in ihm einen Verräter und Straftäter sehen.
Als im Juni die ersten Berichte über die Lauschprogramme, die eingesetzten Techniken und die Zusammenarbeit mit den Konzernen veröffentlicht wurden, setzte weltweit die Diskussion über die Ausmaße und Kontrolle der Geheimdienste ein, die er auslösen wollte. Konsequenzen gab es bislang kaum. Das verwundert auch nicht, weil bereits Ende der 1990er Jahre mit der Aufdeckung des Echelon-Lauschprogramms die massenhafte und globale Überwachung durch die Geheimdienste der "Five Eyes"-Staaten bekannt geworden war.
Auch damals gab es zunächst einige Aufregung, es kam zu einem Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments, während die Regierungen aber auch schon damals auf Druck der USA die Sache herunterspielten. Mit den Anschlägen vom 11. September war die alles schlagartig vergessen, man rückte ganz nah gegen den neuen Feind zusammen und die Geheimdienste wurden nicht stärker kontrolliert, sondern massiv ausgebaut. Überall wurden bislang vorhandene Einschränkungen durch neue Gesetze geschliffen und der Weg zum Überwachungsstaat eingeschlagen. Schon bald war klar, wie maßlos die Überwachung vorangetrieben werden sollte.
Bereits im Oktober 2001 durfte die NSA Telefongespräche von amerikanischen Bürgern ins Ausland abhören, wenn auch nur ein vager Verdacht bestand. 2005 war bekannt geworden, dass die NSA mit Hintertüren bei den Providern in den USA Telefon- und Internetkommunikation abhört. Der damalige US-Präsident Bush ließ die Entwicklung von Techniken finanzieren, um selbst aus der Ferne präventiv in die Gehirne von Menschen schauen und mögliche "böse" Absichten erkennen zu können, während das monströse Programm unter dem Titel "Total Information Awareness" 2003 Daten aus allen irgendwie verfügbaren Quellen zusammenführen und nach verdächtigen Mustern durchsuchen sollte. Zwar stoppte der Kongress die Finanzierung, aber die Entwicklung wurde fortgesetzt. So berichtete das Wall Street Journal 2007, dass die NSA ein ganz ähnliches Programm wie das TIA-Projekt heimlich realisiert habe. Dazu seien auch Teile von TIA übernommen worden.
Politiker noch Öffentlichkeit waren also durch Medienberichte informiert. Die Überraschung, die sich mit den Informationen durch Snowden einstellte, ist zumindest bei den Politikern und vornehmlich bei den Regierungen verwunderlich und ebenso wenig glaubhaft wie Aussagen, nichts Näheres zu wissen. Die deutsche Regierung ist erst ein wenig aktiv geworden, nachdem bekannt wurde, dass neben anderen Regierungsmitgliedern auch das Handy der Kanzlerin abgehört wurde und wahrscheinlich ein Lauschangriff auf das Parlament von der US-Botschaft aus stattfinden. Das vorgeschlagene No-Spy-Abkommen wurde von der US-Regierung abgewinkt, die bislang lediglich Veränderungen angekündigt, die das Abhören von US-Bürgern betreffen. Und wieder scheint es so zu sein, dass die Ukraine-Krise und der Konflikt mit Russland das Thema der globalen Überwachung durch Geheimdienste in den Hintergrund rücken lässt und alles so weiter geht wie bislang.
Snowden selbst sitzt weiterhin in Russland fest, sein Asyl läuft aus, aufnehmen will ihn bislang kein Staat, ungewiss wäre aber auch schon, wie er aus Russland ausreisen kann. Die Bundesregierung will Snowden nicht zur Befragung durch den NSA-Untersuchungsausschuss einreisen lassen und gibt als Grund eine mögliche Gefährdung des Staatswohls an, also Probleme mit den USA. Angeblich könne schon eine Befragung, egal wo, als "kriminelle Verabredung" gewertet werden. Assange, Manning und Snowden, die Transparenz und Aufklärung schaffen wollten, sitzen in der Falle.