Traditionelle Covid-19-Impfstoffe aus China

Seite 2: Traditionelle Corona-Impfstoffe weltweit verbreitet und effektiv

Zu den traditionellen oder klassischen Impfstoffen gehören seit Jahrzehnten die sogenannten "Totimpfstoffe", die aus inaktivierten, nicht vermehrungsfähigen Krankheitserregern bestehen und z. B. gegen Diphtherie, Kinderlähmung, Keuchhusten, Tetanus oder Grippe zum Einsatz kommen. Auch zur Impfung gegen Covid-19 werden in vielen Ländern vor allem traditionelle Impfstoffe eingesetzt.

Dazu gehören die oben genannten chinesischen Impfstoffe Coronavac und Vero. Diese sind bei Millionen Menschen in China bereits Monate, bevor die mRNA-Impfstoffe in der EU zugelassen worden sind, eingesetzt worden. Als bisher einziger Impfstoff mit inaktivierten Viren durchlaufe Coronavac bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) seit Mai 2021 ein beschleunigtes Verfahren, heißt es in einem aktuellen Artikel von Pamela Dörhöfer über Corona-Totimpfstoffe in der Frankfurter Rundschau.3

In einem kürzlich erschienenen Telepolis-Artikel war zu lesen, dass inzwischen weltweit in vielen Ländern Asiens und Lateinamerikas Milliarden von Impfdosen dieser beiden traditionellen chinesischen Vakzine verabreicht worden seien. Etwa 2,4 Milliarden Dosen der beiden Vakzine wurden in China selbst verimpft, und fast eine Milliarde Dosen gingen an 110 andere Länder in Asien, Lateinamerika und Afrika.

Aber jüngste Studien hätten die Dauer des Schutzes, den die chinesischen Impfstoffe bieten, in Frage gestellt. Über die Dauer und den zeitlichen Verlauf der Immunität nach der Impfung mit diesen Vakzinen im Vergleich zu den genetischen mRNA- und Vektor-Impfstoffen liegen derzeit jedoch nur unsichere und teilweise widersprüchliche Daten vor.

Deshalb muss man davon ausgehen, dass die Antikörperspiegel im Laufe von einigen Monaten nach einer vollständigen Impfung bei allen Covid-19-Vakzinen wieder abfallen. Inwieweit jedoch damit auch eine Abnahme des Impfschutzes verbunden ist und ob hierbei die traditionellen Impfstoffe schlechter abschneiden als die genetischen, ist aufgrund der Datenlage unklar.

Anfang Juli 2021 hat Telepolis in einem ersten Beitrag über die chinesischen traditionellen Corona-Impfstoffe Coronavac und Sinopharm (jetzt Vero genannt) informiert. Im Mittelpunkt stand eine kritische Erörterung der Wirksamkeit von Coronavac im Vergleich zu den vier in der EU zugelassenen genetischen Impfstoffen und dem russischen Impfstoffs Sputnik V auf der Basis der Evidenzbasierten Medizin.

Das Ergebnis: Bei Auswertung der diesbezüglichen Phase-III-Studien aus Brasilien war Coronavac trotz einer Wirksamkeit von "nur" 51 Prozent wahrscheinlich ebenso effektiv wie die in der EU zugelassenen vier genetischen Impfstoffe und Sputnik V, die zum Vergleich herangezogen wurden.

Welche schweren Nebenwirkungen haben die chinesischen Impfstoffe?

Auf der Suche nach Studien zur Beantwortung dieser Frage bin ich auf ein umfangreiches sogenanntes "narratives Review" mit mehr als 200 Literaturstellen gestoßen.4 Darunter versteht man Ergebnisse einer Literaturstudie bzw. einer Übersichtsarbeit ohne große wissenschaftliche Aussagekraft, die eher den Zweck hat, Studien zu identifizieren, die ein Problem von Interesse beschreiben.

Der Review-Artikel sagt aus, dass die meisten Beobachtungsstudien die mRNA-Impfstoffe, den Vektorimpfstoff Vakzevria und Coronavac gleichermaßen als sichere und hochwirksame Werkzeuge zur Verhinderung schwerer Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte und Tod gegen alle (bisher bekannten) besorgniserregenden Mutanten des Virus einschließlich von Delta-Variante beschreiben.

In der Tabelle 4 dieses Artikels sind die wichtigsten schweren Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Covid-19-Impfung aufgrund von Beobachtungsstudien und Ergebnissen von Pharmakovigilanz-Systemen aufgeführt.

Bei Erwachsenen waren die wichtigsten schweren unerwünschten Ereignisse, die berichtet wurden, sehr selten: Anaphylaxie (2,5 bis 4,8 Fälle pro 1 Million Dosen bei Erwachsenen) und Myokarditis (6 bis 27 Fälle pro 1 Million) für mRNA-Impfstoffe, Thrombose mit Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) für Covid-19 Vaccine Janssen (3 Fälle pro 1 Million) und Vaxzevria von AstraZeneca (2 Fälle pro 1 Million) und Guillain-Barré-Syndrom (GBS) (7,8 Fälle pro 1 Million) für Covid-19 Vaccine Janssen.

Für Coronavac fanden Überwachungsstudien sehr seltene Fälle einer Fazialisparese (3,8 Fälle pro 100.000), Anaphylaxie (2 Fälle pro 1 Million), thromboembolische Ereignisse (1,2 Fälle pro 1 Million) und GBS (0,29 Fälle pro 1 Million).

Mehrere Beobachtungs- und Übersichtsstudien mit geringer Stichprobengröße fanden keine spezifischen schweren unerwünschten Ereignisse unter anderem für Vero und Sputnik V.

Festzuhalten ist aus dieser Literaturübersicht: Für die beiden chinesischen Impfstoffe, Coronavac und Vero wurden die sehr seltenen, aber schweren Nebenwirkungen wie Myokarditis bei den mRNA-Impfstoffen Comirnaty und Spikevax und Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) bei Vaxzevria und Covid-19 Vaccine Janssen bisher nicht beschrieben.

Abschließend sei noch angemerkt: Ein Teilnehmer des Telepolis-Forums hat mit Hinweis auf den Review-Artikel kommentiert, dass die Datenlage im Hinblick auf die traditionellen Impfstoffe dünn sei. Dem soll nicht widersprochen werden.

Das könnte sich aber bei einer Notzulassung von Coronavac in der EU ändern, weil für die Überwachung auch dieses Impfstoffs dann die etablierten europäischen Pharmakovigilanz-Systemen herangezogen werden könnten, z.B. in Deutschland das beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) angesiedelte Meldesystem.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1. Wenn man aufgrund der mir zugänglichen Informationen Wirksamkeit bzw. Effektivität und Art und Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen und Impfkomplikationen zwischen den beiden traditionellen chinesischen Vakzine und den vier in der EU zugelassenen genetischen Impfstoffen vergleicht, kommt man zu folgendem Ergebnis: Festzustellen ist eine wahrscheinlich vergleichbare Wirksamkeit und möglicherweise weniger schwere Nebenwirkungen und Impfkomplikationen bei den chinesischen Impfstoffen, denn die zwar sehr seltenen, aber schweren Nebenwirkungen der genetischen Impfstoffe wie Myokarditis bei den mRNA-Vakzinen und TTS-Syndrom bei den Vektor-Impfstoffen wurden bisher bei den traditionellen Vakzinen aus China nicht beschrieben.

2. Deshalb wäre es aus meiner Sicht vernünftig und wünschenswert, wenn auch in unserer Impfkampagne traditionelle Impfstoffe wie z. B. die beiden chinesischen Vakzine Coronavac und Vero, die weltweit zu den am häufigsten verwendeten Impfstoffen gegen Covid-19 gehören, als eine mögliche Alternative zu den zugelassenen genetischen Impfstoffen zur Verfügung ständen. Vielleicht könnte dadurch auch die bedrohliche Impflücke verringert werden.

3. Das setzt aber eine Zulassung durch die dafür zuständige Europäische Arzneimittelkommission (EMA) voraus. Dort liegt seit Mai 2021 ein Antrag für die Zulassung von Coronavac vor, ohne dass es bisher in dem "beschleunigten" Zulassungsverfahren zu einer positiven Entscheidung gekommen ist.

4. Zu vermuten ist, dass auch in diesem Fall politische Feindbilder einen stärkeren Einfluss auf die Entscheidungen über die Zulassung dieses Impfstoffs haben als fachliche, medizinische und menschliche Erwägungen.

5. Für diese Vermutung sprechen auch die Erfahrungen der letzten Monate mit dem russischen Covid-19-Impfstoff Sputnik V, der bis heute in der EU ebenfalls nicht zugelassen worden ist, obwohl seit vielen Monaten ein Antrag auf Zulassung vorliegt, sich Wissenschaftler aus Großbritannien mit guten Gründen dafür eingesetzt und sich bekanntlich auch verschiedene Ministerpräsidenten in der Öffentlichkeit dafür ausgesprochen haben.5

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.