Tränen, aber auch Häme nach dem Flugzeugabsturz von Sotschi

Seite 3: Gennadi Sjuganow: "Das war kein zufälliges Unglück"

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"Ich habe den Eindruck, dass es kein zufälliges Unglück war. Das war sehr ähnlich wie ein Terrorakt. Das muss man sehr genau untersuchen, weil man uns für unsere Kampfansage an den internationalen Terrorismus bestrafen wird." Die Worte stammen von Gennadi Sjuganow. Als der Vorsitzende der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation in der Talkshow von Wladimir Solowjow am Sonntag diese Äußerung machte, widersprach Niemand. Doch wegen mangelnder Fakten wurde die Vermutung in der Diskussion nicht konkretisiert.

Aleksej Puschkow, Mitglied des Föderationsrates, erklärte, Russland müsse sich auf "einen langen Kampf gegen den Terrorismus" einstellen. Die USA versuchten nun schon seit mehreren Jahren mit "nicht-staatlichen Akteuren" in regionalen Kriegen, ihren Einfluss auszuweiten. Nötig sei jetzt eine "internationale Koalition gegen den Terrorismus". Die Talkshow-Runde von Politikern und Politologen machte einen niedergeschlagenen, ratlosen Eindruck. Niemand wusste einen Rat, wie man die von Russland geführte Anti-Terror-Koalition um westliche Länder erweitern und schlagkräftig machen kann.

"Rache für Aleppo"

Während die Mehrheit im russischen und ukrainischen Internet trauerte, äußerte eine Minderheit ihre Freude über den Tod der Tupolew-Passagiere. Das sei die "Rache für Aleppo" konnte man vor allem bei ukrainischen Usern lesen. Die bekannte oppositionelle russische Journalistin Rosa Zwetowa warnte, es mit den Rachegefühlen nicht zu übertreiben. Einige hätten wohl "völlig die Orientierung verloren". Über "Tote, die ungeschützt sind", richte man nicht.

Besonders krass war der Kommentar von Juri Birjukow, seines Zeichens Berater des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Experte für die Ausrüstung der ukrainischen Armee. Via Facebook teilte Birjukow mit, "die Bewohner der Nachbar-Horde (gemeint ist Russland, U.H.) verstehen wirklich nicht die Gründe, warum wir uns über den Tod von 80 Angehörigen der Armee der Horde freuen." Angeblich hätten sich auch russische Artillerieschüler gefreut, als sie ein Probeschießen auf die 72. und 79. Brigade der ukrainischen Streitkräfte machten. Sie hätten sich gefreut und Lieder gesungen.

Der Präsidentenberater schreibt, er habe jetzt "nur einen Wunsch, eine Flasche Bojaryschnik zur Botschaft der Horde zu bringen" (gemeint ist die Botschaft von Russland in Kiew). "Bojaryschnik" nennt sich der alkoholhaltige Badezusatz, an dem in Sibirien in den letzten Wochen über 70 alkoholabhängige Menschen gestorben sind.

Der Post des Präsidentenberaters bekam 6.700 Likes und wurde 780mal geteilt. Das ist schon ein deutliches Zeichen, wie tief ein Teil der ukrainischen Gesellschaft in den extremen Nationalismus abgerutscht ist.

Der Großteil der Ukraine hat sich aber menschliche Würde bewahrt und schweigt oder zeigt seine Trauer. Der ukrainische Blogger Anatoli Schari postete ein Video, auf dem zu sehen ist, wie Menschen in Kiew rote Nelken in den Gitterzaun vor der russischen Botschaft stecken und Kerzen aufstellen. Auch die beiden Leiter des ukrainischen Oppositionsblockes, Wadim Nowinski und Juri Bojko, legten Blumen an der russischen Botschaft in Kiew nieder.

"Verlust ethischer Normen"

Der ukrainische Oppositionspolitiker Viktor Medwetschuk warf ukrainischen Regierungspolitikern vor, sie würden über Toten spotten. Nach Meinung des Politikers hat die ukrainische nationale Idee "moralische und ethische Prinzipien aus dem Bewusstsein der ukrainischen Macht verdrängt".

Der Autor dieser Zeilen kann sich nicht erinnern, dass russische User in den letzten drei Jahren Freude und Spott über den Tod von ukrainischen Soldaten geäußert haben. Sich über Tote lustig machen, ist eine Spezialität des ukrainischen Nationalismus und ein Zeichen, dass die Nationalisten in Kiew mit dem, was sie bisher erreicht haben, nicht zufrieden sind, und sogar fürchten, dass es unter einem Präsidenten Trump für sie noch schwieriger wird.