Tragödie von Odessa: Europarat bescheinigt ukrainischer Regierung Versagen
Ein Bericht unabhängiger Experten rügt die angestellten Untersuchungen scharf, auch eineinhalb Jahre nach dem Tod von 48 Menschen sei kein wirklicher Fortschritt erzielt worden
Nach mehr als eineinhalb Jahren scheint einmal wieder Bewegung in die Aufklärung der Schießerei auf dem Maidan-Platz zu kommen. Der Heldenmythos für die "Göttlichen 100", der den Start und die Rechtfertigung für den Sturz von Janukowitsch trotz des vereinbarten friedlichen Übergangs bildete, hat sein Kehrbild des Bösen. Klar schien zu sein, dass die Bösen Akteure der Janukowitsch-Regierung waren, mit Moskau irgendwie als Drahtzieher dahinter.
Dass auch Maidan-Aktivisten nicht nur gewaltbereit waren, sondern sich mit Schusswaffen ausgestattet hatten, wurde manchen erst nach und nach mit den bewaffneten rechtsextremistischen Milizen klar. Es gab aber auch früh Hinweise, dass zumindest manche Schüsse womöglich von interessierten Kreisen aus der Maidan-Bewegung selbst stammen können (Wer waren die Scharfschützen des Maidan?). Geflissentlich wurde übersehen, dass nicht nur Demonstranten, sondern auch Polizisten erschossen wurden. Nun hat Poroschenko, der offenbar willens ist, zumindest die Oligarchen, die seine Widersacher sind, zu bekämpfen, und gegen jene vorzugehen, die ihrerseits erneut mit einem gewaltsamen Regierungssturz drohen.
So wird nun nicht gegen den Rechten Sektor (Scharfschützenmorde in Kiew), sondern gegen Mitglieder der rechtsradikalen Partei Swoboda ermittelt. Sie stehen in Verdacht, aus dem Hotel Ukraina am 20. Februar auf den Maidan geschossen und dabei Demonstranten und Polizisten getötet zu haben, um damit Janukowitsch zu belasten und einen Regime Change herbeizuführen (Poroschenko mit eiserner Faust gegen ehemalige Kampfgenossen).
Ein im Mai 2014 vom Europarat eingesetztes unabhängiges Expertenteam (International Advisory Panel) wirft nun in seinem Abschlussbericht der ukrainischen Regierung vor, auch die Aufklärung des Angriffs auf Maidan-Gegner im Botschaftsgebäude in Odessa am 2. Mai 2014 verschleppt zu haben (Die Tragödie von Odessa, Gab es Drahtzieher der Tragödie von Odessa?). Die Untersuchung, wer für den Tod von 48 Menschen verantwortlich ist, sei nicht nach den Erfordernissen der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolgt. So sei die Untersuchung nicht von einer unabhängigen Instanz, sondern vom Innenministerium durchgeführt worden. Es habe zwar viele Probleme gegeben, aber diese könnten nicht als Entschuldigung dienen, so der Europarat scharf. Das Team bedauert auch, dass es nicht Zugang zu allen Dokumenten erhalten habe.
Drei Ermittlungen seien vom Innenministerium eingeleitet worden: das Verhalten der Polizei, die Massenunruhen im Stadtzentrum und das Feuer im Botschaftsgebäude sowie das Verhalten der Einsatzkräfte (SES) dort. Die Experten des Europarats gehen davon aus, dass die Polizei an den Massenunruhen beteiligt war, das Innenministerium sei wiederum die vorgesetzte Behörde der SES. In beiden Fällen fehle die Unabhängigkeit besonders.
Angefangen haben die Auseinandersetzungen wohl mit einem Angriff von 300 Antimaidan-Aktivisten auf die Maidan-Kundgebung mit den Fußballfans, die vorhatten, die Zelte vor dem Gewerksschaftsgebäude zu stürmen. Sie sollen, so die Staatsanwaltschaft, nach Besetzung eines Supermarkts in der Nähe des Hretska-Platzes auch Schusswaffen und andere Waffen eingesetzt haben. 47 sollen sich ergeben haben, 48 wurden festgenommen. Die Polizei habe wenig getan, die zwischen Maidan- und Antimaidan-Anhängern eskalierende Gewalt zu unterbinden. So haben Polizisten schießende Extremisten nicht festgenommen und einige sich ebenso wie diese die roten Bänder der Separatisten umgebunden. Die Polizei habe auf Notrufe nicht reagiert und erst nach Stunden eingegriffen, als bereits 6 Menschen durch Schusswaffen getötet und Dutzende verletzt worden waren.1
Irgendwann wären die Maidan-Anhänger überlegen gewesen, hätten die Antimaidan-Anhänger zurückgedrängt und seien dann zum Gewerkschaftsgebäude gestürmt, in das sich Anti-Maidan-Anhänger geflüchtet hätten, teils mit Molotow-Cocktails und Mitteln, diese herzustellen. Es habe zunächst einen Schusswechsel zwischen den Geflüchteten und den Angreifern gegeben (identifiziert wurde Mykola Volkov, der inzwischen verstorben ist), auch Molotwcocktails seien in beide Richtungen geflogen. Dann hätten es Maidan-Anhänger geschafft, durch die Hintertüre in das Gebäude einzudringen, schließlich sei das Feuer an 5 Stellen ausgebrochen, der Beginn, so eine ukrainische Expertengruppe, sei die Entzündung der Barrikade am Eingang gewesen, von dort aus habe es sich vermutlich ausgebreitet, so gibt der Bericht die Darstellung. Die forensische Analyse hatte allerdings ergeben, dass es neben der Lobby vier weitere unabhängige Orte gegeben habe, an denen das Feuer entstanden sei: "The fire centres other than in the lobby could only have been started as a result of the actions of persons inside the building." Es seien Menschen gestorben, die sich durch einen Sprung aus dem Fenster retten wollten, andere seien von den Maidan-Anhängern angegriffen worden, manche von diesen hätten aber auch versucht, Eingeschlossene zu retten. Insgesamt seien nach Behördenangaben 330 Menschen aus dem Gebäude gerettet worden, 34 Menschen seien durch das Feuer ums Leben gekommen, 8 durch einen Sprung aus den Fenstern. Die Polizei habe erst eingegriffen, als bereits 41 Menschen gestorben waren.
Erst als das Feuer gelöscht war, wurden 63 Anti-Maidan-Aktivisten, die sich auf dem Dach aufgehalten hatten, festgenommen. Nachdem ein Mob vor der Polizeistation am 4. Mai protestiert hatte, ließ die Polizei diese allerdings wieder frei - unklar ist, wer den Befehl dafür gegeben hat. Nach einem in der Rada eingereichten Gesetzesvorschlag wird eine Amnestie für 49 Personen verlangt, darunter auch Maidanaktivisten, die des Mords beschuldigt werden. Verlangt wurde auch im Parlament, die wegen der Gewalttätigkeiten um den Hretska-Platz angeklagten freizulassen. Das zeigt auch den Zustand des Parlaments.
Ziemlich deutlich werden die Versuche kritisiert, die Untersuchungen zu verschleppen und im Sand verlaufen zu lassen: ineffizient seien die Untersuchungen gewesen, zu wenige Ressourcen seien eingesetzt worden, die Qualität lasse zu wünschen übrig, die Behörden hätten nicht auf Sorgfalt geachtet. So sei erst im Dezember 2014 angefangen worden zu untersuchen, warum die Feuerwehr erst vierzig Minuten nach Brand eingetroffen sei, die Polizei war erst gar nicht eingetroffen. Auch bei den Ermittlungen gegen Verdächtige werden erhebliche Mängel angemeldet, die Opfer und die Verwandten von Toten seien nicht direkt und regelmäßig über die Untersuchung informiert worden, auch die Öffentlichkeit sei nicht umfassend und regelmäßig informiert worden.
Ein wirklicher Fortschritt sei nach eineinhalb Jahren nicht erzielt. Es seien die Mängel der Untersuchungen, die eine Aufklärung der Verbrechen und eine Strafverfolgung er Täter verhindert hätten. Recht viel deutlicher kann man nicht sagen, dass die Behörden offenbar vor allem daran interessiert, das Verbrechen und die Täter zu verschleiern.