Transatlantische Wortscharmützel
Die "alten Europäer" in Frankreich ärgern sich über die "amerikanische Verachtung"
Die Feierlichkeiten rund um den vierzigsten Jahrestag des Elysée-Vertrages boten Chirac und Schröder genügend Gelegenheiten, Einigkeit in der Irakkrise zu demonstrieren. Nicht ohne die UNO, lautet nach wie vor die Devise. Doch des US-Außenministers Verbalattacken, wonach Deutschland und Frankreich das alte Europa repräsentierten und sich das Gravitätszentrum Richtung Osten verlagert hätte, dürften wohl eher von einem Statement des französischen Außenministers, Dominique de Villepin, herrühren: Am Montag hatte dieser im UNO-Sicherheitsrat, deren Vorsitz die Grande Nation derzeit inne hat, das französische Vetorecht in Erinnerung gerufen. Präsident Chirac hat es bislang allerdings vorgezogen, dieses "Unwort" nicht in den Mund zu nehmen und versucht statt dessen, die transatlantischen Wogen wieder zu glätten.
Ganz im Gegensatz zu so manchen französischen Ministern und Oppositionspolitikern, die seit Donnerstag fleißig Öl ins Feuer gießen. Die Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie erteilte ihrem amerikanischen Amtskollegen gar eine Geschichtsstunde: "Wir befinden uns nicht mehr in der Urgeschichte, wo derjenige, der die größte Keule besaß, versuchte, den anderen totzuschlagen, um ihm seinen Mammutknochen zu stibitzen." Ex-Erziehungsminister Jack Lang unterstellte dem Bush-Team "totalitäres Gedankengut" und von der "amerikanischen Arroganz" war freilich auch vielerorts die Rede.
Eine weit kühlere Diagnose lieferte da hingegen Pierre Moscovici, ehemaliger Europaminister der Jospin-Regierung: Donald Rumsfeld hätte seine verbalen Ausritte nicht nur an die renitenten "alten Europäer" gerichtet, sondern vor allem an die eigene öffentliche Meinung, die laut neuesten Umfragen mehrheitlich gegen einen US-Militäreinsatz ohne UNO-OK eingestellt ist. Es läge daher im amerikanischen Interesse, die europäischen Opponenten eines neuen Irakkrieges zu abzuwerten, erklärte Moscovici in einem Radiointerview auf France Inter am Donnerstag Abend.
Die Tageszeitung "Libération", deren Aufmacher am Freitag die "Amerikanische Verachtung" lautete, analysiert die medial griffige Redewendung von den "alten Europäern" als Versuch Washingtons, Berlin und Paris innerhalb der EU und vor allem der NATO, zu isolieren. Die EU-Osterweiterung werde als willkommenes Gegengewicht zur französisch-deutschen Opposition gesehen. Die Regierung Bush verhehle kaum noch, "dass eine ihrer größten Prioritäten darin besteht, die Unipolarität der Welt fortzusetzen, (...) Aus diesem Grunde bringt Washington einer 'Vertiefung' Europas nur wenig Enthusiasmus entgegen, da eine solche in einer gemeinsamen Außenpolitik münden könnte."
"Die Beleidigung, die Europa angetan wurde",, wie der bürgerliche Figaro am Freitag titelte, "illustriert die ungeheuerliche Nervosität der Bush-Diplomatie. Seine Irritiertheit gegenüber der deutsch-französischen Widerspenstigkeit wird von Tag zu Tag sichtbarer. (...) Es tritt allerdings der paradoxe Effekt ein, dass die amerikanischen Spasmen, die deutsch-französische Einstimmigkeit und Entschlossenheit verstärkt."
Bei dieser Einstimmigkeit könnte es sich allerdings um einen schönen Schein handeln: Während Schröder eine Zustimmung im UN-Sicherheitsrat zu einer Resolution ausschließt, die einen Krieg gegen den Irak legitimierten würde, begnügt sich Chirac damit, die USA an den Abstimmungstisch zu bekommen und so ein "unilaterales Vorgehen" zu verhindern. Der Chefredakteur des politischen Wochenmagazins Le Nouvel Observateur erkennt denn auch hinter der "Anti-Kriegs-Haltung" Deutschlands und Frankreichs verschiedene Beweggründe. Unter dem Titel Pazifismus und Gaullismus wird daran erinnert, dass Schröder Rücksicht auf seine grünen Verbündeten und die öffentliche deutsche Meinung nehmen müsse, "die mehrheitlich pazifistisch ist". Während Chirac nach 5 Jahren Kohabitation die Hände frei habe, um seine Außenpolitik in bester gaullistischer Tradition zu führen: "Eine Außenpolitik, die er immer souverän, unabhängig, konform zu den spezifischen Interessen des Landes gewünscht hat und nicht zu jenen des großen amerikanischen Alliierten."
Was allerdings die ökonomischen Interessen der Nation anlangt, so könnte der Zwischenruf des republikanischen US-Senators Richard Lugar, der von den französischen Medien umgehendst aufgegriffen wurde, nicht ungehört verschallen: Falls Frankreich in der Post-Saddam-Ära einen Anteil an den irakischen Erdölreserven haben wolle, so würde man sich gefälligst an einer Militäroperation beteiligen müssen. Und möglicherweise schiebt die US-Regierung nun auch den Termin für eine Entscheidung ein paar Wochen nach hinten, um den Waffeninspektoren mehr Zeit zu geben und mehr Zeit zu haben, die Widerspemstigen doch noch ins eigene Lager zu ziehen.