Trotz Kipping auf der Kippe: "Rot-Rot-Grün" in Berlin

Katja Kipping (Die Linke) soll Berlins neue Sozialsenatorin werden. Foto: © Superbass / CC-BY-SA-4.0

Landespolitiker und Basisgruppen der Partei Die Linke rufen Mitglieder zur Ablehnung des Koalitionsvertrags auf

Am 21. Dezember soll das Berliner Abgeordnetenhaus Franziska Giffey zur neuen Regierenden Bürgermeisterin wählen. Auch die Mitglieder des neuen Senats werden dann ernannt. So sieht es jedenfalls der Zeitplan von SPD, Grünen und Linken vor, die am Montag ihren Koalitionsvertrag präsentiert hatten.

Während die Absegnung der Vereinbarung durch die zuständigen Parteigremien von SPD und Grünen als reiche Formsache gilt, tut sich die Linke etwas schwerer. Sie hat heute eine Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag und zur erneuten Regierungsbeteiligung gestartet, die am 17. Dezember beendet sein soll. Erst dann will man auch offiziell die drei künftigen Senatoren für "Rot-Rot-Grün 2.0" nennen.

Zwei der drei Personalien sind aber bereits klar. Klaus Lederer soll erneut als stellvertretender Bürgermeister und als Senator für Kultur und Europa in die Landesregierung eintreten. Und nach dem am Dienstagabend verkündeten Rückzug von Elke Breitenbach, der bisherigen Senatorin für Soziales, Arbeit und Integration, wurde am nächsten Morgen ein "politisches Schwergewicht" als Nachfolgerin präsentiert: Die Bundestagsabgeordnete und frühere Ko-Parteichefin Katja Kipping soll das Amt übernehmen.

Keine Berufserfahrung außerhalb des Politikbetriebs

Wobei die Frage erlaubt sein sollte, was die seit ihrer Studienzeit als Politikerin tätige und über keinerlei Berufserfahrung außerhalb der politischen Blase verfügende Kipping für diese äußerst komplexe und anspruchsvolle Aufgabe prädestiniert. Zumal sie und Bernd Riexinger als Parteivorsitzende nach allen Regeln der Kunst gescheitert sind.

Für viele kam der Rückzug Breitenbachs überraschend, doch aus Parteikreisen war zu vernehmen, dass dieser Schritt bereits vor der Wahl intern bekannt war, nebst Timing für die Verkündung, bei der bereits die Nachfolgefrage geklärt sein sollte. Kipping soll dabei schon länger im Gespräch gewesen sein, doch die wollte wohl erst ihre mögliche künftige Rolle in der Bundestagsfraktion ausloten, wo sie aber wohl kaum über den Status einer besseren Hinterbänklerin hinauskommen würde. Und die laufenden Koalitionsverhandlungen sollten nicht durch ungeklärte Personalfragen gestört werden.

"Störungen" gab und gibt es jetzt aber an einer anderen Front. Denn in der Partei gibt es erheblichen Unmut über den Berliner Koalitionsvertrag, besonders die Passagen zur Wohnungspolitik betreffend. Im Mittelpunkt steht dabei der Umgang mit dem parallel zu den Wahlen am 26. September abgehaltenen Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen", der mit 59,1 Prozent der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde.

Zweierlei "rote Linien"

Giffey hatte bereits vor der Wahl erklärt, dass es mit ihr keine Enteignungen geben werde, das sei eine "rote Linie". Die Linke, die den Volksentscheid als einzigen echten "Wahlkampfschlager" benutzte, knickte in den Koalitionsverhandlungen nahezu ohne nennenswerten Widerstand ein. Der Volksentscheid soll jetzt in eine Kommission entsorgt werden, die zunächst ein Jahr lang prüfen soll, ob so eine Vergesellschaftung überhaupt geht und wenn ja, ob man die überhaupt aus wohnungspolitischer Sicht will.

Über die Empfehlung der Kommission soll dann der Senat 2023 beraten und irgendwann entscheiden. Mit dem Inhalt des Volksbegehrens, also der unverzüglichen Einleitung der Vergesellschaftung, hat das nichts zu tun. Wie albern diese Scharade ist, zeigt sich auch daran, dass bereits wenige Wochen nach dem Amtsantritt des neuen Senats ein "Bündnis für bezahlbares Wohnen" eingerichtet werden soll – mit Beteiligung eben jener Wohnungskonzerne, deren Enteignung man später prüfen will.

Für viele in der Linken ist wiederum das eine "rote Linie". Mehrere Gruppen haben sich jetzt formiert, die bei dem Mitgliederentscheid für die Ablehnung des Koalitionsvertrages werben. Eine der gewichtigsten Stimmen ist dabei Katalin Gennburg, wohnungs- und stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, die bei den Wahlen überraschend ihr Direktmandat in Treptow verteidigte.

Gennburg geht es dabei nicht nur um die Entsorgung des Volksentscheids, sondern um eine vor allem von der SPD durchgedrückte "grundlegende Kehrtwende in der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik".

Statt die kommunale Wohnraumversorgung in den Mittelpunkt zu stellen und den Einfluss renditeorientierter Privatunternehmen zurückzudrängen, wolle man jetzt wieder an den alten "Aufwertungs- und Verdrängungsstrategien der Neunziger- und Nuller-Jahre anknüpfen", sagt Gennburg im. Eine Regierungsbeteiligung unter diesen Prämissen mache für die Linke "keinen Sinn" und deshalb werbe sie für die Ablehnung des Koalitionsvertrages.

Auch der erstmals ins Abgeordnetenhaus gewählte Ferat Kocak, der sich als "Aktivist im Parlament" versteht, wirbt vehement für eine Ablehnung des Koalitionsvertrages. Dabei sind neben zahlreichen Einzelpersonen auch Parteigliederungen wie der Bezirksverband Neukölln und die Jugendorganisation Linksjugend ['solid].

Die Landesspitze der Partei hält dagegen und wirbt um Zustimmung. "Wir haben einen Koalitionsvertrag, wo ich jetzt mal sage, er trägt auch eine linke Handschrift", erklärte die Landesvorsitzende Katina Schubert am Montag bei Vorstellung des Papiers. Zumindest im wohnungspolitischen Teil fällt es aber äußerst schwer, diese Handschrift irgendwo zu erkennen. Beschworen wird ferner die "gelbe Gefahr", also ein Bündnis der SPD und der FDP, wenn die Linken abspringen.

"Auch mal Nein sagen können"

Für Gennburg ist das kein Argument: "Wenn die Inhalte nicht stimmen, muss man auch mal Nein zu einer möglichen Regierungsbeteiligung sagen", sagt sie. Man könne nicht immer mit dem "größeren Übel" als Drohkulisse kommen. Eine Koalition unter diesen Voraussetzungen könne "verheerende Folgen" für Die Linke haben, warnt Gennburg. Wenn die rot-rot-grüne Koalition nicht zustande komme, werde man zusammen mit der Mieterbewegung und anderen Gruppen als starke Opposition agieren.

Nun liegt es in der Hand der rund 8000 Mitglieder des Berliner Landesverbandes. Bislang ist die Basis den Vorgaben der Führung stets mit mehr oder weniger deutlichen Mehrheiten gefolgt. Aber diesmal könnte es zumindest eng werden.

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