Trotz KrisenmaĂnahmen: Inflation im Euroraum auf neuem Rekordhoch
In einigen LĂ€ndern nĂ€hert sich die Inflation der 20-Prozent-Marke, in Deutschland sind es ânurâ 7,5 Prozent. Seit der EinfĂŒhrung der GemeinschaftswĂ€hrung war sie nie so hoch
Diese von der europĂ€ischen Statistikbehörde Eurostat [1] geschĂ€tzten Inflationsraten fĂŒr April sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: Estland 19 Prozent, Litauen 16.6, Lettland 13,2, Niederlande 11,2, Slowakei 10,9, Griechenland 9,4, Belgien 9,3. Auch groĂe EurolĂ€nder wie Spanien haben, obwohl inzwischen staatlich sogar die Spritpreise pro Liter mit 20 Cent subventioniert werden [2], weiterhin eine offizielle Inflation von 8,3 Prozent und auch Deutschland liegt mit offiziell 7,8 Prozent nur noch knapp darunter.
Verzerrter "Verbraucherpreisindex"
Lassen wir uns aber von den Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) nicht verwirren. Denn Destatis gibt zwar auch eine besorgniserregend hohe Inflation an, doch die Konsumentenpreise sollten nach Destatis-Angaben [3] gegenĂŒber dem Vorjahresmonat ânurâ um 7,4 Prozent gestiegen sein.
Das hat schlicht damit zu tun, dass das Bundesamt den noch verzerrteren âVerbraucherpreisindexâ (VPI) benutzt, wĂ€hrend die europĂ€ische Statistikbehörde mit dem international vergleichbareren âHarmonisierten Verbraucherpreisindex" (HVPI) arbeitet. Deshalb gehen die Angaben auseinander.
Nach 7,4 Prozent im MĂ€rz ist die geschĂ€tzte Teuerungsrate im April nun im Durchschnitt der EurolĂ€nder mit 7,5 Prozent auf einen neuen Rekordwert gestiegen. âIm Hinblick auf die Hauptkomponenten der Inflation im Euroraum wird erwartet, dass âEnergieâ im April die höchste jĂ€hrliche Rate aufweist (38,0 Prozent, gegenĂŒber 44,4 Prozent im MĂ€rz), gefolgt von âLebensmitteln, Alkohol und Tabakâ (6,4 Prozent, gegenĂŒber 5,0 Prozent im MĂ€rz), âIndustriegĂŒtern ohne Energieâ (3,8 Prozent, gegenĂŒber 3,4 Prozent im MĂ€rz) und âDienstleistungenâ (3,3 gegenĂŒber 2,7 Prozent im MĂ€rz)â aufweisen soll, schreibt Eurostat.
Eine solche Teuerungsrate hat es seit der EinfĂŒhrung des Euro als europĂ€ische GemeinschaftswĂ€hrung noch nie gegeben. Dass nun die Inflationsrate in immer mehr LĂ€ndern zweistellig ist und in einigen LĂ€ndern sogar die Marke von 20 Prozent erreicht, zeigt zudem an, dass es noch viel Luft nach oben gibt und die Geldentwertung zum Teil schon galoppiert.
In einigen LĂ€ndern wie Frankreich, schlieĂlich war dort Wahlkampf, ist die Inflationsrate mit 5,4 Prozent noch vergleichbar niedrig. Diese Teuerungsrate wurde â teuer fĂŒr den Staat â ĂŒber gedeckelte Energiepreise erreicht. Die Regierung hatte vor den kĂŒrzlich abgehaltenen PrĂ€sidentschaftswahlen [4] die Gas- und Strompreise gedeckelt. PĂŒnktlich vor dem ersten Wahlgang der PrĂ€sidentschaftswahlen wurden am 1. April auch die Spritpreise an den Tankstellen um 18 Cent gesenkt [5]. Es war klar, dass Macron seine Kandidatur nicht mit Spritpreis-Protesten belasten wollte, weshalb er tief in die Schatulle gegriffen hat.
Da am 12. Juni der erste Wahlgang zu den Parlamentswahlen stattfindet, wird sich das kurzfristig auch nicht Ă€ndern. Aber es ist natĂŒrlich kein Zufall, dass die MaĂnahme auf vier Monate beschrĂ€nkt wurde und am 31. Juli nach den Parlamentswahlen auslaufen wird. Bisher wird in Frankreich also die Inflation ĂŒber hohe und ungezielte Subventionen mit der GieĂkanne kĂŒnstlich niedrig gehalten, um das Wahlvolk nicht zu verschrecken.
Auch wohlhabende Autofahrer profitieren
Das dicke Ende kommt aber demnĂ€chst, da diese fĂŒr die Staatsfinanzen ruinöse Politik nicht lange aufrechterhalten werden kann. Offiziell will die Regierung die Subventionen neu kalibrieren. Denn auch fĂŒr Wirtschaftsminister Bruno Le Maire ist klar, dass jeder Autofahrer gleich profitiert, also auch âAutofahrer mit sehr hohem Einkommen oder solche, die ihr Fahrzeug nicht fĂŒr die Fahrt zur Arbeit nutzenâ.
Auch er weiĂ, dass diese Tankrabatte eine âsehr kostspieligeâ Angelegenheit fĂŒr den Staat sind und schon wie bisher geplant drei bis vier Milliarden Euro kosten.
Das sind im Fall Frankreichs natĂŒrlich Milliarden, die sich als neue Schulden auf den ohnehin stark wachsenden Schuldenberg auftĂŒrmen. Das saisonbereinigte Defizit im französischen Haushalt ist seit Jahren nicht unter die Marke von vier Prozent gefallen, es stieg in der Covid-Krise teilweise â wie im zweiten Quartal 2020 â sogar auf 14,5 Prozent. [6]
Nach den StabilitĂ€tskriterien sollten drei Prozent nicht ĂŒberschritten werden. Schon im vierten Quartal 2021 hatte Frankreich einen Schuldenberg von fast 2,7 Billionen Euro aufgehĂ€uft, das sind schon fast 115 Prozent der jĂ€hrlichen Wirtschaftsleistung. Nach den StabilitĂ€tskriterien sollten es höchsten 60 Prozent sein. Im Nachbarland Spanien sind es allerdings schon 120 Prozent.
In Griechenland, wo man ĂŒber absurde AusteritĂ€tsprogramme des Internationalen WĂ€hrungsfonds (IWF) die Schuldenquote 2020 auf 120 Prozent senken wollte [7], ist die Verschuldungsquote schon auf 206 Prozent angewachsen und Italien ist mit 155 Prozent auch weiter auf einem Kurs [8], der den Schuldendienst eigentlich unbezahlbar macht.
"Madame Inflation"
Auch und vor allem fĂŒr ihr Frankreich im Wahlkampf macht die ehemalige IWF-Chefin Christine Lagarde als âMadame Inflationâ als Chefin der EuropĂ€ischen Zentralbank (EZB) eine Geldpolitik, die immer absurder wird. Ungebremst hĂ€lt sie an der Geldschwemme und der Null- und Negativzinspolitik fest. Das tut sie auch jetzt noch mit konsequenter RealitĂ€tsverweigerung [9], da trotz einer enormen Inflation nichts an der Geldpolitik geĂ€ndert wird.
Von der Aufgabe, fĂŒr GeldwertstabilitĂ€t zu sorgen, kann keine Rede mehr sein. Die ohnehin erhöhte Zielmarke von zwei Prozent wird seit langem nicht mehr eingehalten. WĂ€hrend andere WĂ€hrungsrĂ€ume lĂ€ngst das Ruder herumgerissen und mit Leitzinserhöhungen begonnen haben, hĂ€lt die Lagarde-EZB das Ruder weiter auf dem bisherigen Kurs und man benutzt dafĂŒr entweder absurde Prognosen oder findet immer neue Ausreden.
Denn, das haben wir hier auch schon aufgefĂŒhrt, hat der Ukraine-Krieg mit der Inflationsentwicklung nur wenig zu tun, auch wenn der sie natĂŒrlich weiter antreibt. Doch wird der Krieg nun gerne, auch in den sogenannten QualitĂ€tsmedien, als Ausrede fĂŒr die Rekordinflation [10] benutzt.
Dabei war die Inflationsrate schon vor dem Ukraine-Krieg im Januar im Euroraum auf 5,1 Prozent geklettert und wurde im Februar nur durch den Kriegsausbruch auf 5,8 Prozent getrieben [11].
Gier und Spekulation
Wie hier schon vor lĂ€ngerer Zeit aufgezeigt, hatte auch die Spritpreisexplosion, die fĂŒr die Inflationsentwicklung bedeutsam ist, real nur wenig mit den gestiegenen Ălpreisen zu tun. 2008 kostete das Barrel Ăl fast 150 US-Dollar, doch stieg damals der Dieselpreis nur auf etwa 1,50 Euro an. Derzeit kostet das Barrel Nordseeöl Brent aber nicht einmal 109 Dollar.
Dass Gier und Spekulation eine bedeutsame Rolle bei der Energiepreisexplosion fĂŒr Verbraucher zu tun hat, wurde hier auch schon erklĂ€rt [12].
Doch es ist offensichtlich, dass dagegen genauso wenig vorgegangen werden soll, wie die Geldpolitik geĂ€ndert werden soll, die fĂŒr hohe Energiepreise ebenfalls mitverantwortlich ist. Wie in Frankreich oder Spanien denkt man viel lieber auch in Deutschland ĂŒber absurde Tankrabatte nach. Man will auch hier Spritpreise subventionieren, um die Inflationsraten zu stabilisieren oder zu senken. Spekulationsgewinne anzugreifen, darĂŒber denkt man lieber nicht nach.
Ein oben angedeutetes Problem sollte nicht unbeachtet bleiben. Denn es ist die EZB-Politik des extrem billigen Geldes, die zwar auf der einen Seite die Staatsverschuldung fĂŒr einige LĂ€nder bezahlbar hĂ€lt und die Schulden nun zum Teil ĂŒber die hohe Inflation weginflationiert. Aber es ist diese Geldpolitik, die fĂŒr die extrem hohen Energiepreise mitverantwortlich ist.
So werden ĂŒber die Geldpolitik nicht nur Sparer immer schneller enteignet, die keine Zinsen bekommen, bisweilen sogar Negativzinsen und immer neue GebĂŒhren bei Banken bezahlen mĂŒssen, sondern ihnen wird das stĂ€ndig entwertete Geld immer schneller fĂŒr hohe Preise aus der Tasche gezogen.
SchlieĂlich wird beispielsweise Ăl auf dem Weltmarkt in US-Dollar bezahlt. Da die EZB aber an der Geldpolitik nichts Ă€ndert, die US-Notenbank FED derweil zum Beispiel auch die Leitzinsen schon erhöht hat, gibt der Euro gegenĂŒber dem Dollar weiter nach. Kapital flieĂt in Richtung der WĂ€hrungsrĂ€ume ab, in denen die Leitzinsen wie in den USA erhöht wurden. Das verteuert natĂŒrlich Energieimporte fĂŒr Verbraucher im Euroraum ĂŒber den sich verĂ€nderten WĂ€hrungskurs weiter.
Umso stĂ€rker sich der Euro gegenĂŒber dem Dollar verbilligt, umso teurer wird Ăl und Gas fĂŒr die Verbraucher im Euroraum, auch wenn die Preise fĂŒr Ăl und Gas gar nicht ansteigen.
So hĂ€tte die EZB, anders als sie behauptet, sehr wohl eine Möglichkeit, dĂ€mpfend auf die Energiepreise einzuwirken â und damit natĂŒrlich auch auf die Inflation. Das hĂ€tte aber als Wirkung, dass hochverschuldete Staaten wie Frankreich, Spanien, Italien und Griechenland ĂŒber steigende Leitzinsen in die Bredouille kĂ€men, da der Schuldendienst darĂŒber teurer oder sogar unbezahlbar wĂŒrde.
Somit ist man in der Lagarde-EZB in Frankfurt am Main aber tief in die Sackgassen gerannt, dass man lieber Energie und Spritpreise ĂŒber das billige Geld subventioniert â und damit die Staatsverschuldung weiter hochschieĂen lĂ€sst.
Verfehlte Konjunkturpolitik
Die EZB ist inzwischen ganz offensichtlich in einem Teufelskreis gefangen, aus dem sie nicht aussteigen will. Je spÀter sie das tut, umso heftiger werden allerdings die Bremsspuren.
Da die EZB seit vielen Jahren Konjunkturpolitik macht, prĂŒgelte sie ĂŒber ihre Geldpolitik den Euro gezielt nach unten, um Waren aus dem Euroraum fĂŒr andere WĂ€hrungsrĂ€ume billiger zu machen und damit die Exporte und die Konjunktur zu stĂ€rken.
Jetzt zahlen wir eben den Preis fĂŒr diese völlig verfehlte Politik. Doch die erwartete Ernte fĂ€llt dafĂŒr fĂ€llt derzeit weitgehend aus, da LieferengpĂ€sse und Probleme in den Lieferketten dazu fĂŒhren, dass man zwar auf dem Weltmarkt billiger verkaufen könnte, aber dort nicht verkaufen kann, weil man nicht liefern kann.
Wir haben es also mit einem perfekten Sturm zu tun â und die Anzeichen fĂŒr eine gefĂ€hrliche Stagflation, dass eine hohe Inflation mit einer Stagnation der Wirtschaft oder mit einer Rezession zusammenfĂ€llt, werden immer deutlicher. Der Werkzeugkasten, mit dem die EZB stimulierend auf die Konjunktur Einfluss nehmen könnte, ist aber inzwischen leer.
Es ist kein Wunder, dass angesichts dieser Entwicklung, die Wachstumsprognosen stĂ€ndig zurĂŒckgenommen werden. Dabei sollte doch gerade jetzt ein starkes nachholendes Wachstum nach der Covid-Pandemie kommen. Doch das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland ist im ersten Quartal gegenĂŒber dem Vorquartal gerade einmal um schwache 0,2 Prozent gestiegen [13].
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[1] https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/14497757/2-29042022-AP-DE.pdf/14af9a6c-3601-6a86-2351-7e1bdf14989e
[2] https://www.heise.de/tp/features/Spanien-will-Spritpreise-am-Freitag-um-20-Cent-senken-6657380.html
[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/_inhalt.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Frankreich-Lieber-ein-Votum-das-stinkt-als-ein-Votum-das-toetet-6715952.html
[5] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/karlsruhe/tanken-im-elsass-in-seltz-deutlich-billiger-100.html
[6] https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/14497742/2-22042022-CP-DE.pdf/022c5572-97ef-0b82-afb3-5d572ccb0444
[7] https://www.heise.de/tp/news/Griechenland-erhaelt-neues-Geld-fuer-den-Schuldendienst-3745725.html
[8] https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/14497745/2-22022-BP-DE.pdf/9da5123f-b815-59c4-df65-7fe7ac9e6340
[9] https://www.heise.de/tp/features/Mit-EZB-Realitaetsverweigerung-in-die-Stagflation-6690910.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-Krieg-als-Ausrede-fuer-Rekordinflation-6658692.html
[11] https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-Krieg-treibt-Inflation-hoch-6533189.html
[12] https://www.heise.de/tp/features/Nur-Spekulation-und-Gier-erklaeren-die-hohen-Spritpreise-6585002.html
[13] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/04/PD22_184_811.html
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