Mit EZB-Realitätsverweigerung in die Stagflation?

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Da die Europäische Zentralbank (EZB) viel zu lange mit expansiver Geldpolitik vor allem Konjunkturpolitik betrieben hat, steht der Eurozone nun eine schwere Zeit bevor

Nichtstun ist offensichtlich die Leitlinie von "Madame Inflation", wie man die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, nennt.

Schaut man auf die EZB-Webseiten, dann wird inzwischen jedem schon auf den ersten Blick klar, wie weit sich die Realität von der Eigendarstellung der Notenbank entfernt hat. In der Selbstbeschreibung heißt es: "Wir halten die Inflation unter Kontrolle", was angesichts der Rekord-Inflation von nun schon offiziell 7,5 Prozent in der Euro-Zone natürlich längst blanker Hohn ist. Noch nie war die Teuerungsrate seit der Einführung der Gemeinschaftswährung derart hoch.

"Unsere Aufgabe ist, stabile Preise zu gewährleisten"

"Unsere Aufgabe ist, stabile Preise zu gewährleisten", tönt die EZB propagandistisch. Das sei "der beste Beitrag, den die Geldpolitik zum Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen leisten kann."

Als Ziel gibt die EZB nicht nur vor, die Preise stabil zu halten, "indem wir dafür sorgen, dass die Inflation – also die Rate, mit der sich die Preise für Waren und Dienstleistungen mit der Zeit insgesamt verändern", sondern sie meint auch, die Preissteigerungen sollten "niedrig" und "berechenbar" bleiben.

Diese Ansprüche verfehlt die EZB unter Lagarde seit geraumer Zeit. Anspruch und Wirklichkeit gehen immer fataler auseinander. Schon vor einem Jahr machte Telepolis deutlich, dass es gefährlich ist, die aufziehenden dunklen Inflationswolken schlicht als "German Angst" abzutun.

Spätestens im vergangenen Mai wurde deutlich, als die offizielle Inflationsrate die Zielmarke von zwei Prozent im Euroraum deutlich überschritten hat, dass die Lage ernst wird. Einige EU-Länder wiesen schon dabei Werte über fünf Prozent aus, wie sie auch die USA schon ausweisen musste.

Fatal war, dass die EZB nichts unternommen hat, um einer absehbar fatalen Entwicklung zu begegnen. Nun fehlen dem Betrachter fast die Worte, dass die Lagarde-EZB auch weiterhin nichts unternimmt – offenbar auch noch lange nichts unternehmen will -, obwohl auch die offiziellen Inflationsraten in einigen Ländern schon seit Monaten sogar zweistellig ist. In Estland und Litauen ist sie schon auf etwa 15 Prozent geklettert!

In fünf bis sechs Jahren ist bei solchen Werten jeder Euro nur noch etwa die Hälfte wert. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Inflation ganz besonders hart einfache Menschen trifft. Wer über wenig Einkommen verfügt, muss einen besonders hohen Anteil davon für Energie und Nahrungsmittel aufwenden, weshalb die reale Inflation für diese Gruppe besonders hoch ist, worauf Armutsforscher immer wieder hinweisen.

Enteignung der Mittelschicht

Unmissverständlich klar ist aber auch, dass die Enteignung der Mittelschicht deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Denn wer noch über Sparguthaben verfügt, wird angesichts solch hoher Inflationsraten nicht mehr nur schleichend enteignet. Das konnte man noch so lange sagen, solange die Inflation niedrig war, da auf Spareinlagen schon seit Jahren wegen der Null- und Negativzinspolitik der EZB keine Zinsen mehr gezahlt werden.

Doch sogar einfache Sparer werden immer stärker mit Negativzinsen belastet. Auch sie müssen also noch Geld dafür bezahlen, damit die Banken mit ihrem Geld arbeiten können. "Verwahrentgelt" werden die Negativzinsen euphemistisch genannt.

Während die Inflation aber weiter steigt, das Geld auf den Sparkonten also immer stärker entwertet wird, verlangen Banken ständig auch noch immer neue Gebühren. Angesichts von offiziellen Inflationsraten, die auch in großen Euroländern wie Spanien schon auf knapp zehn Prozent geklettert sind, hat auch die Enteignung der Mittelschicht deutlich an Fahrt aufgenommen.

Doch Christine Lagarde hält auch angesichts der Rekordinflation weiter die Füße still. Dabei muss man in die 1970er und 1980er-Jahre auf die Ölkrisen zurückschauen, um eine ähnlich hohe Geldentwertung zu finden. Im vergangenen November ging Telepolis schon davon aus, dass es "nun immer weniger ausgeschlossen" sei, dass in Deutschland auch die Marke von 6,3 Prozent gerissen werden würde, um die sich die Preise in der Ölkrise 1981 verteuert hatten.

Inzwischen registriert Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) aber schon eine offizielle Inflationsrate von 7,3 Prozent. Die wird von Eurostat allerdings sogar auf überdurchschnittliche 7,6 Prozent heraufgesetzt. Die europäische Statistikbehörde arbeitet mit dem international vergleichbareren "Harmonisierten Verbraucherpreisindex" (HVPI) und nicht mit dem noch verzerrteren "Verbraucherpreisindex" (VPI).

EZB: Keine große Änderung

Wie Telepolis berichtet hatte, war der einzig nennenswerte Schritt der EZB aber nicht dazu da, um die steigende Inflation zu begrenzen, sondern die Notenbank hat im vergangenen Sommer nur ihre Zielmarke angepasst. Angestrebt wird jetzt nicht mehr eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent, sondern nun werden zwei Prozent angestrebt.

Das scheint keine große Änderung, tatsächlich war viel wichtiger, dass man eine neue Wortwahl gefunden und das sehr schwammige Wörtchen "mittelfristig" eingeführt hat. "Mittelfristig streben wir eine Inflationsrate von zwei Prozent an", erklärt die EZB nun und will "stärkere Abweichungen nach oben oder unten" auch über einen längeren Zeitraum akzeptieren.

Was "längerfristig" bedeutet und wie hoch "stärkere Abweichungen" sein dürfen, wurde bewusst nicht definiert, um keinen Handlungsdruck zu bekommen.