Trotziger Rechtsbruch

Die Prodi-Regierung stellte als "Abschiedsgeschenk" Steuerdaten ins Netz

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Dass Romano Prodi vom Schutz der Privatsphäre nicht allzu viel hält, war schon in seiner Zeit als EU-Kommissar erkennbar, als einige für den Datenschutz mehr als problematische Richtlinien verabschiedet wurden. Nun veröffentlichte die von ihm geführte Regierung kurz vor ihrem Abtritt detaillierte Angaben zu den offiziellen Einkommen ihrer Bürger im Jahr 2005 auf der Website der Agenzia delle Entrate unter "Uffici".

Nach knapp 24 Stunden unterband eine Intervention des Datenschutzbeauftragten Francesco Pizzetti am Mittwoch die Aktion. Allerdings finden sich die Daten mittlerweile nicht nur an mehreren anderen Orten im Web, sondern auch in P2P-Netzwerken.

Der Verbraucherorganisation Associazione per la Difesa e Orientamento Consumatori (ADOC) zufolge handelte es sich bei der Zugänglichmachung um eine eindeutige Verletzung von Datenschutzvorschriften, welche die Gefahr von Erpressungen nach sich zieht. Im Wahlkampf hatte die Prodi-Partei mit einer Offenlegung der Steuerdaten geworben und grandios verloren. Berlusconi dagegen hatte die "Atmosphäre von Gewalt und Schrecken" kritisiert, welche die Steuerbehörden verbreiten würden. Möglicherweise entschieden sich deshalb auch zahlreiche Gegner des Medienmagnaten für das ihrer Ansicht nach "kleinere Übel" oder für ein Fernbleiben.

Prodis Finanzminister Vincenzo Visco sagte der Tageszeitung Corriere della Sera, dass er in dem Vorgehen kein Problem sehe, weil es ja lediglich um "Transparenz und Demokratie" gehe. Jemand, der auf großem Fuß lebt, kann nicht nur in Italien keine oder sehr niedrige Steuern zahlen, wenn er sich geschickt genug anstellt. Sind die Daten öffentlich, besteht dagegen ein Anreiz, aufgrund des dadurch entstehenden Bildes in der Öffentlichkeit in gewissem Rahmen auf solche "Steuersparmodelle" zu verzichten. Fraglich ist allerdings, ob ein Vorgehen wie das der Regierung Prodi wirklich das geeignete und vor allem mildeste Mittel ist, um solch einen Effekt zu erreichen: Sinnvoller wären beispielsweise Änderungen im Steuerrecht, welche solche "Schlupflöcher" ohne große Eingriffe in die Privatsphäre schließen.

Beispiele hierfür wären die Einführung einer Besteuerung nach Pass, wie sie die USA praktizieren: Dadurch müssten auch "Promis", die ihren Wohnsitz in "Steuerparadiesen" haben, aber einen großen Teil ihres Vermögens nur dadurch erwirtschafteten, dass die als "Nationalsymbole" posierten, entweder die Staatsangehörigkeit aufgeben, oder die Differenz auf die im Ausland gezahlte Einkommensteuer an den heimischen Fiskus nachzahlen.

Streichpotenzial gäbe es darüber hinaus bei lange gepflegten aber nur bedingt begründbaren Absetzmöglichkeiten wie Reise- und Bewirtungskosten. Weil Arbeitnehmer solche Ausgaben nur sehr schwer oder gar nicht geltend machen können, würde hier gleichzeitig etwas mehr Gleichbehandlung im Steuerrecht geschaffen. Zudem wären Firmen und Selbständige durch solche Änderungen möglicherweise dazu angehalten, stärker darauf zu achten, ob Geschäftsreisen und -essen wirklich notwendig sind, oder ob sie nicht möglicherweise auch durch Videokonferenzen und Ähnliches ersetzt werden können. Eine Rationalisierung, die nicht nur zum effizienteren Wirtschaften, sondern auch zum Klimaschutz und zur Einsparung fossiler Brennstoffe beitrüge.

Ein bislang noch nicht praktizierter aber wahrscheinlich sehr effektiver Anreiz zur "Steuerehrlichkeit" wäre darüber hinaus die konsequente Kreditvergabe nach den Angaben in der Steuererklärung. Sie wäre nicht nur wesentlich gerechter als die bislang verwendeten und relativ undurchsichtigen Ratingsysteme, welche die italienischen Banken derzeit verwenden (auch wenn das italienische System nicht ganz so bizarr ist wie das der deutschen Schufa). Wäre die Kreditwürdigkeit einer Person oder eines Unternehmens an die Steuerlast geknüpft, dann gäbe es vor allem für "Problemgruppen", die genug Geld zum Immobilienerwerb erwirtschaften, einen nicht zu vernachlässigenden Anreiz, wenigstens eine gewisse Menge an Steuern zu zahlen.

Will man dagegen auf dem System der Öffentlichkeit beharren, müsste man im Vorfeld mindestens zwischen natürlichen Personen (bei denen das Bedürfnis auf informationelle Selbstbestimmung im Allgemeinen das öffentlichen Interesse an der Dateneinsicht überwiegt) und juristischen Personen unterscheiden. Bei letzteren liegen keine in der Natur des Menschen bedingten Bedürfnisse vor, dafür aber ein aus Gründen der Gefahren für die Demokratie, die Anleger und die Verbraucher weitaus schwerer zu gewichtendes öffentliches Interesse an der Dateneinsicht. Allerdings wird es auch bei natürlichen Personen Fallgruppen geben, bei denen das öffentliche Interesse an der Öffentlichkeit der Steuererklärung die informationelle Selbstbestimmung überwiegt - etwa bei Abgeordneten oder Amtsträgern.