Unverheiratete Schwedinnen mitsamt Telefonnummern

Streit um Informationsfreiheit vs. Datenschutz

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Schweden hat eines der ältesten Informationsfreiheitsgesetze der Welt: Seit 1766 das "Öffentlichkeitsprinzip" im Tryckfrihetsförordningen verankert wurde, können alle schwedischen Bürger alle behördlichen Akten einsehen. Das beinhaltet auch Steuererklärungen. Ausnahmen gibt es lediglich bei Akten des Militärs und der Geheimdienste. Seit November letzten Jahres lassen sich solche Abfragen auch mit dem Dienst Ratsit über das Internet durchführen.

Ratsit wollte angeblich nur eine bequeme Möglichkeit bieten, die Kreditwürdigkeit zu überprüfen, hatte aber nicht mit dem Faktor Neugier gerechnet: Nach kurzer Zeit hatte der Dienst mehr als eine halbe Million registrierte Benutzer und beantwortete täglich 50.000 Anfragen. Dazu trug allerdings auch eine Art Partnervermittlung bei, bei dem Ratsit unverheiratete Schweden und Schwedinnen mitsamt Telefonnummern nach Postleitzahlenbereichen geordnet anzeigt.

Angesichts der Anfrageflut kamen Ängste vor Missbrauch auf und die Behörden stellten den von Anders Johansson geleiteten Göteborger Ratsit-Eigner "Businesscheck" vor die Wahl, Einschränkungen einzuführen oder die Akteneinsicht nur mehr analog zu bekommen. Am 11. Juni führte Ratsit deshalb eine Gebühr und eine Benachrichtigung der Betroffenen per Email ein.

Doch auch damit gab sich die schwedische Regierung nicht lange zufrieden: Letzte Woche teilte der "Justizkanzler" der konservativen Regierung, Göran Lambertz mit, dass er von der Göteborger Justiz die Zulässigkeit von Ratsit überprüfen lässt, weil der Dienst seiner Ansicht nach nicht vom "Öffentlichkeitsprinzip" gedeckt sei und ein Verstoß gegen das Datenschutzgesetz vorliege.

Transparenter und weniger invasiv als eine Schufa-Abfrage

Auch wenn eine offen einsehbare Steuererklärung für deutsche Ohren nach einem erheblichen Eingriff in die Privatsphäre aussieht, so ist sie doch wesentlich transparenter als die in Deutschland übliche Schufa-Abfrage, in der mit weitgehend nicht nachvollziehbaren Methoden ein "Score" errechnet wird, in dem unter anderem alte Mobiltelefonverträge enthalten sind und dessen Abfrage selbst für die Betroffenen, über die Daten angelegt werden, kostenpflichtig ist.

Eine konsequente Kreditvergabe nach den Angaben in der Steuererklärung wäre nicht nur wesentlich gerechter als eine nach Schufa oder Basel II – sie böte auch einen Anreiz zum Steuern zahlen: Wäre sie überall auf der Welt konsequent an die Steuerlast geknüpft, dann gäbe es einen inhärenten Anreiz, wenigstens eine gewisse Menge an Steuern zu zahlen – sonst wäre es mit der Kreditwürdigkeit von Unternehmen wie DaimlerChrysler schnell vorbei.

Der im Fall Ratsit derzeit unauflösbar erscheinende Gegensatz zwischen Informationsfreiheit und Datenschutz wäre allerdings relativ leicht zu mildern, wenn gesetzlich zwischen natürlichen Personen (bei denen das Bedürfnis auf informationelle Selbstbestimmung im allgemeinen das öffentlichen Interesse an der Dateneinsicht überwiegt) und juristischen Personen differenziert würde. Bei juristischen Personen liegen keine in der Natur des Menschen bedingten Bedürfnisse vor, dafür aber ein aus Gründen der Gefahren für die Demokratie, die Anleger und die Verbraucher weitaus schwerer zu gewichtendes öffentliches Interesse an der Dateneinsicht. Allerdings wird es auch bei natürlichen Personen Fallgruppen geben, bei denen das öffentliche Interesse an der Einsicht in die Steuererklärung die informationelle Selbstbestimmung überwiegt - etwa bei Abgeordneten oder Amtsträgern.