Türkei: Das freie Wort geht ins Exil

Seite 2: Mediensäuberung und Ende mit dem Journalismus-Studium

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Gleich zwei Journalisten, die für die Dogan-Mediengruppe arbeiteten, wurden entlassen, weil sie sich gegen die Verfassungsreform stellten. Hakan Celenk schrieb für die Tageszeitung Posta einen Artikel, in dem er die Pläne kritisierte, der Moderator Irfan Degirmenci von Kanal D twitterte, er werde mit "Nein" stimmen. Beide sind nun arbeitslos.

Die Dogan-Holding steht seit Monaten massiv unter Druck, einige Vorstandsmitglieder wurden zeitweise verhaftet, seither findet eine rigorose Selbstzensur des größten Medienunternehmens der Türkei statt. Der AKP nahestende oder verstaatlichte Tageszeitungen werben seit Tagen mit teils identischen Headlines und Erdogan-Zitaten für die Ja-Stimme.

Derzeit sind nach Zahlen des Stockholm Center for Freedom (SCF) 191 Journalisten in der Türkei in Haft. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte dazu: "Kein einziger Journalist ist aufgrund seiner Artikel in Haft. Falls es doch einen gibt, möchte ich wissen, wer er oder sie ist." Er fügte hinzu, es handele sich nicht um Journalisten, sondern um Terroristen oder Unterstützer von Terroristen.

Fakt ist: Bei den allermeisten inhaftierten Journalisten werden die Anklagen mit Artikeln begründet, die diese geschrieben haben. Der ehemalige Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar bezeichnete die Anklageschrift gegen ihn als unautorisierte Anthologie seiner Artikel. Und auch die Schriftstellerin Asli Erdogan, die momentan bis zur Fortsetzung ihres Prozesses im März auf freiem Fuß ist, wurde vor Gericht mit ihren Kolumnen konfrontiert. Bei zahlreichen weiteren Fällen ist es ähnlich.

Yavuz Baydar vergleicht in der Süddeutschen Zeitung die jüngsten Angriffe auf Akademiker mit den Säuberungen der Nazis. Betroffen sind neben Politikwissenschaftlern auch die Journalismus-Lehrgänge. Baydar: "Das Dekret fegte praktisch die gesamten Departments für Journalismus der Universität Ankara und der Marmara Universität fort." Auch andere Fächer wie Geschichte und Soziologie können nun nicht mehr unterrichtet werden.

Als am Samstag Akademiker und Studenten gemeinsam mit Politikern der CHP in Ankara vor der Universität protestierten, wurden sie von der Polizei mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern angegriffen, mehrere Demonstranten festgenommen. Ein Journalist wurde von mehreren Polizisten verprügelt und musste ins Krankenhaus gebracht werden.

Journalisten im Exil

Es gibt inzwischen nur noch eine Handvoll unabhängiger Medien wie die traditionsreiche Tageszeitung Cumhuriyet, BirGün oder die kurdische Özgürlükcü Demokrasi (ein Nachfolgeprojekt der verbotenen Özgür Gündem). Gemeinsam ist ihnen, dass viele Redakteure und Mitarbeiter im Gefängnis sitzen und jederzeit die Schließung droht. Mehrere Journalisten bauen daher von Deutschland aus Exilmedien auf.

Can Dündar, dem in der Türkei mehrere Jahre Haft drohen, hat gemeinsam mit Hayko Bagdat das zweisprachige Onlinemagazin Özgürüz ("Wir sind frei") gegründet, das unmittelbar nach dem Launch in der Türkei gesperrt wurde. Dündar und Bagdat wollen auf diesem Wege ein Gegengewicht auch zu den staatlichen türkischen Medien in Deutschland bilden und eine unabhängige, oppositionelle Stimme hörbar machen. Ein ähnliches Konzept verfolgt die taz mit taz.gazete, einem zweisprachigen Portal, hinter dem eine fünfköpfige deutsch-türkische Redakteurscrew steht, die vor allem solchen Autoren eine Plattform bietet, die in der Türkei nicht mehr frei publizieren können. Es sind engagierte Projekte.

Ein wesentliches Problem aber sprach bei einem vom KulturForum Türkei-Deutschland initiierten Workshop in Köln Bülent Mumay an, der ehemalige Online-Chef der Hürriyet und jetzige FAZ-Kolumnist: "Das Problem ist hier wie dort, dass wir nur einen recht kleinen Teil der Leute erreichen. Die Frage ist nicht nur, wie man unabhängigen und kritischen Journalismus macht, sondern auch, wie man ihn zu den Menschen bringt."

Was er meint: Auch wenn durch solche Initiativen nun wieder eine größere Vielfalt vorhanden ist, ist es fraglich, ob diese auch Menschen erreicht, die bislang der AKP-Propaganda folgen. Hayko Bagdat sieht dasselbe Problem. Zudem sei es nicht einfach, unter den gegebenen Bedingungen Nachrichten zu machen. Keine türkische Nachrichtenagentur könne es sich leisten, mit einem oppositionellen Exilmedium zu kooperieren, merkt er an. Daher bleibe oft kaum mehr als die Möglichkeit, Ereignisse zu kommentieren und einzuordnen.