Türkei: "Des Sultans bundesrepublikanische Kleider"
Seite 2: Bundesregierung in den Fußstapfen von Kaiser Wilhelm II.
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Gab es nicht schon mal ein deutsches Eisenbahnprojekt auf dem Gebiet der Türkei? Richtig, die Bagdad-Bahn, die 1915 zur Deportation der Armenier gebraucht wurde. 1898 vereinbarte Sultan Abdülhamid II. mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. das Megaprojekt. Damit wollte er sein heruntergewirtschaftetes Osmanisches Reich wieder aufpäppeln.
Auch Sultan Abdülhamid II. gab sich anfangs liberal, um sich dann nach kurzer Zeit als skrupelloser Alleinherrscher zu entpuppen. 140 Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Man ersetze das Wort "Sultan" durch "Erdogan", um die Parallelen zu erkennen. Kaiser Wilhelm II. sprach damals von der "unverbrüchlichen Freundschaft Deutschlands für den Sultan und das osmanische Volk", schreibt der Spiegel.
Von der Freundschaft Deutschlands mit Erdogan und dem "türkischen Volk" liest man derzeit in den Medien ebenfalls öfters. Außenminister Heiko Mass sprach letzte Woche vom "lieben Mevlüt" und bemühte sich, möglichst keine Reizthemen anzusprechen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu säuselte zurück: "Wir können uns gar nicht oft genug sehen."
Ungemütliche Parallelen
Da drängen sich einem ungemütliche Parallelen auf: Die drangsalierten Minderheiten in der Türkei und der Diaspora sind der deutschen Regierung offensichtlich heute genauso egal wie dem deutschen Kaiser damals die Armenier. Der Journalist Jürgen Gottschlich berichtet in seinem 2015 veröffentlichen Buch "Beihilfe zum Völkermord -Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier", wie das Deutsche Reich 1915 dem Völkermord an den Armeniern tatenlos zusah und aus wirtschaftlichen und politischen Erwägungen weiterhin mit den politischen Machthabern Geschäfte machte.
Reichskanzler Bethmann äußerte seinerzeit: "die Türkei sei als Verbündeter wichtiger als die Armenier. (...) Unser Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht."
Heute könnte man der Bundesregierung unterstellen, dass es die gleiche Haltung gibt: Die Türkei ist als Verbündeter wichtiger als die Kurden, die Aleviten, die Christen, die Eziden … Es scheint sich wenig geändert zu haben: Über eine halbe Million Kurden wurden in den letzten drei Jahren aus dem Südosten der Türkei vertrieben, ihre Städte wurden dem Erdboden gleich gemacht, Jugendliche verbrannten in den Kellern von Cizre, die vom türkischem Militär in Brand gesetzt wurden; Hunderte Menschen wurden gedemütigt, gefoltert, verschwanden oder wurden erschossen.
Im Moment brennen die Wälder und Felder von Dersim und rauben den Menschen dort die Lebensgrundlage, angezündet vom türkischen Militär. Armenische, christliche und kurdische Friedhöfe werden heute wieder vom türkischen Militär geschändet, Kirchen enteignet, alevitische Gebetshäuser überfallen und verwüstet.
Das alles wird, ohne Konsequenzen zu ziehen, zur Kenntnis genommen und ignoriert, keiner kann heute angesichts der Dokumentation durch Fotos und Videos in den sozialen Medien sagen, man habe das nicht gewusst. Man lässt allerdings heute wie damals den "Sultan" gewähren.
Erdogan will Todesstrafe wieder einführen
Es gab einmal eine Zeit, da äußerten sich namhafte EU-Politiker, dass Erdogan eine "rote Linie" überschreiten würde, wenn die Todesstrafe auf die Agenda käme. "Kein Land, das die Todesstrafe einführt, kann Mitglied der Europäischen Union werden", sagte im Juli 2016 die für Außenpolitik in der EU zuständige Federica Mogherini.
Auch das scheint der Vergangenheit anzugehören. Die einstige 'rote Linie', die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei, wird weggeschwiegen bzw. nur in Verbindung mit der EU-Mitgliedschaft gebracht. Ist ja noch nicht soweit, ist ja nur im Gespräch. Dabei liegt der Gesetzentwurf dafür schon auf dem Tisch.
Am 1. Oktober bei der ersten Sitzung des neuen Schattenparlaments wollen sich AKP und MHP auf einer Parlamentssitzung dazu äußern. Dem vorangegangen ist eine Absprache zwischen AKP und MHP, zu bestimmten Strafvorwürfen die Todesstrafe wieder einzuführen.
Es überrascht nicht, dass einer der Gründe für die Todesstrafe der "Terrorismusvorwurf" ist. Ende Juli bekräftigte der türkische Präsident erneut seinen Willen zur Wiedereinführung der Todesstrafe. Erdogan sagte, "er würde nicht zögern, ein entsprechendes Gesetz zu billigen, wenn das türkische Parlament ein solches verabschieden würde. 'Die Schritte, die wir in der Angelegenheit ergreifen werden, sind nahe'".
Eigentlich müssten nun bei internationalen Gremien und Regierungen alle Alarmglocken klingeln. Stattdessen treffen sich Wirtschaftsminister Altmaier sowie sein Staatssekretär mit türkischen Politikern und Wirtschaftsvertretern, um das Mega-Eisenbahnprojekt schnell festzuzurren und weitere Finanzhilfen zuzusagen. Und das zur gleichen Zeit, wo das türkische Parlament über die Wiedereinführung der Todesstrafe berät.
Setzt die türkische Regierung, sprich Erdogan, den Gesetzentwurf um, betrifft das auch deutsche Staatsbürger oder Menschen mit Doppelpass, die in der Türkei in Haft sind. Und die werden immer mehr.