Türkei: Ist die Militäroperation "Adlerklaue" die nächste Annexion?
Seite 2: Erdogans hoffnungsloser Kampf gegen die PKK
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1978 wurde die kurdische Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei gegründet. Sie verstand sich als Antwort auf die fortdauernde Diskriminierung und Unterdrückung des kurdischen Volkes. "Die Türkei hat Kurd*innen schon bombardiert, getötet und vergast, da gab es noch lange keine PKK", schreibt die taz.
Erinnert sei hier an das Dersim-Massaker 1937/38. Der Aufstand wandte sich wie die anderen zuvor gegen die Verleugnungs- und Assimilierungspolitik Atatürks. In einem Schreiben vom 30. Juli 1937 rief Seyid Riza, ein Anführer des Dersim-Aufstandes, den britischen Außenminister zu Hilfe:
Seit Jahren versucht die türkische Regierung, die kurdische Bevölkerung zu assimilieren, indem sie sie unterdrückt. Sie verbietet, ihre Zeitungen und Bücher in kurdischer Sprache zu lesen, verfolgt jene, die ihre Muttersprache sprechen und organisiert so die systematische Vertreibung von den fruchtbaren kurdischen Ländern in das unkultivierte Anatolien, wo ein großer Teil der Flüchtlinge umkommt. Drei Millionen Kurden leben in diesem Land und bitten nur darum, in Frieden und Freiheit leben zu können, um ihr Volk, ihre Sprache, ihre Traditionen und Zivilisation zu erhalten. Im Namen des kurdischen Volkes bitte ich Eure Exzellenz, das kurdische Volk mit Ihrem großen moralischen Einfluss zu unterstützen, damit diese grause Ungerechtigkeit bald ein Ende hat.
Aus: Brauns, Nikolaus; Kiechle, Brigitte 2010: PKK - Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes: Zwischen Selbstbestimmung, EU und Islam
Eine Reaktion blieb aus. Stattdessen wurden Hunderttausende Kurden deportiert, Tausende ermordet. Mit den übriggebliebenen kurdischen Stammesfürsten und Großgrundbesitzern ging der Staat - unter der Bedingung der Verleugnung der kurdischen Identität - ein Bündnis ein, auf das sich die Kurdenpolitik der Türkei bis heute stützt:
Entweder ihr verzichtet vollkommen auf das Kurdentum, streitet ab, dass ihr Kurden seid und werdet zu Türken, oder ihre werdet wie Scheich Said oder Seyid Riza und andere am Galgen enden. Eine dritte Möglichkeit wird es nicht geben. Ihr müsst wissen, daß es keine andere Möglichkeit gibt, um am Leben zu bleiben, als Türken zu werden.
Besikci, Kurdistan. Internationale Kolonie
Letztendlich ist die Existenz der PKK und die kurdische Frage in ihrer heutigen Form das Ergebnis der von den Großmächten betriebenen Aufteilung des Nahen- und Mittleren Ostens nach dem Ersten Weltkrieg. Der türkische Soziologe Ismail Besikci schreibt in seinem Buch "Kurdistan. Internationale Kolonie", der politische Status Kurdistans und des kurdischen Volkes befände sich sehr weit unter dem einer Kolonie.
Die Existenz der Kurden wurde einfach verleugnet. Klassische Kolonien hätten noch einen Status als Kolonien gehabt und konnten im Zuge des Zusammenbruchs des Kolonialismus ihre staatliche Unabhängigkeit erlangen. Von der Forderung nach einem eigenen, unabhängigen Staat hat sich die PKK, im Gegensatz zur Autonomieregierung Barzanis im Nordirak längst verabschiedet.
In den 1960er/70er Jahren gab es in der Türkei zahlreiche linke türkische Organisationen mit unterschiedlichen Ideologien, die um die Gunst der Arbeiter und Arbeiterinnen konkurrierten. Schon zu dieser Zeit setzte wegen unzureichender Verdienstmöglichkeiten eine Landflucht in die türkischen Metropolen ein.
Viele kurdische Familien ließen sich in den Elendsvierteln, den Gecekondus, am Rand der Städte nieder. Es war eine Zeit der politischen Diskussionen, an denen die Kurden kaum partizipieren konnten weil sie teilweise der türkischen Sprache kaum mächtig waren oder von den türkischen linken Gruppen ebenfalls abschätzig behandelt wurden.
Wenn es um Minderheitenrechte ging, wurde abgewunken - ein zu vernachlässigender Nebenwiderspruch. Dies alles führte letztendlich zur Gründung der PKK. Der Staat reagierte mit besonderer Härte und betrachtete diejenigen Kurden, die Minderheitenrechte forderten, als Separatisten. Anfangs versuchte die PKK in den Städten noch, sich über die politische Beteiligung bei türkischen linken Organisationen Gehör zu verschaffen.
In den ländlichen Regionen organisierte die Gruppe zusammen mit den Bauern Landbesetzungen gegen die Großgrundbesitzer und gewann daher bei den Bauern schnell an Ansehen. Im Dezember 1978 ereignete sich das Massaker der türkischen Faschisten an den kurdischen Aleviten in der Stadt Maraş, bei dem 110 alevitische Kurden getötet wurden. Der türkische Staat sah dem Massaker zunächst tatenlos zu um dies dann als Vorwand zu nehmen, das Kriegsrecht über die gesamte Türkei zu verhängen. Durch diese Ereignisse bekam die frisch gegründete PKK starken Zulauf.
Die zunehmende Gewalt gegen Kurden führte dann zur Gründung einer Guerillaeinheit als militärischer Arm der kurdischen Arbeiterpartei. Ungefähr 1984 begann der bewaffnete Kampf der PKK als Antwort auf willkürliche Verhaftungen, Folter und Demütigungen. Mehr als 40.000 Menschen wurden seitdem bei den Auseinandersetzungen zwischen Militär und Guerilla getötet, darunter viele Zivilisten.
Fälschlicherweise werden die 40.000 Toten vom türkischen Staat und seinen Anhängern einseitig der PKK zugeschrieben. Dabei dürfte der größte Teil der Toten auf das Konto des Staates gehen. 1985 führte die Regierung das Dorfschützer-System in den kurdischen Gebieten vom Staat ein. Kurdische Stämme, die regierungstreuen Großgrundbesitzern unterstanden, wurden vom Staat finanziert und bewaffnet. Sie sollten vor allem Stützpunkte der PKK mitteilen und gegen sie kämpfen.
Dörfer und Stämme, die dies ablehnten, wurden vom Militär gewaltsam geräumt. Zwischen 1988 und 1999 wurden so 5000 Dörfer vom türkischen Militär niedergebrannt, tausende Männer und Frauen wurden Opfer des "Verschwinden lassen" durch die Todesschwadrone JITEM, über zwei Millionen Menschen vertrieben. Trauriges Zeugnis jener Jahre sind die "Samstagsmütter", die jeden Samstag auf Kundgebungen nach ihren verschwundenen Söhnen und Töchtern fragen. Bei der Jagd nach PKK-Anhängern standen und stehen alle Kurden, Junge/Alte, Männer/Frauen, sogar Kinder und Babys unter Generalverdacht.
Seit 1984 führte die Türkei mehrere erfolglose Militäroperationen gegen das PKK-Hauptquartier in den nordirakischen Qandilbergen im Dreiländereck Türkei-Irak-Iran durch. Die erste Operation, ,Sandwich" genannt, startete im September 1992. Im März 1995 führte sie die Operation "Stahl" in den Regionen Haftanin und Kirkuk durch. Im Mai 1997 folgte die Operation "Hammer".
Alle Angriffe der Türkei führten nicht zum gewünschten Ergebnis, beide Seiten hatten zahlreiche Opfer zu beklagen - besiegt war die PKK jedoch nicht. Man kann es nicht oft genug sagen: jeder Tote, egal auf welcher Seite, ist in diesem sinnlosen, von keiner Seite zu gewinnenden Krieg, ein Toter zu viel.
Türkei setzt auf Spaltung der Kurden
Der Türkei-Experte Kristian Brakel von der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul vermutet noch andere Gründe als gegen die PKK vorzugehen hinter der Operation "Adlerklaue". Nach den Annäherungen zwischen den verfeindeten kurdischen Lagern in Nord- und Ostsyrien, dem demokratischen Syrienrat (MSD) und dem Oppositionsbündnis "Syrische Nationalversammlung" mit Sitz in Madrid ist der sogenannte "Syrische Nationalrat" mit Sitz in Istanbul (auch bekannt unter ETILAF) weitgehend isoliert. ETILAF wird weitgehend von Muslimbrüdern und der türkischen Regierung dominiert.
Im Juni deklarierte nun nach langen Verhandlungen der MSD die Vereinigung mit dem Oppositionsbündnis "Syrische Nationalversammlung". Amir Zaidan, Vize-Präsident der Syrischen Nationalversammlung, erklärte, der Beitritt zum MSD solle "den politischen Übergang von einem System der Tyrannei und Diktatur zu einem von allen Syrern geteilten demokratischen System mit gleichen Rechten und Pflichten sicherstellen".
Der demokratische Syrienrat (MSD) wolle auch gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt schaffen, sagte der Ko-Vorsitzende Riyad Derar vom MSD. Das bringt nun die türkische Regierung wie auch die Barzani-Partei KDP in Bedrängnis.
Denn die demokratische Selbstverwaltung geht noch einen Schritt weiter und versucht auch die in Syrien vertretene Barsani-Partei KDP-S wie auch das konservative, von der Türkei instrumentalisierte Bündnis "Kurdischer Nationalrat" (ENKS) in den innerkurdischen Versöhnungsprozess miteinzubeziehen.
Unter der Schirmherrschaft und mit Unterstützung des stellvertretenden US-Sondergesandten für die Internationale Koalition, William V. Roebuck, sowie dem Generalkommandanten der Demokratischen Kräfte Syriens, Mazlum Abdi Kobane, fanden erste Gespräche statt. Ein erstes Ergebnis ist, im Sinne des im Oktober 2014 geschlossenen Abkommens von Dohuk den Dialog fortzusetzen, sich an den Selbstverwaltungsgremien und der Landesverteidigung zu beteiligen.
Mittlerweile haben sich 25 Parteien und Organisationen dem innerkurdischen Einigungsprozess angeschlossen und den Verband "Parteien der geeinten Nation Kurdistan" (PYNK) gegründet. Da auch die Barzani-Partei KDP-S Teil des ENKS ist, dürfte es für Barzani schwierig sein, das Embargo gegen Nordsyrien aufrechtzuerhalten.
Andererseits ist da noch die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Türkei und die politische Nähe von Präsident Necirvan Barzani. Von dem innerkurdischen Zwist konnte die Türkei bislang profitieren und die Barzani-Partei mit ihren Peschmergas für ihre Zwecke instrumentalisieren.
Daher könnte die Operation "Adlerklaue" auch eine Warnung an die Barzanis und Talabanis sein, sich nicht mit den syrischen Kurden zu verbinden, die Erdogan mit der PKK gleichsetzt. Denn sind die Regionen Haftanin und die anderen angestrebten Regionen erst einmal vom türkischen Militär besetzt, ist es nur ein Katzensprung nach Erbil, der Hauptstadt und dem Regierungssitz der autonomen Region Nordirak.