Türkei: Machtwechsel in USA ändert nichts

Biden als US-Vizepräsident mit dem türkischen Präsidenten Erdogan, 2014. Bild: US-Regierung/gemeinfrei

Erdogans Gratulation an Biden steht noch aus. Der neugewählte US-Präsident bezeichnete die Türkei als das "wirkliche Problem" in Syrien und im Irak

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Für den Amtsinhaber im Weißen Haus ist die Wahl noch nicht gelaufen. Über eine Serie von Tweets mit Ausschnitten aus Fox-News-Beiträgen teilt Trump mit, dass es nicht die Medien sind, die den gültigen Wahlsieger verkünden können. Verwiesen wird in den Fox-News-Beiträgen darauf, dass die offiziellen Ergebnisse noch ausstehen. Laut Informationen des Murdoch-Senders beabsichtigt Trump die Wahl nicht nur gerichtlich, sondern auf eine "wenig traditionelle Weise" anzufechten, nämlich mit größeren Versammlungen.

Fox-News gehört selbst auch zu den Medien, die am Wochenende Bidens Wahlsieg verkündeten. Der Kurs des Senders und dessen Besitzers Rupert Murdoch gibt den Analysten von CNN einige Rätsel auf.

Indessen steht Biden als gewählter Präsident für die Weltöffentlichkeit fest, auch wenn sich einige Staatsführungen Zeit mit ihrer Gratulation ließen, zum Beispiel Saudi-Arabien und Israel, wobei Netanjahus Gratulation überschwänglich persönlich ausfiel. Saudi-Arabien reagierte erst am späten Sonntag mit einer distanzierten, offiziellen Formulierung. Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Kuwait, Oman und Katar hatten Biden/Harris schon am späten Samstagabend gratuliert.

Es gebe in Saudi-Arabien eine Unsicherheit darüber, wie es nach Bidens Sieg weitergehe, berichtet al-Jazeera, wie üblich mit Beiträgen von Think-Tankern. Es ist deren Stunde, da sich die politische Führung mit Kommentaren zurückhält. Der Tenor ist, dass Biden nicht viel verändern werde und wie seine Vorgänger auf ein gutes Verhältnis zu Saudi-Arabien setzt. Die Ankündigung des Biden/Harris-Teams zum Jahrestag der Ermordung von Jamal Khashoggi, das Verhältnis zu Saudi-Arabien "neu auf den Prüfstand zu stellen", wird als Wahlkampf-Äußerung gewertet - zumal die militärische Unterstützung des saudi-arabischen Kriegs im Jemen durch die USA unter Präsident Obama eingeleitet worden war.

Die Frage, wie sehr die Außenpolitik Bidens die Außenpolitik Obamas fortsetzen wird, gehört zu den Lieblingsspekulationen der Think-Tank-Experten. In manchen Diskussionsforen wird dies darauf zugespitzt, ob Hillary Clinton neuen Einfluss gewinnt. Die Faz übertitelt ihren Überblick zur Ausrichtung der Nahost-Politik unter Biden mit dem "Ende der Blankoschecks".

Biden: "Erdogan muss einen schweren Preis zahlen"

Geht es nach Think Tankern, so verliert der türkische Präsident Erdogan mit der Abwahl Trumps "den letzten Verbündeten in Washington". Als Beleg für eine schwierige Zeit, die Erdogan bevorstehen könnte, wird auf ein Video Bidens vom Oktober 2019 verwiesen. Darin kündigt Biden an, dass er anders als Präsident Trump wisse, was man brauche, um mit Erdogan zu verhandeln: "Wenn ich Präsident wäre, würde ich ihn einen schweren Preis für das, was er getan hat, zahlen lassen."

Was genau er damit meint, führt Biden in dem Clip nicht aus. Er spricht lediglich davon, dass er in "Tausenden von Stunden" im Situation Room, in vielen Stunden "am Boden" in Syrien und im Irak und in Gesprächen mit früheren und gegenwärtigen Kommandeuren mitbekommen habe, dass die "Türkei das wirkliche Problem ist ".

Auch das ist nur ein Wahlkampfclip. Die Vorfreude auf einen neuen US-Präsidenten hält sich in Ankara allerdings in Grenzen. Bislang gab es noch keine Gratulation seitens Erdogans. Vizepräsident Fuat Oktay übermittelte in einer türkischen TV-Sendung, dass die US-Wahlen keinen Einfluss auf die Beziehungen zur Türkei habe. Oktay hob darauf ab, dass die USA ein Nato-Verbündeter sei und betonte dazu die Eigenständigkeit der Türkei: "Jedwede Wahl in jedwedem Land, jedweder Machtwechsel ändert für uns nichts. Die Türkei hat ihre eigenen Interessen und seine eigene Diplomatie."

Der türkische Vizepräsident brachte dazu zwei Themen auf den Tisch: Die Auslieferung von Fetullah Gülen und die Verbindungen der USA zur YPG in Syrien. Eine Überstellung Gülens in die Türkei oder eine Distanzierung Bidens von der YPG? Das ist wenig wahrscheinlich.

Ausgelassen hat Oktay das Thema Sanktionen. Bislang hat die "gute persönliche Beziehung" zwischen Trump und Erdogan verhindert, dass die Türkei wegen des Kaufs des russischen S-400-Luftabwehrssystems aufgrund des Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA) sanktioniert wurde. Mittlerweile hat die Türkei das System auch schon getestet, mit der Ansage Erdogans, dass dies niemand anders zu entscheiden habe als die Türkei.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu feiert indessen den militärischen Erfolg Aserbaidschans. Am Sonntag hatte Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew in einer Fernsehansprache die Einnahme Schuschas verkündet. Der "Wendepunkt" (NZZ) im Krieg um Nagorni Karabach steht für die Türkei im Vordergrund. Verdrängt wird damit der Absturz der Lira in der jüngsten Vergangenheit, der im Zusammenhang mit der Bestellung eines Neuen Chefs der Zentralbank auch im Haus Erdogans für Ärger sorgt. Angeblich ist sein Schwiegersohn als Wirtschaftsminister zurückgetreten. Die Lira gab Zeichen der Erholung.